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Deutschland 2022: Nicht überall wird das Vorkrisenniveau wieder erreicht
Von Dr. Oliver Everling | 27.Dezember 2021
Während die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung im Jahr 2022 das Vor-Corona-Niveau übertreffen wird, bleiben die Umsätze in wichtigen Branchen wie der Automobilindustrie, dem Gastgewerbe und den Reiseveranstaltern noch weit hinter dem Niveau des Jahres 2019 zurück. „Selbst wenn die vierte Pandemiewelle die letzte gewesen sein sollte, die signifikante Einschränkungen für Teile der Wirtschaft mit sich bringt, werden viele Branchen noch lange mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen haben. Unternehmen aus dem Informations- und Kommunikationssektor können dagegen schon heute klar als Gewinner der Pandemie klassifiziert werden“, fasst Axel Angermann, Chef-Volkswirt von FERI, das Ergebnis der Konjunkturprognose für das neue Jahr unter Branchengesichtspunkten zusammen. Zweigeteilt ist der Befund für den industriellen Sektor: Im ersten Halbjahr wird die Produktionsentwicklung weiterhin von anhaltenden Lieferengpässen gebremst. Ab dem zweiten Halbjahr rechnet FERI aber damit, dass die Angebotsstörungen deutlich an Relevanz verlieren. Dann könnten eine robuste Nachfrage und jetzt schon hohe Auftragsbestände einen dynamischen Anstieg der Produktion auslösen. Zum Ende des Jahres 2022 wird die Produktion das Vorkrisenniveau wieder erreichen, im Jahresdurchschnitt allerdings noch deutlich unter dem Niveau des Jahres 2019 bleiben. Besonders betroffen ist die Automobilindustrie, die unter dem Mangel an Halbleitern leidet und als einzige unter den großen industriellen Bereichen im Jahr 2021 nochmals einen herben Rückgang der Produktion zu verzeichnen hatte.
Geteilte Aussichten im Baugewerbe
Das deutsche Baugewerbe könnte zu den Gewinnern des Regierungswechsels gehören: Das Ziel, bis zu 400.000 Wohneinheiten pro Jahr neu zu errichten, wird zwar ohnehin nicht von heute auf morgen zu erreichen sein und könnte außerdem von knappen Kapazitäten des Sektors in Frage gestellt werden. Dennoch dürften die zu erwartenden Maßnahmen, die jetzt immerhin in einem eigenen Ministerium koordiniert werden, spürbar positive Impulse auslösen. Gedämpft bleiben allerdings die Perspektiven für den Gewerbebau. Vor allem der Trend zu mehr Homeoffice in vielen Bereichen begrenzt die Nachfrage nach Büroimmobilien. Insgesamt ist für das Baugewerbe aber mit einem spürbaren Anstieg des realen Umsatzes im kommenden Jahr zu rechnen.
Digitale Wirtschaft als Gewinner der Krise
Zu den Gewinnern der Pandemie zählen der IT-Sektor und damit verbundene Branchen: Der Umsatz mit Dienstleistungen der Informationstechnologie dürfte ebenso wie der in der Datenverarbeitung und mit Webportalen im kommenden Jahr rund 15% höher liegen als vor der Pandemie. Positiv sind auch die Perspektiven für den Einzelhandel, der im Jahr 2022 mit einem preisbereinigten Umsatzplus von 3 Prozent rechnen kann. Angetrieben wird dies von erheblichen Überschuss-Ersparnissen, die in der Pandemie zwangsweise aufgebaut wurden, und einer insgesamt positiven Arbeitsmarktentwicklung. Allerdings kommt das Umsatzplus nur zu einem Teil dem stationären Einzelhandel zugute. Der wirkliche Gewinner der Pandemie bleibt der Online-Handel.
Reisebranche und Gastgewerbe hinken hinterher
Das gewaltige Umsatzplus von mehr als 50% für die Reisebüros und -veranstalter und von mehr als 40% für das Gastgewerbe dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Zuwächse von einem sehr geringen Niveau aus erzielt werden. In beiden Bereichen liegt der Umsatz im kommenden Jahr erheblich unter dem Vorkrisenniveau. Gerade die Reisebranche dürfte auch weiterhin von Unsicherheiten belastet bleiben, die potenziell von neuen Virusmutationen ausgehen. Dass sich der Tourismus insbesondere zu Zielen außerhalb Europas im kommenden Jahr wieder normalisiert, erscheint deshalb sehr unwahrscheinlich. Der Umfang von Geschäftsreisen dürfte dank der Erfahrungen mit digitalen Kommunikationsformaten ohnehin auf Dauer deutlich niedriger ausfallen als vor der Pandemie.
Axel D. Angermann analysiert als Chef-Volkswirt der FERI Gruppe die konjunkturellen und strukturellen Entwicklungen aller für die Asset Allocation wesentlichen Märkte. Diese Daten bilden die Grundlage für die strategische Ausrichtung der Vermögensanlagen der FERI. Angermann verantwortet seit 2008 die von FERI erstellten Analysen und Prognosen für die Gesamtwirtschaft sowie einzelne Branchen. 2002 trat er als Branchenanalyst in das Unternehmen ein. Seine berufliche Karriere begann beim Max-Planck-Institut für Ökonomie und beim Verband der chemischen Industrie. Angermann studierte Volkswirtschaftslehre in Berlin und Bayreuth.
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