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Unternehmertrauma Ermittlungsverfahren
Von Dr. Oliver Everling | 23.Mai 2008
Rechtsanwalt Jesko Trahms, Düsseldorf, Spezialist für Wirtschafts- und Steuerstrafsachen mit großer Erfahrung in zahlreichen Großverfahren bei Peters Rechtsanwälten (www.peters-legal.com), zeigt Strafprozessrisiken im Zuge der politisch gewollten Kriminalisierung des Mittelstands und Absicherungsmöglichkeiten für Unternehmer auf. Der mittelständische Unternehmer ist im Fokus strafrechtlicher Ermittlungen. Seit einigen Jahren steht der Unternehmer vermehrt unter strafrechtlicher Beobachtung. Gründe dafür sind in der Ausweitung der Straftatbestände durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung, wie auch die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten bei den Verfolgungsbehörden, z. B. durch Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und personeller und materieller Aufrüstung der Finanzämter für Steuerstrafsachen.
Trahms zeigt die Besonderheiten des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens auf. Die Staatsanwaltschaft (StA) sei „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ mit weitreichenden Kompetenzen. Anders als in vielen anderen Rechtsordnungen habe der Staatsanwalt in Deutschland jegliche Kompetenz. Es reiche der Anfangsverdacht. Tatsächliche Praxis sei, dass für eine Anklage erforderlichen hinreichenden Tatverdachts. Nach § 160 Abs. II Stopp hat die StA auch entlastende Umstände zu ermitteln. Trahms: „Vielen Staatsanwälten ist dieser Paragraph gar nicht mehr bewusst.“ Es werde in der Praxis nur nach belastenden Tatbeständen gesucht.
Es gibt in Deutschland keine Kontrolle der Richter. Das Problem sei die mangelnde richterliche Kontrolle in Deutschland. Mit Hilfe von Durchsuchungen, Beschlagnahmungen, Abhörmaßnahmen, Haftbefehlen etc. werden Informationen mit richterlichem Spruch durchgeführt. Trahms verweist auf einen Fall, in dem ein Rechtspfleger dem Haftrichter einen Haftbefehl gegen sich selbst vorgelegt habe – auch dieser sei kommentarlos unterschrieben worden. Dieses auf Anhieb geglückte Experiment beweise, dass in den meisten Fällen Richter kaum Zeit finden, Einzelheiten der von ihnen zu unterschreibenden Haftbefehle einzusehen.
Im Ermittlungsverfahren gibt es nur eingeschränkte Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren. Rechte des Beschuldigten im Wesentlichen erst in einer gerichtlichen Hauptverhandlung. Die Akteneinsicht wird nur durch einen Verteidiger erreicht. Professionelle Hilfe bereits zu Beginn des Verfahrens sei daher zwingend notwendig, um nicht von vorneherein „auf verlorenem Post“ zu stehen. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!“ Das Problem sei die mangelnde Erfahrung der Beschuldigten im Umgang mit Behörden und Verfahren.
„Fast alle Verfahren werden in den ersten 5 bis 10 Minuten verloren“, warnt Trahms. Da stehe plötzlich ein Staatsanwalt im Schlafzimmer: Die meisten Unternehmer glauben, sie könnten in einer solchen Situation durch Reden Vertrauen gewinnen und weitere Schritte abwenden. In aller Regel würden sich Unternehmer hier schnell unbeabsichtigt und durch die Situation überwältigt in Widersprüche verwickeln, sich also weiter belasten.
Die meisten Unternehmer ein- und erstmalig eine solche Situation erleben und hätten deshalb keine Erfahrung mit dem Ablauf eines Ermittlungsverfahrens. Viele würden im Vertrauen auf die Funktionsfähigkeit der deutschen Justiz handeln und deshalb enttäuscht. Den Abschluss der Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erreichen, zielt auf eine Einstellung gegen Auflage nach § 153 a Stopp. Ansonsten gibt es das Strafbefehlsverfahren, immer notwendig seien Verhandlungen mit der StA zur Erreichung eines so genannten „Deals“. Dies können aber nur Profis, warnt Trahms. Auch schon ein früherer Bundeskanzler, der sich an seine Spender nicht mehr erinnern konnte, sowie Bankchefs mussten sich dieser Möglichkeiten bedienen, um eine „weiße Weste“ zu bewahren.
