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„Schweizer Börsenbrief“ im Visier der BaFin

Von Dr. Oliver Everling | 23.Februar 2021

Der „Schweizer Börsenbrief“ enthält neben allgemeinen Kapitalmarktinformationen auch Anlageempfehlungen und Anlagestrategieempfehlungen nach Artikel 20 der Europäischen Marktmissbrauchsverordnung (MAR). Nun warnt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin): „Anleger sollten bei der Verwendung von Anlageempfehlungen aus Börsenbriefen ohne Tätigkeitsanzeige Vorsicht walten lassen, da die regulatorischen Anforderungen in Deutschland nicht erfüllt sind.“ Sich vor Anlageentscheidungen aus mehreren Quellen zu informieren und dabei auf deren Seriosität zu achten, ist nicht nur eine Empfehlung der BaFin, sondern gilt auch generell in besonderer Weise bei marktengen Werten.

Nach der EU-Verordnung über Ratingagenturen unterliegen Unternehmen, die ihre Risikoeinschätzungen über Wertpapiere in Form von Ratings veröffentlichen, einer strengen Registrierungs- bzw. Zertifizierungspflicht sowie Aufsicht durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA. Anderes gilt für Organisationen wie das Unternehmen theinvestor.ch (Schweiz) AG, das Anlageempfehlungen auf der Internetseite „Schweizer Börsenbrief“ veröffentlicht. Jedoch schreitet auch hier die Aufsicht ein: Der BaFin liegt nach eigenen Angaben von dem Unternehmen bislang keine Tätigkeitsanzeige nach § 86 Absatz 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) vor, meldet die Bundesanstalt aus Bonn.

Zudem beklagt die BaFin, dass das Unternehmen bislang keinen Ansprechpartner in Deutschland benannt habe, über den die BaFin ihre Schreiben zustellen könnte. Da auch nach Aufforderung kein Ansprechpartner benannt worden sei, habe die BaFin auch nicht klären können, ob das Unternehmen eventuell eine Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen kann.

Nachdem im Hause der BaFin selbst skandalumwitterte Geschäfte aufgedeckt wurden, muss das Vorgehen der Aufsicht überraschen. Erinnert sei an Bundesfinanzministers Spekulanten, mangelndes Problembewusstsein im Bundesfinanzministerium und daran, dass der BaFin-Präsident das „Klassenziel“ verfehlte. Bei der von der BaFin monierten Tätigkeitsanzeige handelt es sich um ein vergleichsweise einfach auszufüllendes Formular. Dieses vom betroffenen „Schweizer Börsenbrief“ nachzufordern, hätte wohl nur einer E-Mail bedurft.

Tatsächlich können wir von der RATING EVIDENCE GmbH bezeugen, dass die Kontaktaufnahme – auch ohne persönlich bereits bekannt zu sein – über die auf der Website theinvestor.ch angegebene E-Mail-Adresse info@theinvestor.ch problemlos funktioniert. Die Antwort vom Redaktionsleiter kommt noch am selben Tag. Daher ist zu fragen, ob die BaFin der Teleologie des Gesetzes entspricht, wenn offenbar ohne geeignetem Versuch der Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen bereits eine öffentliche Bloßstellung erfolgt. Zudem wurde möglicherweise nicht ausreichend geprüft, ob es sich bei dem „Schweizer Börsenbrief“ nicht doch um Journalismus handelt, denn Auftritt und Aufmachung sprechen dafür.

In jedem Fall dürfte der „Schweizer Börsenbrief“ einen Reputationsschaden dadurch davontragen, dass die BaFin eine Warnung veröffentlichte. Leser und Abonnenten werden verunsichert, ob sie der Redaktion vertrauen können. Ob diese Konsequenzen in einem angemessenen Verhältnis zum angeblichen Versäumnis stehen und daher das öffentliche Anprangern rechtfertigen, würde weiterer Prüfung bedürfen.

