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Chinas Wirtschaft in der Liquiditätsfalle

Von Dr. Oliver Everling | 8.Oktober 2024

Die von der chinesischen Zentralbank beschlossenen Zinssenkungen und vom Politbüro der Kommunistischen Partei angekündigten Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft haben seit der letzten Septemberwoche ein Kursfeuerwerk am chinesischen Aktienmarkt ausgelöst. Noch ist allerdings nicht erkennbar, dass dieser Stimulus tatsächlich zu einem nachhaltigen Aufschwung der chinesischen Wirtschaft führen wird. Dazu sind die Herausforderungen, mit denen die chinesische Führung derzeit konfrontiert ist, zu komplex, urteilt Axel D. Angermann, der als Chef-Volkswirt der FERI Gruppe die konjunkturellen, geldpolitischen und strukturellen Entwicklungen aller für die Asset Allocation wesentlichen Märkte analysiert.

„Der Entschluss der Regierung, die im Immobiliensektor über lange Zeit entstandenen Exzesse abzubauen, hat dazu geführt, dass die Immobilienpreise seit rund zwei Jahren sinken. Das hat die chinesische Wirtschaft in eine Liquiditätsfalle bewegt: Sinkende Zinsen führen nicht zu einer Belebung der Investitionstätigkeit, weil die Akteure angesichts des hohen Überangebots an Wohnungen mit anhaltend sinkenden Preisen rechnen. Anders als beabsichtigt hat dies eine Kettenreaktion mit gesamtwirtschaftlich gravierenden Folgen ausgelöst: Wegen der aus den sinkenden Immobilienpreisen resultierenden Vermögensverluste wird auch der private Konsum massiv beeinträchtigt, was wiederum die gesamtwirtschaftliche Dynamik erheblich bremst“, so Angermann. „Der Versuch, dem mittels steigender Exporte entgegenzuwirken, ist nur in begrenztem Maße erfolgreich, weil die Weltwirtschaft insgesamt schwächelt und sowohl die US-amerikanische Regierung als auch neuerdings die EU-Kommission Maßnahmen gegen die Flutung ihrer Märkte mit günstigen chinesischen Produkten ergreifen.“

Die bisherigen Schritte zur Stabilisierung der Wirtschaft waren jeweils nur kurzzeitig erfolgreich, heißt es aus dem Hause der FERI. So stellte die Zentralbank 500 Milliarden Yuan für den Kauf leerstehender Wohnungen durch lokale staatliche Unternehmen bereit, wovon bisher nur 25 Milliarden genutzt wurden, da das Geschäft für die Firmen offenbar unattraktiv ist. Zudem gibt es Widerstand von Hausbesitzern, die auf Dauer geringere Marktpreise und eine ungünstige Veränderung der Sozialstruktur in ihren Wohnvierteln befürchten, wenn ein Großteil der Häuser als Sozialwohnungen vermietet wird. Für eine nachhaltige Stabilisierung der Immobilienpreise wäre ein großes Zentralbankprogramm notwendig, wie es zuletzt im Jahr 2015 der Fall war. Die derzeitigen Maßnahmen bleiben in ihrem Umfang deutlich dahinter zurück und zielen vor allem darauf ab, das BIP-Wachstumsziel von 5% zu erreichen und ein weiteres Abrutschen der Wirtschaft zu verhindern. Dieses Ziel immerhin dürfte wohl erreicht werden, zumal die Führung in Aussicht gestellt hat, die Maßnahmen bei Bedarf auszuweiten. Eine dauerhaft deutlich höhere Wachstumsdynamik ist jedoch unwahrscheinlich: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die chinesische Führung unter Xi Jinping ihre Prioritäten grundsätzlich verändert hätte, und diese Prioritäten liegen gerade nicht in einer hohen Wachstumsdynamik, sondern in möglichst umfassender Kontrolle und der Verfolgung spezifischer Ziele zur Stärkung (welt-)politischer Ambitionen.

Aufschlußreich war die ausbleibende Reaktion des Ölpreises auf die neuen Stützungsmaßnahmen: Würde Chinas Wirtschaft tatsächlich auf einen höheren Wachstumspfad einschwenken, hätte das erfahrungsgemäß den Ölpreis deutlich steigen lassen, da China weiterhin zu den größten Ölkonsumenten zählt. Bei chinesischen Aktien ergibt sich für professionelle Investoren angesichts der bisherigen dramatisch niedrigen Bewertung eine taktische Opportunität. Die strategischen Perspektiven bleiben allerdings verhalten.

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