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S&P und Moody’s verlieren Marktanteile in der EU

Von Dr. Oliver Everling | 14.Dezember 2020

Die europäische Marktaufsichtsbehörde ESMA meldet erstmals für beide großen US-amerikanischen Ratingagenturen einen Rückgang ihrer Marktanteile in Europa. Damit zeigt die Behörde eine bemerkenswerte Entwicklung auf. Nie zuvor mussten die beiden Marktführer, die seit rund 100 Jahren nach anerkannten Maßstäben und Kriterien ihre Ratings weltweit erteilen, Marktanteile zugunsten von Agenturen abgeben, die in Europa ihren Hauptsitz haben.

Zu den Gewinnern gehören neben europäischen Agenturen allerdings auch die Wettbewerber von den beiden Marktführern Standard & Poor’s und Moody’s in den USA, namentlich Fitch Ratings mit einem von 16,62 % auf 17,55 % gestiegenen Marktanteil, sowie DBRS Ratings, mit einem von 2,46 % auf 2,99 % gestiegenen Marktanteil. Die kanadische DBRS Ratings wurde von Morningstar übernommen, einer US-Ratingagentur, die im Rating von Investmentfonds unbestritten führend ist. Verbessern konnte sich auch der Versicherungsspezialist A.M. Best Rating Services. Mit einer Marktanteilserhöhung von 0,82 % auf 0,95 % zeigt sich für A.M. Best Rating Services, wie sich die jahrzehntelange Ausrichtung auf die Versicherungswirtschaft auszahlt, um zunehmend auch sonst als Credit Rating Agency (CRA) im Markt wahrgenommen zu werden. Alle genannten fünf Agenturen werden von Muttergesellschaften in den USA kontrolliert.

Die größten Ratingagenturen mit Sitz in Europa bringen es laut Europäischer Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA immer noch nicht auf je einen vollen Prozentpunkt Anteil am europäischen Ratingmarkt. Die größten Ratingagenturen mit Wurzeln in Europa sind die aus Italien stammende Cerved Rating Agency sowie die zur Economist Group in London gehörende The Economist Intelligence Unit. Während sich die italienische Agentur, die ihre Dienste ebenso in der Europäischen Union anbietet, von 0,81 % auf 0,84 % verbessern konnte, musste The Economist Intelligence Unit von 0,87 % auf 0,79 % eine Einbuße hinnehmen. Diese ist allerdings vor dem Hintergrund zu verstehen, dass The Economist Intelligence Unit eine klare Ausrichtung auf mikro- und makroökonomische Analysen zeigt und für Länderratings bekannt ist, also nicht bei Ratings für Emissionen und Emittenten aus dem Kreis der Industrieunternehmen, der Finanzdienstleister – also insbesondere Banken und Versicherungen – sowie beim Rating vermögensgedeckter Wertpapiere (Asset-Backed Securities usw.) als Konkurrent auftritt. Unter dem Strich hat sich also an den Marktanteilen der beiden größten europäischen Agenturen am Gesamtmarkt in Europa praktisch nichts geändert.

Unter den fünf Typen von Kreditratings, die von ESMA unterschieden werden, bietet The Economist Intelligence Unit nur Ratings im Sektor „Sovereign and Public Finance“ an. In den anderen vier Marktsegmenten konkurriert diese Agentur nicht mit den Wettbewerbern innerhalb der Europäischen Union. Auch A.M. Best Europe Rating Services erreicht ihren Marktanteil allein schon durch die Aktivitäten dieser Agentur in den Marktsegmenten „Corporate Non-Financial“ und „Corporate Financial“ (zu letzterem gehört insbesondere die Versicherungswirtschaft). Auch der Marktanteil von Cerved Rating Agency ist vor dem Hintergrund zu analysieren, dass diese Agentur nur Ratings im Segment „Corporate Non-Financial“ meldet und nicht in den anderen vier Marktsegmenten mit den übrigen Konkurrenten in direktem Wettbewerb steht.

