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„Scope Ratings“ verflixtes siebtes Jahr
Von Dr. Oliver Everling | 20.August 2021
Ob Mythos oder Realität: „Das verflixte siebte Jahr“ ist nicht nur der Titel eines Films mit Marilyn Monroe aus dem Jahr 1955. Über „das verflixte siebte Jahr“ liest man auch auf tausenden Seiten im Internet, in denen es um die Frage geht, wie lange eine Ehe hält. In welchem Beziehungsjahr trennen sich die meisten Paare? Tatsächlich zeigt das Statistische Bundesamt Destatis für Deutschland, dass nach fünf, sechs oder eben auch sieben Jahren mehr Ehen geschieden werden als in den ersten Jahren oder nach acht Jahren und später.
Die Beziehungen von Ratingagenturen zu den von ihnen beurteilten Emittenten sind weniger von Romantik geprägt, sondern von Zweckmäßigkeit und von der Frage, ob das Rating für die betroffenen Marktteilnehmer einen Nutzen bietet. Die Beziehung zwischen Ratingagenturen und Emittenten (wie auch zu Geldanlegern) ist aber ähnlich einer Ehe auch auf Dauer angelegt, denn die Beobachtung der Bonität eines Emittenten – möglichst über einen langen Zeitraum hinweg – liegt im Wesen der Arbeit von Ratingagenturen.
Privaten, insbesondere aber auch institutionellen Anlegern bzw. Gläubigern ist wenig geholfen, wenn ihnen nur punktuell, etwa zum Zeitpunkt der Platzierung einer Anleihe, ein Rating bekannt gegeben wird. Auch aus regulatorischen Gründen sind Ratings laufend aktuell zu halten, da sie beispielsweise der Kalkulation der Eigenmittelanforderungen dienen.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu analysieren, wie lange die „Ehen“ zwischen Ratingagenturen und Emittenten halten. Wie steht es um „das verflixte siebte Jahr“ im Verhältnis von Ratingagentur zu ihren Kunden, insbesondere den gerateten Emittenten? Wie viele Emittenten machen nach sieben Jahren immer noch von den Diensten einer Ratingagentur Gebrauch?
Wer sich nun die von einer Ratingagentur in Berlin angestrebten „Ehen“ anschaut, erhält ein klares Bild davon, wie viele Emittenten vom Rating dieser Agentur nach sieben Jahren (noch) Gebrauch machen. Die Ratingagentur in Berlin ist u.a. mit einer Gesellschaft namens „Scope Ratings GmbH“ als Ratingagentur nach der EU-Verordnung über Ratingagenturen durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) registriert und betreibt Websites, mit denen der Versuch unternommen wird, Ratings zu verbreiten.
Scope Ratings erteilte am 2. April 2014 erstmalig 18 europäischen Großbanken aus sieben Ländern ein Rating. Es handelte sich um das erste Rating der Berliner Agentur für Großbanken, denn zuvor waren hauptsächlich Fonds oder Anleihen wie die der MS Deutschland mit einem Rating A (Einfach A) in den Verkauf gegangen (siehe „Fragwürdiges Rating: Scope wertet MS Deutschland um vier Notches ab“ oder „Scope muss Schadenersatz wegen ‚Albtraum-Schiff‘ leisten“).
Bis zur Insolvenz des Vorgängerunternehmens der heutigen „Scope Group“, namentlich der FondScope AG, dienten die Ratings primär Finanzvehikeln des sogenanten Grauen Kapitalmarkts und nicht Emittenten der hoch regulierten Rentenmärkte. Der Initiator des Geschäftsschemas der heutigen Ratingagentur – Sitz mit Blick auf den Reichstag im politischen Berlin – war auch schon der Initiator der insolventen FondScope AG, ebenfalls in Berlin, weit ab von Finanzzentren, an denen sonst Ratingagenturen domizilieren.