Die theinvestor.ch (Schweiz) AG in Appenzell wurde schon 2006 und gemäß Statutenänderung: 8. 01. 2007 zum Halten von Beteiligungen, zur Erbringung von Management-Dienstleistungen sowie zum Aufbau und zur Unterstützung im Bereich Marketing und Vertrieb gegründet (SHAB Nr. 71 vom 11. 04. 2006, S. 2, Publ. 3330654). Die Erbringung von Marketing- und Vermittlertätigkeiten im Bereich Finanzdienstleistungen, Herausgabe von Finanzinformationen, der Betrieb eines Wirtschaftsverlag sowie die Ausbildung von privaten und institutionellen Anlegern gehören seit mehr als einem Jahrzehnt zum Gesellschaftsgegenstand der theinvestor.ch (Schweiz) AG.

Aber nur Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Kapitalverwaltungsgesellschaften, EU-Verwaltungsgesellschaften und Investmentgesellschaften dürfen auf Grund der ihnen jeweils erteilten Erlaubnis Anlageempfehlungen im Sinne der MAR erstellen und veröffentlichen. Ansonsten gilt eine Anzeigepflicht für alle anderen Personen, die in Ausübung ihres Berufes oder im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit für die Erstellung oder Weitergabe von Anlageempfehlungen oder Anlagestrategieempfehlungen gemäß MAR verantwortlich sind. „Dies gilt auch für im Ausland tätige Analysten,“ unterstreicht die BaFin, „sofern ihre Empfehlungen einen Emittenten mit Sitz im Inland betreffen oder diese sich auf Finanzinstrumente beziehen, die an einem inländischen organisierten Markt, einem inländischen multilateralen Handelssystem oder einem inländischen organisierten Handelssystem gehandelt werden (§ 1 Absatz 2 WpHG). Vor dem Hintergrund der grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit gilt dies nicht für Journalisten, die einer vergleichbaren Selbstregulierung mit entsprechenden Sanktionsmechanismen unterliegen.“

Nach dem WpHG müssen gemäß § 86 zur Anzeigepflicht andere Personen als Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Kapitalverwaltungsgesellschaften, EU-Verwaltungsgesellschaften oder Investmentgesellschaften, die in Ausübung ihres Berufes oder im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit für die Erstellung von Anlagestrategieempfehlungen oder von Anlageempfehlungen oder deren Weitergabe verantwortlich sind, dies der Bundesanstalt vor Erstellung oder Weitergabe der Empfehlungen anzuzeigen.

Bei einer natürlichen Person genügen Name, Geburtsort, Geburtsdatum, Wohn- und Geschäftsanschrift sowie telefonische und elektronische Kontaktdaten, bei einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung Firma, Name oder Bezeichnung, Rechtsform, Registernummer wenn vorhanden, Anschrift des Sitzes oder der Hauptniederlassung, Namen der Mitglieder des Vertretungsorgans oder der gesetzlichen Vertreter und telefonische und elektronische Kontaktdaten; ist ein Mitglied des Vertretungsorgans oder der gesetzliche Vertreter eine juristische Person, so sind deren Firma, Name oder Bezeichnung, Rechtsform, Registernummer wenn vorhanden und Anschrift des Sitzes oder der Hauptniederlassung ebenfalls anzugeben und glaubhaft zu machen.

Beabsichtigt der Anzeigepflichtige die Verbreitung der Empfehlungen, muss die Anzeige auch eine detaillierte Beschreibung der beabsichtigen Verbreitungswege enthalten. Der Anzeigepflichtige hat weiterhin anzuzeigen, inwiefern bei mit ihm verbundenen Unternehmen Tatsachen vorliegen, die Interessenkonflikte begründen können. Veränderungen der angezeigten Daten und Sachverhalte sowie die Einstellung genannter Tätigkeiten sind der Bundesanstalt innerhalb von vier Wochen anzuzeigen.

Die BaFin veröffentlicht auf ihrer Internetseite den Namen, die Firma oder die Bezeichnung der ordnungsgemäß angezeigten Personen und Personenvereinigungen sowie den Ort und das Land der Wohn- und Geschäftsanschrift oder des Sitzes oder der Hauptniederlassung.