Bemerkenswerte Veränderungen – wenn man von der Reduktion der Marktanteile von S&P Global Ratings Europe und Moody’s Investors Service einmal absieht – gibt es nur unter den „Ferner liefen“. So nahm eine Ratingagentur in Berlin der Agentur Creditreform Rating den achten Platz im Ranking ab. Dies ist insofern bemerkenswert, da Creditreform Rating als Tochtergesellschaft der Creditreform AG im Verbund mit dem Verband der Vereine Creditreform e.V. in Deutschland einen sehr starken Markennamen trägt und sich weltweit auf über 158000 Mitglieder des Vereins stützen kann. Während Creditreform Rating nur noch einen Marktanteil von 0,53% verzeichnet, zuvor 0,55 %, schaffen es nun die Berliner auf 0,62 %, zuvor 0,49 %. Dies entspricht einem Wachstum des Marktanteils von mehr als ein Fünftel binnen Jahresfrist. Es bleibt allerdings dabei, dass von den in Deutschland ansässigen Agenturen diejenige mit dem größten Marktanteil nur den achten Platz belegt.

Im Unterschied zu A.M. Best Europe Rating Services, Cerved Rating Agency, The Economist Intelligence Unit und Creditreform Rating nimmt die Berliner Scope Ratings jeden Ratingauftrag entgegen, also auch im Marktsegment „Corporate Insurance“, der zum Beispiel von Creditreform Rating nicht bedient wird. Durch sogenanntes „Rating Shopping“ suchen Emittenten diejenige Agentur, die am besten in der Lage ist, ihren Interessen zu dienen. Bietet eine Agentur bestimmte Ratings erst gar nicht an, kann der betreffenden Ratingagentur dieser Ertragseffekt aus dem „Rating Shopping“ nicht zugute kommen.

Im Unterschied zu allen anderen Agenturen sieht sich die Berliner Agentur mit einem Marktanteil von 0,62 % als die führende europäische Ratingagentur. Dieser Anspruch ist auf die unermüdliche Arbeit in den letzten 20 Jahren zurückzuführen, die auch durch die Insolvenz der vorhergehenden Agentur FondScope nicht entmutigt wurde, aus der die heutige Agentur Scope Ratings hervorging. Über die letzten zwei Jahrzehnten konnte die Agentur zwar noch in keinem Jahr Gewinne erzielen, sondern es addierten sich Jahresfehlbeträge. Die sich inzwischen auf einen insgesamt achtstelligen Betrag summierenden, dauernden Verluste werden aber von einem kleinen Kreis renommierter Persönlichkeiten, finanzstarker Kapitalsammelstellen und strategisch motivierter Gesellschafter einzelner gerateter Unternehmen getragen.

Unter den sonstigen Agenturen gibt es keine wirklich auffälligen Bewegungen, wenn man zudem berücksichtigt, dass einige Agenturen zwischenzeitlich aufgegeben und damit auch Marktanteile abgegeben haben. Hervorzuheben ist das dynamische Wachstum von Kroll Bond Rating Agency Europe, denn die Agentur verzehnfachte ihren Marktanteil von 0,03 % auf 0,34 %. Mit diesem Marktanteil ist nun Kroll Bond Rating Agency Europe die größte Ratingagentur vor allen anderen 17 Adressen auf den letzten Plätzen in Europa.

Misst man die Marktanteile nicht an den erzielten Umsätzen, sondern an der bloßen Anzahl der Finanzinstrumente, für die Ratings erteilt wurden, zeigt sich ein noch differenzierteres Bild. So haben sich die Marktanteile in dem für Ratingagenturen so wichtigen Segment „Structured Finance“ deutlich zugunsten der Ratingagentur Scope verschoben: Während die Berliner Scope im Jahr zuvor nur einen Marktanteil von 1,2 % erreichte, waren es 2019 schon 1,5 %, während der Marktanteil von Moody’s von 59,5 % auf nur noch 55 % sank. In diesem Markt positioniert sich Fitch Ratings an zweiter Stelle mit 44,5 % (nach 45,0 %), S&P mit leicht gestiegenen 37,5 % (nach 35,8 %) und DBRS mit 14,3 % ebenfalls besser als zuvor (13,9 %). Nach dieser Statistik summieren sich die Marktanteile nicht zu 100 %, da dieselben Finanzinstrumente von mehreren Agenturen beurteilt werden können.