Im April 2014 ging es Scope Ratings dagegen um das „Who is Who“ der Großbanken in Europa. Dazu gehörten Institute aus Belgien, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Spanien, Schweiz und Großbritannien. Für insgesamt 18 Institute aus diesen Ländern legte Scope Ratings nun Beurteilungen vor. Die Ratingagentur kommentierte, dass die Bewertung und Veröffentlichung dieser Ratings ein erster Schritt sei in ihren Bestrebungen, Finanzinstitutionen in ganz Europa und weltweit zu bewerten. Tatsächlich kam 2019 beispielsweise das Rating A- (Einfach A Minus) für die Greensill Bank hinzu, die im März 2021 Insolvenz anmelden musste.
Scope bemerkte 2014, dass die Bankenratings verbesserte Fundamentaldaten am Ende der langanhaltenden Finanzkrise widerspiegelten. Weiterhin berücksichtigten sie die neue Bankenregulierung, insbesondere die „recovery regimes“, die in der Schweiz bereits in Kraft getreten waren und sich in der Europäischen Union allmählich formierten. Die Ratingagentur wies darauf hin, dass „Bankenratings zukünftig stabiler und vorhersehbarer werden sollten, sofern die Maßnahmen der Bankenregulierung durch die Aufsichtsbehörden zeitnah und vollständig umgesetzt werden„.
Sieht man von der Commerzbank AG und der Royal Bank of Scotland plc einmal ab, die beide jeweils mit BBB+ (Dreifach B Plus) von Scope Ratings im April 2014 klassifiziert wurden, gab es nur gute bzw. noch bessere Ratings ab A- (Einfach A Minus):
2014 Issuer Credit Strength Rating (ICSR) / Senior Unsecured Rating and (Rating Outlook)
Banco Santander SA: A / A (Stable)
Barclays Bank plc: A / A (Stable)
BBVA SA: A / A (Stable)
BNP Paribas SA: AA- / AA- (Stable)
BPCE SA: A+ / A+ (Stable)
Commerzbank AG: BBB+ / BBB+ (Positive)
Credit Agricole SA: A / A (Positive)
BFCM SA (Credit Mutuel): A / A (Stable)
Credit Suisse AG: A+ / A+ (Stable)
Deutsche Bank AG: A- / A- (Stable)
HSBC Holdings plc: AA- / AA- (Stable)
ING Bank NV: A / A (Stable)
KBC Groep NV: A- / A- (Stable)
Lloyds Bank plc: A / A (Stable)
Rabobank; A+ / A+ (Stable)
Royal Bank of Scotland plc*: BBB+ / BBB+ (Stable)
Societe Generale SA: A / A (Stable)
UBS AG: A / A (Stable)
Wer nun der Reihe nach die Websites dieser Banken besucht, erhält ein eindeutiges Ergebnis: Nur eine einzige Bank will von der „Ehe“ mit Scope Ratings etwas wissen. Es ist allein der in Spanien ansässige Banco Santander, der auf seiner Website über das Rating von Scope Ratings berichtet.
Dabei verhält sich Scope Ratings keineswegs monogam, denn auch anderen Banken bietet sich die Agentur weiterhin dar. Alle anderen Banken ignorieren aber auf ihren für ihre „Creditor Relations“ bzw. „Investor Relations“ bestimmten Webseiten die Ratings der lokalen Agentur in Berlin, obwohl diese Agentur rein rechtlich gesehen den gleichen Status genießt wie die anderen anerkannten Agenturen.
Die „Scope Group“ fing zwar eine Reihe altgedienter Politiker, Zentralbanker und Kapitalmarktakteure für ihre zahlreichen Boards als „Botschafter“ ein, um europäischen Status und Anspruch zu unterstreichen. Keine andere Agentur versucht auf diese Weise, sich Anerkennung zu sichern. Die Prominenz im „Ehrenrat“ usw. brachte aber mit Blick auf die führenden Kreditinstitute nicht mehr Akzeptanz.
Denn: Keine einzige der Banken, mit denen 2014 erstmalig bei Scope Ratings die Beurteilung von 18 europäischen Großbanken aus sieben Ländern begann, legt offenbar Wert darauf, die Analysen von Scope Ratings der Öffentlichkeit bekannt zu machen, mit Ausnahme des Banco Santander. Dabei werden sonst von diesen Großbanken durchaus auch kleinere Ratingagenturen berücksichtigt, die – ähnlich wie Scope Ratings – in der Europäischen Union nur einen Marktanteil von kaum 1 % haben. Von den 18 Großbanken werden also nicht lediglich die beiden führenden Agenturen Moody’s Investors Service und Standard & Poor’s, sondern auch andere Agenturen mit ihren Ratings genannt, nicht aber Scope Ratings, obwohl die Berliner Agentur das Rating dieser Banken in den meisten Fällen bis heute fortgesetzt hat und sich nach eigenen Worten als „der führende europäische Anbieter unabhängiger Kreditratings“ versteht („Scope is the leading European provider of independent credit ratings“).