Das Gesetz sieht nur in Ausnahmefällen eine Beiordnung eines (nicht angemessen honorierten) Pflichtverteidigers in der Hauptverhandlung vor. Die Beauftragung eines Strafverteidigers sei Luxus! Dauer, Verlauf und Ausgang einer Hauptverhandlung seien meist nicht vorhersehbar. Das Problem sei die „Zusammenarbeit“ zwischen StA und Gericht sowie die Umkehr der Beweislast. Trahms berichtet von tragischen Fällen, bei denen erhebliche Kostenbelastungen für den Beschuldigten von Anfang an zu tragen waren.
Berufung und Revision seien Instrumente der Strafprozessordnung von 1872, so Trahms. Je geringer der Tatvorwurf, desto länger sei der Rechtsweg. Vermögensdelikte, Insolvenzdelikte, Steuerhinterziehung – das sind die strafrechtlichen Risikotatbestände. Umweltdelikte, Korruptionsdelikte, Arbeitsstrafrecht usw. geben Denunzianten zahlreiche weitere Möglichkeiten, Unternehmer unter Druck zu setzen. Für jeden GmbH-Geschäftsführer bestehe ein erhebliches Risikopotential, so Trahms, insbesondere wenn es um die Gründung und Kapitalbeschaffung einer GmbH gehe.
Warenbestellung in Kenntnis der aktuellen Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens führt zu einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes des Eingehungsbetruges nach § 263 StGB mit der Konsequenz der möglichen Eigenhaftung des Geschäftsführers für die Forderung des Gläubigers mit seinem Privatvermögen. Die Eingehung erheblicher Verbindlichkeiten für das Unternehmen ohne ausreichende Besicherung (sog. Risikogeschäfte) zieht Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Untreue (§ 266 StGB) nach sich. Der „Gummiparagraph“ der Untreue erlaube, viele Unternehmer schnell und einfach zu kriminalisieren.
Die Einladung eines Amtsträgers zu einem Formel-1-Wochenende mit Kost und Logis ohne Erwartung einer Konkreten Gegenleistung im Rahmen der „allgemeinen Klimapflege“ führt zu einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Vorteilsgewährung (§ 333 StGB). Die mögliche Eintragung des Unternehmens in das Korruptionsregister sei eine bittere Konsequenz, denn dann sei das Unternehmen fünf Jahre lang bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr dabei. Für skandalös hält es Trahms, dass Unternehmen auch dann in der Blacklist geführt werden, wenn das Verfahren eingestellt wurde.
Trahms tritt der Vorstellung entgegen, dass in Deutschland „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten, vor den Gerichten gelten würde. Ist ein Ermittlungsverfahren erst einmal eingeleitet, würde dem Angeklagten kaum noch geglaubt. Jeder Nachbar könne eine Anzeige erstatten, indem er Autonummern notiert und Unternehmern Verbindungen unterstelle, die für die Steuerfahndung interessant sein können.
Jeder kann unverschuldet mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überzogen werden; als Anfangsverdacht reicht schon eine anonyme Anzeige aus. Gerade der erfolgreiche Unternehmer sei daher besonders gefährdet („viel Feind – viel Ehr“). Auch das erhebliche Kostenrisiko eines Strafverfahrens sei nicht kalkulierbar. Da es – anders als im Zivilverfahren – für den Beschuldigten sehr oft um existentielle Fragen gehe, könne er seine Aufwendungen nicht „budgetieren“, warnt Trahms. Die Versicherungswirtschaft habe auf diese vermehrt auftretenden Risiken bereits reagiert und bietet entsprechende Produkte an. Die meisten Verfahren im Mittelstand richten sich nicht gegen das Unternehmen, sondern gegen den Unternehmer.
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