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Dilemma des KMU-Ratings

Von Dr. Oliver Everling | 14.September 2020

Kleine und mittlere Unternehmen haben Schwierigkeiten, ihre Bonität glaubwürdig zu kommunizieren. Anerkannte Ratingagenturen konzentrieren ihre Dienste auf Unternehmen, die einen komiteebasierten Ratingprozess durchlaufen. Dazu gibt der Rechtsrahmen in der Europäischen Union (EU) keine Alternative. Als Ratingagentur kann nur anerkannt werden, wer alle Anforderungen der EU Verordnung über Ratingagenturen erfüllt. Diese Anforderungen sehen einen von Analysten verantworteten Beurteilungprozess vor, der in einer Entscheidung eines Ratingkomitees mündet. Entsprechend sind auch Überwachungs- und Kontrollorgane der Agentur zu besetzen. Anerkannte Ratingagenturen müssen in der EU ihren Board mit mindestens zwei Independent Non-Executive Directors besetzen, eine Review Function vorsehen usw.

Als Ratinganalysten kommen nur Persönlichkeiten mit langjähriger Berufserfahrung, akademischer Ausbildung und charakterlicher Eignung in Frage. Analysten dürfen nicht zugleich auch Vertriebsfunktionen für die Ratingagentur wahrnehmen. Daher bedarf es der Bestellung weiterer Mitarbeiter, die für die Geschäftsentwicklung zuständig sind. Alle diese Anforderungen führen dazu, dass der Betrieb einer anerkannten Ratingagentur mit erheblichen Kosten verbunden ist. Entsprechend verlangt die in der EU zuständige Aufsichtsbehörde, die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA, eine ausreichende Kapitalausstattung der Ratingagentur, die den Bestand der Agentur auf Dauer sichert. Alle diese Anforderungen führen dazu, dass der Ratingprozess nach traditioneller Art, wie er gesetzlich erzwungen ist, für kleine und mittlere Unternehmen zu teuer ist.

Der Ratingprozess ist für kleine und mittlere Unternehmen zu teuer, da im Vergleich zu Großkonzernen der Finanzbedarf wesentlich geringer ist. Das ergibt sich schon aus der Definition kleiner und mittlerer Unternehmen. Mithin müssen die Kosten des Ratingverfahrens auf ein wesentlich kleineres Finanzierungsvolumen gerechnet werden.

Der Ratingprozess ist bei kleinen und mittleren Unternehmen jedoch nicht unbedingt einfacher als bei großen Unternehmen. Manchmal gilt sogar das Gegenteil: Große Unternehmen sind oft ähnlich als Kapitalgesellschaften organisiert, haben diversifizierte Geschäftsaktivitäten und konkurrieren mit ihren Produkten mit vergleichbaren Unternehmen.

Unter kleinen und mittleren Unternehmen gibt es dagegen oft Spezialisten, die einzigartige Produkte für einen relativ kleinen Markt anbieten. Oft handelt es sich um „hidden champions“, die eine Marktnische besetzen. Ihre besondere Expertise schützt sie gegen Konkurrenten. Der Spezialisierung und besonderen Expertise wegen sind oft gerade die bonitätsmäßig besten kleinen und mittleren Unternehmen nicht einfach zu erkennen. Für Ratingagenturen, die gemäß den Einschränkungen nach der EU-Verordnung über Ratingagenturen arbeiten, können daher kaum Analystenteams haben, die auf allen Fachgebieten das notwendige Fachwissen aufweisen.

Im Warenverkehr mit Kunden und Lieferanten schalten sich daher Kreditauskunfteien ein. Diese sammeln Daten aus Gerichtsregistern und anderen öffentlichen Quellen. Aufgrund der geltenden Offenlegungspflichten in der EU sind diese Daten jedoch von begrenzter Aktualität. Entsprechend veraltet sind Ratings, die anhand solcher Daten kalkuliert werden. Ratings werden oft anhand von Jahresabschlüssen des vorletzten Jahres ermittelt. Außerdem sind kleine Unternehmen, unter denen sich durchaus auch börsennotierte Unternehmen finden können, nicht zur Offenlegung ihrer Gewinn- und Verlustrechnung verpflichtet.

Diese widrigen Bedingungen schränken die Möglichkeiten ein, unter Nutzung der gesetzlichen Pflichtveröffentlichungen geeignete Ratingmodelle für kleine und mittlere Unternehmen auf rein mathematisch-statistischer Basis zu entwickeln.

Aus diesem Dilemma führt nur eine Ratingagentur heraus, die zwar modellbasiert arbeitet, aber im Auftrag des beurteilten Unternehmens tätig wird. In diesem Fall hat nämlich das Unternehmen die Möglichkeit, gezielt aktuellere und umfassendere Daten bereitzustellen, die speziell dem Zweck der Bonitätsklassifizierung dienen. Die bilanzrechtlich vorgeschriebenen Jahresabschlüsse haben viele Adressaten. Außerdem besteht eine Abhängigkeit von der Steuerbilanz. Aus diesen Gründen sind gesetzlich vorgeschriebene Jahresabschlüsse nicht optimal, um Ratings zu erstellen.

Ratings auf der Grundlage eines Scoringmodells unterliegen nach der EU Verordnung über Ratingagenturen nicht der Genehmigungspflicht durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA. Da diese Ratings nicht der Aufsicht unterliegen, dürfen sie allerdings auch nicht für bestimmte Anwendungen genutzt werden. Dies betrifft Banken, Versicherungen und andere institutionelle Anleger.

Die genannten Aspekte verdeutlichen die Schwierigkeiten, denen sich kleine und mittlere Unternehmen in der EU zum Rating ausgesetzt sehen.

Themen: Mittelstandsrating, Unternehmensrating | Kommentare deaktiviert für Dilemma des KMU-Ratings

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