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Les agences de notation – die Ratingagenturen
Von Dr. Oliver Everling | 1.Februar 2022
Seit dem Ende der 1990er Jahre sind die Ratingagenturen Gegenstand einer Anzahl von Kontroversen, schreibt Norbert Gaillard in seinem neuesten Buch „Les agences de notation“, erschienen in den Éditions La Decouverte, Paris 2022. Die Asienkrise 1997/98, der Skandal um Enron 2001, das Debakel am Subprime-Markt 2007/2008 und der Sturm um die Staatsverschuldungen 2010-2011 haben den Einfluss der Ratingagenturen auf den Finanzmärkten eindrücklich gezeigt. Zugleich zeigten sich aber auch die Schwierigkeiten und Grenzen des Systems, zeigt der Autor in seinem Buch auf.
Ein erster Kritikpunkt richtet sich schon seit langem auf die mangelnde Transparenz der Methoden, nach denen die für die Finanzmärkte so wichtigen Beurteilungen erstellt werden. Der Autor geht daher der Frage nach, wie die Solvabilität von Staaten, von Unternehmen und sonstigen Organisationen wie auch von Banken beurteilt werden. Stützen sich die Agenturen hierbei auf mathematisch-statistischen Modelle?
Ein zweiter Kritikpunkt richtet sich auf die starke Konzentration in der Ratingbranche, denn es sind nur drei Agenturen, die den Markt dominieren. Der Autor geht daher der Frage nach, welchen Einfluss diese Konzentration der Macht auf die erteilten Ratings haben kann.
Einen dritten Kritikpunkt sieht der Autor in der Art, wie die Ratingagenturen Erträge erwirtschaften, nämlich hauptsächlich aus Gebührenzahlungen von Emittenten, die daher die Unabhängigkeit und Neutralität der Urteile beeinflussen könnten.
Einen vierten Kritikbereich identifiziert Norbert Gaillard in dem historischen Versagen in verschiedenen Krisen, die die Ratingagenturen im Laufe ihrer über hundertjährigen Geschichte erlebten. Im Kern geht es hier um den Schaden, der daraus resultierte, dass manche drohende Insolvenzen nicht rechtzeitig erkannt wurden.
Der Autor geht einem fünften Kritikpunkt nach, der in dem Vorwurf besteht, dass die Ratingagenturen überreagieren würden, also neue Nachrichten zu schnell in Herauf- bzw. insbesondere auch Herabstufungen umsetzen.
Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel geht es um ein Verständnis der Ratingbranche und der Entstehung der oligopolistischen Struktur in diesem Markt. Das zweite Kapitel widmet sich Definitionen, Interpretationen, Typologien und Modalitäten der Erteilung von Ratings. Diese Darstellungen des Autors sind von dauerhaftem Wert, da er minutiös die Historie der Ratingagenturen verarbeitet. In zwei weiteren Hauptkapiteln geht es um die Beurteilung von öffentlichen und privaten Emittenten. Das fünfte Kapitel setzt sich schließlich explizit mit den Stärken und Schwächen der Ratingagenturen auseinander, mit den Interessenkonflikten, ihrer Reputation, den Regulierungen sowie auch mit den Einflüssen auf Ratingänderungen.
Aus seiner akribischen Erhebung von Fakten zieht der Autor die kluge Schlussfolgerungen, dass die Situation der Ratingagenturen gleich dreifach paradox ist. Historische Erfahrungen mit den Ratingsystemen haben das Ansehen der Ratingagenturen getrübt. Dennoch werden die Ratings unvermindert von Anlegern die auch von Aufsichtsbehörden benutzt. Diese Art von Immunität der Ratingagenturen hat ihre Erträge (und damit auch ihre Marktkapitalisierungen) in die Höhe getrieben. Auch wenn die Agenturen teilweise an Einfluss verloren haben, bleiben sie heute so unumgänglich wie noch nie – ausgerechnet in einer Zeit, in der die private wie auch die öffentliche Verschuldung explodiert.
Norbert Gaillard ruft daher zu einer zentralen Debatte über die Analyse von Kreditrisiken auf. Er beklagt die Lethargie der Politik, der Aufsicht wie auch der institutionellen Anleger, die die „schwindelerregende Schuldenhausse“ (Norbert Gaillard) vernachlässigen. An die Ratingagenturen richtet er den Appell, sich nicht von der Schuldeneuphorie vereinnahmen zu lassen, sondern den Marktteilnehmern die Grenzen des Schuldenwachstums vor Augen zu führen.
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