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Finanzmärkte reflektieren reale Verhältnisse
Von Dr. Oliver Everling | 29.Mai 2020
„Die Finanzmärkte scheinen sich immer weiter von der Realwirtschaft abzukoppeln. Diesen Eindruck kann man zunehmend gewinnen“, schreibt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt & Leiter Research bei der DZ BANK. Haben sich die Finanzmärkte wirklich abgekoppelt?
„Alle Assetklassen profitieren von den weltweit niedrigen Zinsen, den sehr niedrigen Zinsenerwartungen bei gleichzeitig einer schier unerschöpflichen Bereitstellung von Liquidität. Dazu kommt noch ein nicht enden wollender Reigen an staatlichen Hilfspaketen. Alles zusammen scheint ein Umfeld zu erschaffen, in dem selbst in der schlimmsten wirtschaftlichen Krise seit mehr als 50 Jahren,“ schreibt Bielmeier, „die Hoffnung alle aktuellen Ängste und Sorgen überwiegt. Die Folge sind hohe Bewertungen in allen Assetklassen, insbesondere Staats- und Unternehmensanleihen haben sich von den fundamentalen Grundlagen zum Teil weit entfernt, da hier die Zentralbanken auch direkt kaufen.“
Diese Beobachtungen sind für Bielmeier nicht neu. Seit der Finanzmarktkrise könne man diese Entwicklung an den Finanzmärkten mit unterschiedlicher Intensität beobachten. „Die hohen Bewertungen waren in der Vergangenheit zu keiner Zeit ein wesentlicher Risikofaktor. Wichtig war letztendlich nur, dass die Zentralbanken jederzeit bereit sind die Finanzmärkte zu stützen. In Anbetracht der steigenden Staatsverschuldung dürfte es daran auch in der Zukunft nicht mangeln.“
Dies ist natürlich kein Perpetuum Mobile, macht Bielmeier klar, denn die Handlungsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken werden im Zeitablauf sinken. „Somit wird man in der Zukunft den Punkt erreichen, dass die Bewertung der Märkte durch den Glauben an die Zentralbanken nicht mehr gedeckt ist. Mit gravierenden Folgen für die Finanzmärkte. Bis dahin haben wir noch genügend Zeit gegenzusteuern und die Verschuldung organisch zu senken. Aus heutiger Sicht möglich, aber leider unwahrscheinlich.“
Aus den Beobachtungen von Bielmeier lässt sich nicht auf eine gar „mysteriöse“ Abkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft schließen. Die aktuellen Kurssteigerungen reflektieren nicht etwa eine verbesserte Qualität der Unternehmen (weil beispielsweise die Rettungspakete eine so gute Wirkung hätten), sondern reflektieren nur die noch stärker verschlechterte Qualität des Geldes: Preise sind relativ. Trotz eingetrübter Ertragsaussichten der Unternehmen ist die Qualität des Geldes – gleich, ob Euro oder US-Dollar – schneller gesunken als die Qualität der Unternehmen. Der relative Vorteil für Unternehmen führt zu entsprechenden Kurssteigerungen. Wie Moody’s aktuell nachweist, erodiert die Kreditqualität deutscher Unternehmen, selbst wenn der Lockdown gelockert oder aufgehoben wird (Moody’s research report „Coronavirus will weigh on German company credit quality even as lockdown eases“).
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