Nach der EU-Verordnung Nr. 596/2014 vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) sollten alle Marktteilnehmer und alle Wirtschaftsakteure einen Beitrag zur Marktintegrität leisten. Wenn Personen, die Anlageempfehlungen oder andere Informationen, durch die eine Strategie für Investitionen in ein oder mehrere Finanzinstrumente empfohlen oder vorgeschlagen wird, erstellen oder weitergeben, auch für eigene Rechnung mit solchen Instrumenten handeln, können die zuständigen Behörden von solchen Personen unter anderem sämtliche Informationen verlangen oder anfordern, die erforderlich sind, um festzustellen, ob die von der betreffenden Person erstellten oder weitergegebenen Informationen im Einklang mit der Marktmissbrauchsverordnung stehen.

Eine Empfehlung oder ein Vorschlag einer Anlagestrategie ist schon dann gegeben, wenn eine von einem unabhängigen Analysten, einer Wertpapierfirma, einem Kreditinstitut oder einer sonstigen Person, deren Haupttätigkeit in der Erstellung von Anlageempfehlungen besteht, oder einer bei den genannten Einrichtungen im Rahmen eines Arbeitsvertrags oder anderweitig tätigen natürlichen Person erstellte Information direkt oder indirekt einen bestimmten Anlagevorschlag zu einem Finanzinstrument oder einem Emittenten darstellt. Anlageempfehlungen sind alleInformationen mit expliziten oder impliziten Empfehlungen oder Vorschlägen zu Anlagestrategien in Bezug auf ein oder mehrere Finanzinstrumente oder Emittenten, die für Verbreitungskanäle oder die Öffentlichkeit vorgesehen sind, einschließlich einer Beurteilung des aktuellen oder künftigen Wertes oder Kurses solcher Instrumente.

Nach Artikel 20 MAR müssen Personen, die Anlageempfehlungen oder andere Informationen, durch die eine Anlagestrategie empfohlen oder vorgeschlagen wird, erstellen oder verbreiten, in angemessener Weise dafür Sorge tragen, dass die Informationen objektiv dargestellt und ihre Interessen oder Interessenkonflikte hinsichtlich der Finanzinstrumente, auf die diese Informationen sich beziehen, offengelegt werden. Außerdem haben auch öffentliche Stellen, die Statistiken oder Prognosen verbreiten, welche die Finanzmärkte erheblich beeinflussen könnten, dies auf objektive und transparente Weise zu tun.

Die ESMA ist dabei für die Ausarbeitung von Entwürfen technischer Durchführungsstandards zuständig, um für die betroffenen Personengruppen die technischen Modalitäten festzulegen, um die objektive Darstellung von Anlageempfehlungen oder anderen Informationen mit Empfehlungen oder Vorschlägen zu Anlagestrategien sowie die Offenlegung bestimmter Interessen oder Anzeichen für Interessenkonflikte zu regeln.

Die in den technischen Regulierungsstandards niedergelegten technischen Modalitäten finden keine Anwendung auf Journalisten, die einer gleichwertigen angemessenen Regelung – einschließlich einer gleichwertigen angemessenen Selbstregulierung – in den Mitgliedstaaten unterliegen, sofern mit einer solchen Regelung eine ähnliche Wirkung erzielt wird wie mit den ESMA-Vorschriften.

Ob ein Marktmissbrauch vorliegt, wird anhand eines Ratingsystems entschieden. Dieses umfasst Indikatoren für manipulatives Handeln durch Vorspiegelung falscher Tatsachen sowie durch sonstige Kunstgriffe oder Formen der Täuschung. Das Rating umfasst auch Indikatoren, die für sich genommen nicht unbedingt als Marktmanipulation anzusehen sind.  So ist beispielsweise zu prüfen, ob von bestimmten Personen erteilte Handelsaufträge oder ausgeführte Geschäfte vorab oder im Nachhinein von der Verbreitung falscher oder irreführender Informationen durch dieselben oder in enger Beziehung zu ihnen stehenden Personen begleitet wurden und ob Geschäfte von Personen in Auftrag gegeben bzw. ausgeführt werden, bevor oder nachdem diese Personen oder in enger Beziehung zu ihnen stehende Personen unrichtige oder verzerrte oder nachweislich von materiellen Interessen beeinflusste Anlageempfehlungen erstellt oder weitergegeben haben.

Themen: Aktienrating | Kommentare deaktiviert für „Schweizer Börsenbrief“ im Visier der BaFin

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