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Die wachsenden Herausforderungen für Ratingagenturen in einem volatilen Marktumfeld

Von Dr. Oliver Everling | 13.Januar 2025

Die Herausforderungen für Ratingagenturen haben in den letzten Jahren zugenommen, und die jüngsten Entwicklungen an den Märkten sowie die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Europa und den USA tragen maßgeblich dazu bei. Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE, gibt in seinem aktuellen CIO View Einblicke in diese Dynamiken, die auch für Ratingagenturen relevant sind.

Die Inflation in der Eurozone bleibt ein zentrales Thema. Der jüngste Anstieg der Verbraucherpreise um 2,4 Prozent und die Kerninflation von 2,7 Prozent im Dezember 2024 verdeutlichen, wie hartnäckig sich die Teuerung hält. Viebig kommentiert: „Die Hartnäckigkeit, mit der sich die Teuerung in den vergangenen Monaten hält, scheint ein altes Sprichwort in der Inflationsbekämpfung zu bestätigen: Die letzte Meile ist oftmals die schwerste.“ Für Ratingagenturen entsteht hier die Herausforderung, die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen angemessen zu bewerten.

Eine weitere Unsicherheit ergibt sich aus der künftigen Wirtschaftspolitik des designierten US-Präsidenten Donald Trump. Laut Viebig könnte „sein protektionistischer Wirtschaftskurs den Preisdruck erhöhen“. Eine Erhöhung der Importzölle, insbesondere gegenüber China, würde nach Berechnungen von Oxford Economics „das allgemeine Preisniveau in den Vereinigten Staaten um einen ganzen Prozentpunkt in die Höhe treiben“. Bereits jetzt liegt die Inflation in den USA über der in Europa. So stiegen die US-Verbraucherpreise im November 2024 um 2,7 Prozent, während die Kerninflation sogar bei 3,3 Prozent lag. Diese Entwicklungen erhöhen die Komplexität für Ratingagenturen, da sie die langfristigen Auswirkungen einer protektionistischen Politik auf die Kreditwürdigkeit der USA und ihrer Handelspartner einschätzen müssen.

Trotz der anhaltenden Inflationsentwicklung rechnet Viebig mit einer Lockerung der Geldpolitik. „Treten diese Erwartungen ein, werden die Leitzinsen in der Eurozone deutlich stärker sinken als in den USA. In beiden Wirtschaftsräumen dürfte die Geldpolitik im Laufe des Jahres 2025 somit weniger restriktiv wirken als bisher.“ Ratingagenturen stehen hier vor der Aufgabe, die langfristigen Folgen einer expansiveren Geldpolitik auf die Stabilität von Finanzsystemen und die Bonität von Kreditnehmern zu analysieren.

Ein weiterer Aspekt, der für Ratingagenturen von Bedeutung ist, ist die unterschiedliche wirtschaftliche Dynamik zwischen Europa und den USA. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostizierte im Oktober 2024 für das Jahr 2025 ein Wachstum von 2,2 Prozent in den USA, während für die Eurozone lediglich 1,2 Prozent erwartet wurden. Viebig hebt hervor, dass „sich die europäische Wirtschaft in einem schlechteren Zustand befindet als die amerikanische“. Diese Unterschiede haben direkte Auswirkungen auf die Bonitätsbewertungen, insbesondere wenn es um die Beurteilung von Staaten und Unternehmen in verschiedenen Regionen geht.

Auch die Entwicklung der Aktienmärkte in den USA und Europa bietet Herausforderungen. Viebig stellt fest: „Die hohe Bewertung amerikanischer Aktien ist neben dem höheren erwarteten Gewinnwachstum in den USA auch auf die höheren Kapitalrenditen von Unternehmen in den USA zurückzuführen.“ Die Eigenkapitalrendite amerikanischer Unternehmen lag in den letzten fünf Jahren durchschnittlich bei 16,3 Prozent, während sie im Euroraum nur 10,9 Prozent erreichte. Diese Diskrepanz könnte langfristig Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit von Unternehmen haben, da Investoren höhere Renditeanforderungen an weniger profitable Märkte stellen könnten.

Zusammenfassend zeigt der CIO View von Prof. Dr. Jan Viebig, dass Ratingagenturen vor einer Vielzahl von Herausforderungen stehen. Sie müssen sowohl die Auswirkungen wirtschaftspolitischer Entscheidungen als auch die unterschiedlichen Inflations- und Wachstumsdynamiken in Europa und den USA bewerten. Hinzu kommt die Notwendigkeit, die Folgen einer lockeren Geldpolitik und die Marktentwicklungen für ihre Analysen zu berücksichtigen. Wie Viebig abschließend betont: „Obwohl ein Übergewicht in den USA weiterhin ratsam ist, sollten Anleger den Grundsatz der Diversifikation bei der Portfoliokonstruktion nicht ganz vergessen.“ Dies gilt auch für Ratingagenturen, die in ihren Bewertungen eine breite Perspektive einnehmen müssen, um Risiken und Chancen in verschiedenen Regionen angemessen zu berücksichtigen.

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