Wer schon über ein Rating von Moody’s oder S&P verfügt, kann es sich leisten, auch noch das Rating einer weniger bekannten, lokalen Agentur hinzuzunehmen, ohne Nachteile bei der Platzierung der Anleihe erwarten zu müssen, insbesondere dann nicht, wenn eine kleinere Agentur mit einem noch besseren Urteil aufwartet. Ein Beispiel dafür gibt der Emitttent Grenke, der von Standard & Poor’s ein langfristiges Rating von BBB+ erhielt, von der in Deutschland domizilierenden GBB Rating dagegen ein besseres Rating auf vergleichbarer, langfristiger Ratingskala, A.

Nach Artikel 8d der EU-Regulierung über Ratingagenturen ist die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA lediglich verpflichtet, die Marktanteile der von ihr beaufsichtigten Ratingagenturen zu errechnen. Daher finden sich in dem Dokument der Behörde keine Angaben, auf welcher absoluten Basis die Zahlen errechnet wurden. Da die Marktanteile in der EU nur auf Basis der Zahlen errechnet werden, die der Behörde ESMA von den ihr zur Aufsicht unterstellten Agenturen gemeldet werden müssen, sind die relevanten Weltmarktanteile tatsächlich erheblich geringer, als die von der EU-Behörde vorgerechneten EU-Marktanteile.

Würde man zum Beispiel allein die 57 chinesischen Ratingagenturen oder sogar die mehr als 200 anderen Ratingagenturen weltweit mit Sitz außerhalb Europas und ohne Aktivitäten im Markt der Europäischen Union in die Rechnung einbeziehen, würden sich naturgemäß erheblich niedrigere Weltmarkanteile für die in der EU 2019 erfassten 27 Agenturen ergeben.

Das deutsche Handelsgesetzbuch umschreibt nach § 267 die Größenklassen der Unternehmen, die von bestimmten Offenlegungspflichten befreit sind. So handelt es sich bei kleinen Kapitalgesellschaften um solche, die mindestens zwei dieser drei Merkmale nicht überschreiten: 6 Mio. € Bilanzsumme, 12 Mio. € Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag oder im Jahresdurchschnitt fünfzig Arbeitnehmer; mittelgroße Kapitalgesellschaften sind solche, die mindestens zwei der drei in Absatz 1 bezeichneten Merkmale überschreiten und jeweils mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale nicht überschreiten: 20 Mio. € Bilanzsumme, 40 Mio. € Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag oder im Jahresdurchschnitt zweihundertfünfzig Arbeitnehmer.

Von den in Deutschland ansässigen – sich teils selbst als „führend“ bezeichnenden – Agenturen werden diese Schwellenwerte nicht überschritten, so dass sie im Unterschied zu den US-Agenturen nicht zur Offenlegung verpflichtet sind. Aus diesem Zusammenhang lässt sich schließen, dass diese deutschen Agenturen höchstens im Bereich von Tausendstel des Umsatzes der Marktführer S&P Global und Moody’s angesiedelt sind, zumal die deutschen Agenturen im Unterschied zu den US-Amerikanern in Afrika, Asien und Amerika nahezu unbekannt sind. Moody’s zum Beispiel ist weltweit mit mehr als 11400 Mitarbeitern mit 33 Büros von A wie Argentinien bis Z wie Zypern präsent und bedient Kunden in mehr als 100 Staaten der Welt.

Moody’s Corporation verzeichnete im dritten Quartal 2020 einen TTM (Trailing Twelve Months) Umsatz von 5,3 Mrd. US$ mit einer operativen Ergebnismarge von rund 45 %. Noch höhere Gesamtumsätze erzielte S&P Global, wobei ein großer Teil durch Dienste jenseits des Kreditratings erwirtschaftet wird. So sichert sich S&P beispielsweise Marktdominanz durch die Übernahme von IHS Markit für 44 Mrd. US$ – alle in Europa gegründeten Agenturen sind weit davon entfernt, in diesen für institutionelle Anleger wie auch für öffentliche und für private Emittenten wichtigen Diensten mitspielen zu können. Moody’s sicherte sich z.B. 2017 mit der Übernahme von Bureau van Dijk Informationen zu rund 375 Millionen Unternehmen, so dass Moody’s als wichtigste Anlaufstelle für Unternehmensdaten gelten kann.

