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Die Rolle der Ratingagenturen in Frankreichs Wirtschaftskrise

Von Dr. Oliver Everling | 24.Juni 2024

In seinem jüngsten CIO View hat Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE, die aktuelle wirtschaftliche Situation Frankreichs vor den überraschend angesetzten Parlamentswahlen analysiert. Viebigs Einschätzungen werfen ein Licht auf die vielfältigen Herausforderungen, mit denen das Land konfrontiert ist, und betonen insbesondere die Rolle der Ratingagenturen in diesem Kontext.

Viebig beschreibt, wie die unerwartet angesetzten Parlamentswahlen die Kapitalmärkte stark beeinflussen. Er weist darauf hin, dass Umfragen ein mögliches Erstarken des rechten Wahlbündnisses Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen prognostizieren, was die Unsicherheit an den Märkten erhöht und zu deutlichen Kursverlusten und einem Anstieg der Renditeunterschiede zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen geführt hat.

Trotz dieser politischen Turbulenzen hebt Viebig hervor, dass sich die französische Wirtschaft in den letzten Jahren relativ gut entwickelt hat. Während andere europäische Länder ebenfalls mit den Nachwirkungen der Finanzkrise von 2008 und der Corona-Pandemie zu kämpfen hatten, habe sich Frankreich besser erholt als Deutschland. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für 2024 ein Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent für Frankreich, im Vergleich zu nur 0,2 Prozent für Deutschland.

Ein Hauptproblem bleibt jedoch die hohe Staatsverschuldung. Seit der Corona-Pandemie ist das Budgetdefizit auf 5,5 Prozent gestiegen und die Schuldenquote erreichte 2023 110,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Diese Zahlen liegen deutlich über den im Maastricht-Vertrag festgelegten Grenzen, was den Handlungsspielraum der Regierung einschränkt. Gleichzeitig fordert die Bevölkerung angesichts finanzieller Nöte ein stärkeres staatliches Engagement, was politische Parteien wie das Rassemblement National ausnutzen, indem sie großzügige Sozialversprechen machen.

In diesem Kontext gewinnt die Rolle der Ratingagenturen an Bedeutung. Viebig stellt fest, dass Frankreich seit längerem unter deren Beobachtung steht. Die Ansetzung von Neuwahlen hat die Aufmerksamkeit der Kreditanalysten weiter auf die Staatsfinanzen gelenkt. Moody’s bewertete die Situation am 10. Juni 2024 mit der Warnung, dass die Neuwahlen die Risiken für die Haushaltskonsolidierung erhöhen. Derzeit wird Frankreich von Moody’s mit der Note Aa2 bewertet, während Fitch und Standard & Poor’s ein etwas schwächeres Rating von AA- vergeben. Standard & Poor’s hat Frankreichs Bonitätsnote erst im vergangenen Monat gesenkt.

Die Einschätzungen der Ratingagenturen beeinflussen maßgeblich die Finanzmärkte und die Kreditkosten eines Landes. In Zeiten politischer Unsicherheit neigen sie dazu, die Risiken stärker zu betonen, was die Situation für die betroffenen Länder weiter verschärfen kann. Dies zeigt sich in der deutlichen Zunahme der Rendite französischer Staatsanleihen und der Ausweitung der Zinsdifferenz zu deutschen Bundesanleihen.

Ratingagenturen werden oft dafür kritisiert, dass ihre Bewertungen prozyklisch wirken und wirtschaftliche Probleme verstärken können, anstatt zur Stabilisierung beizutragen. Ihre Entscheidungen basieren auf komplexen Modellen und zahlreichen Variablen, aber die genaue Methodik bleibt oft intransparent, was zu Misstrauen und Kritik führt. In Frankreichs aktuellem Fall könnte die strenge Bewertung durch die Ratingagenturen dazu beitragen, die wirtschaftlichen Herausforderungen weiter zu verschärfen, indem sie die Finanzierungskosten erhöhen und das Vertrauen der Investoren beeinträchtigen.

Die wirtschaftliche Situation Frankreichs ist komplex und von zahlreichen internen und externen Faktoren beeinflusst. Die anstehenden Parlamentswahlen und die hohe Staatsverschuldung stellen erhebliche Herausforderungen dar. Die Rolle der Ratingagenturen in diesem Kontext ist besonders kritisch zu betrachten, da ihre Bewertungen die finanziellen Bedingungen eines Landes erheblich beeinflussen können. Es bleibt abzuwarten, wie Frankreich mit diesen Herausforderungen umgehen wird und welche Maßnahmen ergriffen werden, um das Vertrauen der Investoren zu sichern und die Staatsfinanzen zu stabilisieren. Prof. Viebigs Analyse unterstreicht die Notwendigkeit einer verlässlichen Finanzpolitik, um die wirtschaftliche Stabilität in turbulenten Zeiten zu gewährleisten.

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