Angesichts des Sonderfalls „Banco Santander“ lohnt sich der Blick auf die Website der Bank in Spanien, um zu erfahren, welches die Gründe dafür sein könnten, dass der Banco Santander neben anderen Agenturen doch auch Scope Ratings nennt. Hier zeigt sich ein überzeugendes Bild: Scope Ratings ist die einzige Agentur, die für den Banco Santander ein so gutes langfristiges Rating AA- (Zweifach A Minus) erteilt. Keine andere Agentur ermöglicht dem Banco Santander, mit einer so guten Bonität zu werben – das könnte ein Motiv sein.
Keine andere der vom Banco Santander zitierten Ratingagenturen bescheinigt der Bank mit AA- (Zweifach A Minus) eine so hohe Kreditwürdigkeit. Nicht nur das: Alle anderen Agenturen sind sich sogar darüber einig, dass der Banco Santander nicht in die AA-Kategorie (Zweifach A), sondern in die A-Kategorie (Einfach A) gehört, und sie unterscheiden sich nur hinsichtlich des Modifikators, der innerhalb der Hauptkategorie des Ratings die Bonität durch ein Plus- oder Minus-Symbol bzw. durch eine Ziffer (1, 2, 3) nuanciert.
Scope Ratings setzt auf ein Geschäftsmodell, bei dem in erster Linie die Emittenten für die erteilten Ratings bezahlen, die Noten und Berichte aber kostenlos Anlegern auf Websites zur Verfügung gestellt werden. Daher ist es besonders zu unterstreichen, dass dieses vom Banco Santander veröffentlichte Rating nicht einmal von der Bank bezahlt wurde. Das Rating wurde von Scope Ratings auch noch nach sieben Jahren ohne Auftrag der Bank gemacht. So stellt es die Meldung von Scope Ratings klar: „The rating was not requested by the rated entity or its agents.“
Der Banco Santander veröffentlicht das Rating von Scope Ratings also nur geschenkt und mit einer Bonitätsnote, die über der aller anderen Ratingagenturen liegt. Der Bericht von Scope Ratings über den Banco Santander wird offenbar kaum beachtet, denn sonst wäre längst beanstandet und korrigiert worden, dass es sich bei dem Text von Scope Ratings lediglich um einen Entwurf handelt und er sich zudem nicht einmal auf das gesuchte Emittentenrating bezieht, sondern auf Covered Bonds.
Mit dem Berliner Geschäftsmodell wurden zwar auf Gesellschafterebene immerhin schon insgesamt achtstellige Geldzuflüsse organisiert, durch die eine Reihe von Gesellschaftern mit Millionenbeträgen beansprucht wurden. Nach fast zwei Jahrzehnten werden in der „Scope Group“ jedoch immer noch keine Gewinne erzielt. Daher sollte die Ratingagentur eigentlich auf jeden Ertrag aus ihren Aktivitäten Wert legen. Zu dieser Annahme steht nun die Beboachtung unter den 18 genannten Adressen im Widerspruch, dass nicht einmal die einzige Großbank, die auf ihrer Website die Meinung von „Scope Ratings“ publiziert, für das Rating bezahlt hat.
Auch beim Banco Santander findet sich die Zahl 7 wieder: Die Ansichten von sieben Ratingagenturen stehen in der Frage nach der Bonität des Banco Santander gegen die eine Ratingagentur, Scope Ratings. So bleibt als Fazit, dass es Scope Ratings nach sieben Jahren des Ratings von Großbanken offenbar nicht gelungen ist, aus „Affären dauerhafte Ehen zu machen“, um im Bild zu bleiben. Die Großbanken aus den sieben Ländern bevorzugen es heute, ihre Wege ohne Scope Ratings zu gehen.
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