Insofern dürften S&P Global Ratings mit einem Marktanteil allein in der EU von 40,40 % (statt bisher 42,09 %) und Moody’s Investor Service mit einem Marktanteil 33,12 % (statt bisher 33,39 %) die Marktanteilsgewinne der kleinen Agenturen nicht als gefährlichen „game changer“ sehen, auch wenn z.B. Scope Ratings bereits zu hunderten Unternehmen Daten gesammelt und eigene Meinungen gebildet hat. Zumal diese Ratings der Berliner Agentur kaum – sofern vorhanden – von den Ratings der Marktführer abweichen, ergibt sich kein disruptiver Effekt und kein Grund für Anleger, sich mit diesen Ratings zu befassen. Mehr als 70 % aller im Geschäft mit anerkannten Ratings erzielten Umsätze in der Europäischen Union bleiben in den Büchern von Moody’s und S&P’s, und rechnet man Fitch Ratings noch hinzu, fließen mehr als 90 % aller Zahlungen aus Europa allein zu diesen drei US-amerikanischen Agenturen.

Kaum ein professioneller Investor weiß die von ESMA beaufsichtigen, kleineren Ratingagenturen auch nur aufzuzählen, geschweige denn, von ihren aktuell erteilten Ratings zu berichten. In der Praxis der Finanzmärkte spielen die meisten dieser Agenturen eigentlich keine Rolle. Mit einem Marktanteil von zusammen mehr als 90 % dürfte die Bedeutung und Rolle der drei führenden US-amerikanischen Agenturen S&P, Moody’s und Fitch Ratings daher noch deutlich unterschätzt werden, denn die Umsätze spiegeln nicht die Interessen von Anlegern, um die es eigentlich geht, sondern von Emittenten, die die Ratinggebühren bezahlen.

Da die den Ratingagenturen von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde auferlegten Verwaltungsgebühren in Abhängigkeit von ihrem Geschäftsvolumen errechnet werden, haben die führenden US-Agenturen ein Interesse daran, die für diese Berechnungen relevanten Umsätze – und damit auch ihre Marktanteile in der EU – möglichst niedrig erscheinen zu lassen, indem sie zusätzliche Entgelte für sonstige Dienstleistungen über andere Tochtergesellschaften laufen lassen. Entsprechend werden die Marktanteile der kleinsten Agenturen überschätzt, denn diese werden nicht durch Meldung höherer Umsätze auch proportional höher mit Verwaltungsgebühren ihrer Aufsichtsbehörde belastet. Außerdem haben die Mini-Agenturen ein Interesse daran, ihren von andauernden Verlusten gebeutelten Gesellschaftern bzw. Aktionären wachsenden Erfolg durch steigende Marktanteile vorzurechnen.

Die hoch komplexe EU-Regulierung der Ratingagenturen, die 2009 mit dem Ziel auf den Weg gebracht wurde, das US-amerikanische Oligopol zu brechen, hat nichts daran geändert, dass nur die führenden Agenturen Emittenten die benötigte „Eintrittskarte“ zu den Weltfinanzmärkten ausstellen. An ihrer Dominanz hat sich nichts geändert – im Gegenteil: Der Marktanteil dieser drei Agenturen, S&PMoody’s und Fitch Ratings, ist nach dem  Jahr 2012 zum Beispiel mit 87,02 % jetzt mit 91,07 % noch höher als damals, als die Politik in Europa meinte, die Chance der Finanzkrise nutzen zu können, die US-Agenturen in Schranken zu verweisen. Nach einer verlorenen Dekade wird es daher Zeit, über eine Deregulierung nachzudenken und die allen in der EU registrierten bzw. zertifizierten Agenturen gewährten Privilegien endgültig abzuschaffen.

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