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Wirtschaftspolitik ohne funktionierenden Kompass
Von Dr. Oliver Everling | 3.Juli 2023
Anhaltende Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft, hohe Inflation, drohende und tatsächliche Abwanderung von Unternehmen, ein deutliches Abrutschen Deutschlands in internationalen Wettbewerbsfähigkeits-Rankings und ein heftiger Streit um ein Gebäudeenergiegesetz – die Liste von Axel D. Angermann analysiert, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe aus Bad Homburg, ist lang: In Deutschland häufen sich die negativen Nachrichten, und es wird immer deutlicher, dass es dabei nicht nur um Einzelfragen geht.
Axel Angermann vergleicht die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands seit Ausbruch der Corona-Pandemie im ersten Quartal 2020 mit der vorherigen Wachstumsdynamik, so dass das Ausmaß der Probleme deutlich wird: „Der in drei Jahren aufgelaufene Verlust an gesamtwirtschaftlicher Wertschöpfung beläuft sich ohne Berücksichtigung der Inflation auf mehr als 500 Milliarden Euro. Bei einer Staatsquote von etwa 50 Prozent hätten also Konsumenten und Unternehmen und der Staat jeweils ungefähr 250 Milliarden Euro zusätzlich verwenden können. Die Relevanz wird deutlich, vergleicht man diese Zahl etwa mit den 5 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung, um die es im aktuellen Streit zwischen dem Finanzminister und der Familienministerin geht.“
Dass sich politische Vorhaben im Umfeld einer starken Wirtschaft leichter verwirklichen lassen, ist wahrlich keine neue Erkenntnis, scheint aber zunehmend in Vergessenheit zu geraten, warnt Axel Angermann: „Die Pandemie und die daraus resultierenden Wohlstandsverluste mögen weitgehend unvermeidlich gewesen sein. Die nun schon seit drei Jahren andauernde Wachstumsschwäche, deren Ende gar nicht abzusehen ist, ist es nicht. Der Verweis auf einen vermeintlichen oder tatsächlichen Stillstand unter vorhergehenden Regierungen führt ebenso wenig weiter wie der auf die Komplexität der Krisen. Die Wirtschaftspolitik wäre stattdessen gut beraten, die strukturellen Ursachen der Wachstumsschwäche zu identifizieren und zu beheben. Dies würde auch die Erfolgsaussichten aller anderen politischen Vorhaben von der Kindergrundsicherung über größere Verteidigungsanstrengungen bis hin zur Meisterung des Klimaschutzes und der Erreichung der Klimaziele deutlich erleichtern.“
Der in den vergangenen Jahrzehnten erzielte Wohlstand beruhte maßgeblich auf der erfolgreichen Entwicklung von Unternehmen in einem marktwirtschaftlichen Umfeld. „Jetzt muss es darum gehen,“ fordert Axel Angermann „diesen Rahmen wieder zu stärken. Das bedeutet: Abbau bürokratischer Hemmnisse statt der Etablierung immer neuer Vorschriften. Die kleinteilige Vorgabe konkreter Lösungen schafft kein innovationsfreundliches Umfeld. Die steuerliche Belastung unternehmerischen Handelns sollte auf das notwendige Maß beschränkt sein. In strategischen Fragestellungen wie der Vermeidung zu großer Abhängigkeiten von China muss der Staat für Klarheit sorgen und nicht einzelne Projekte mit irrwitzigen Summen subventionieren.“
Die strukturellen Umbrüche innerhalb der „alten“ Industrie in Deutschland sollten zum Anlass genommen werden, die Rahmenbedingungen für innovative Zukunftsfelder wie Klimaschutz oder Digitalisierung offener zu gestalten. Nur dann hat Deutschland im internationalen Vergleich noch die Chance, wieder auf eine erfolgversprechende Spur zurückzukehren, Wachstum zu generieren und damit die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.
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