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Rotchinesische Revolutionäre

Von Dr. Oliver Everling | 22.Januar 2024

„Temu und Shein: Die Revolution der chinesischen Onlinehändler“, titelt heute ODDO BHF in einer Finanzkommunikation. In den USA war 2023 Temu, eine chinesische E-Commerce-App, die am häufigsten heruntergeladene App für iPhones. Hinter der App steht der chinesische E-Commerce-Gigant Pinduoduo (PDD). „Temu ist vor etwas über einem Jahr gestartet und hat sich weltweit schnell zu einem Konkurrenten von Amazon entwickelt“, führt Yanxiu Gu, Spezialistin für chinesische Aktien bei ODDO BHF Asset Management in einem aktuellen Marktkommentar aus.

Der chinesische Online-Händler Shein kam 2022 in der Fast-Fashion-Branche in den USA auf einen Marktanteil von 40% und lag somit vor Zara (27%) und H&M (17%). Ende November 2023 hat Shein in den USA den Antrag für einen Börsengang eingereicht und strebt eine Bewertung von 90 Milliarden USD an. Diese Ausbreitung auf das internationale Geschäft habe strategische Gründe, so Gu: „Auch wenn China mit über 800 Millionen Käufern der weltweit größte E-Commerce-Markt ist, wird sich das Wachstum der einheimischen Branche von 22% pro Jahr zwischen 2014 und 2021 auf etwa 7,5% in 2025 verlangsamen.“ Die chinesischen Internetgiganten wie Alibaba, Tencent, ByteDance und PDD expandieren ins Ausland, um zusätzliches Wachstum zu generieren und die Verlangsamung im Inland auszugleichen. Sie ringen auf westlichen Märkten wie auch in Südostasien um Vorherrschaft. Da die Konsumenten weltweit aufgrund der Inflation den Gürtel enger schnallen, können Unternehmen mit Fokus auf einem optimalen Preis-Leistungs-Verhältnis wie Shein und Temu (PDD) der Expertin zufolge in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten Marktanteile hinzugewinnen.

Shein und Temu bieten Kleidung, Haushaltswaren und elektronische Geräte zu bemerkenswert niedrigen Preisen an. Der schnelle Warenumschlag, eine große Auswahl und personalisierte Empfehlungen sorgen für hohe Kundenbindung und ein „Shoppen wie ein Milliardär“-Kundenerlebnis, wie der Werbeslogan von Temu zum Super Bowl suggeriert. „Die Apps zeichnen sich durch einen großen Suchtfaktor aus“, erklärt die Aktienspezialistin von ODDO BHF. „Shein setzt KI ein, um neue Trends schnell zu identifizieren, und kann Artikel innerhalb von weniger als einer Woche entwerfen, produzieren und auf den Markt bringen. Dieser Prozess dauert bei Zara etwa drei Wochen.“ Temu hingegen locke Nutzer mit interaktiven Spielen, um Online-Shopping zum sozialen Event aufzuwerten. So beträgt die durchschnittliche Nutzungszeit bei Temu 18 Minuten, bei Amazon nur 10 Minuten. Influencer und Kunden – einige davon gesponsert – posten „Shein Haul“- oder „Temu Haul“-Videos auf Plattformen wie YouTube und TikTok, zeigen darin ihre Einkäufe und steigern dadurch die Attraktivität der Marke.

„PDD hat sich anfangs strategisch auf Lower-Tier-Städte in China konzentriert und damit einen sehr preissensiblen Markt erobert. Dieser Ansatz hat es PDD ermöglicht, erfolgreich gegen Giganten wie Alibaba und Jd.com zu bestehen“, erklärt Yanxiu Gu. Die gute Nachricht für PDD sei, dass es einen Trend hin zu bezahlbaren Waren und weg von Premiummarken gebe. Er erhielt zusätzlichen Schub durch die Auswirkungen von Corona-Einschränkungen und eine schleppende wirtschaftliche Erholung. Die Umsätze von PDD verdoppelten sich binnen eines Jahres fast und der Aktienkurs von PDD legte 2023 um 80% zu. Damit hat PDD den früheren Marktführer Alibaba bei der Marktbewertung überholt.

Viele Anleger haben Zweifel, ob die Niedrigpreisstrategie von Temu und Shein dauerhaft durchzuhalten ist und befürchten, dass jede Preiserhöhung das Kernmarkenversprechen aushöhlen würde. „Es kann sein, dass westliche Konsumenten toleranter gegenüber Preisschwankungen sind als chinesische Konsumenten. Dies wäre für Shein und Temu von Vorteil“, schätzt die Aktienspezialistin von ODDO BHF. Preisanstiege um 30% würden wohl bei hohen und sehr hohen Preisen nicht akzeptiert werden, bei einem Kleid für 15 USD mache der Preisunterschied lediglich zwei Kaffees aus. „Unwahrscheinlich, dass dies junge Kunden wirklich vom Kauf abhalten würde.“

Anleger sollen Gu zufolge die politischen Risiken im Blick behalten. Alibaba etwa musste 2021 nach einer kartellrechtlichen Untersuchung eine hohe Strafe zahlen, weswegen internationale Anleger vorsichtig geworden sind. Bisher scheinen die beiden Unternehmen aber dem chinesische Narrativ „Wohlstand für alle“ zuträglich zu sein und sind damit in einer sicheren Position. Shein hat durch die Verlagerung des Hauptsitzes nach Singapur und den Fokus auf globale Märkte die Verbindungen zu China minimiert. „Die Expansion chinesischer E-Commerce-Giganten in internationale Märkte markiert eine spannende neue Ära. Ihr nachhaltiger Erfolg wird jedoch von deren Fähigkeit abhängen, geschickt durch das komplexe politische Umfeld zu navigieren“, fasst Yanxiu Gu zusammen.

Themen: Aktienrating | Kommentare deaktiviert für Rotchinesische Revolutionäre

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