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Volle Vorurteilskraft voraus
Von Dr. Oliver Everling | 23.Juni 2008
„Schöner Artikel, bloß nicht die Wahrheit“, kommentiert ein Profi der Verbriefungsszene aus Deutschland den jüngsten Artikel von Vickie Tillman. Sie ist Executive Vice President für Ratings Services bei Standard & Poor’s und schrieb am 23. Juni 2008 einen Gastkommentar für die Financial Times Deutschland (www.ftd.de) mit dem Titel „Ratings: Volle Urteilskraft voraus“.
„Die Agenturen nehmen es von beiden Seiten“, bemerkt der Praktiker zu den Ausführungen der S&P’s Managerin. Standard & Poor’s hat in den ersten 50 Jahren seines Bestehens das Investor-Pays-Modell verwendet, nach dem also die Investoren eine Gebühr für den Zugang zu den Ratings bezahlten. „In dem damals sehr stabilen Umfeld für festverzinsliche Wertpapiere hat dieses System gut funktioniert. Vor allem große Energiegesellschaften und Banken begaben Anleihen mit Investmentgrade-Rating,“ argumentiert Tillman, „gekauft wurden sie meist von Versicherungen und Pensionsfonds.“
Ab den 70er-Jahren wollten die führenden Agenturen aber mehr: „Zum einen kam es zu Zahlungsausfällen, wie 1970 bei einem Commercial Paper der Penn Central Transportation Company oder der Stadt New York im Jahre 1975. Kleinere Unternehmen mit geringerer Bonität begannen, großvolumige Schuldpapiere zu begeben, komplexere Wertpapiere wie hypothekenbesicherte Anleihen kamen auf. Die Kapitalmärkte globalisierten sich, Investoren mussten die Kreditqualität von Unternehmen und Ländern weltweit verstehen.“
Infolgedessen, sol Tillman, verlangten Investoren immer mehr und umfassendere Analysen des Kreditrisikos. „Sie wollten aber die Kosten nicht tragen, die für eigene Recherchen oder für den Kauf dieser Informationen von Dritten wie Ratinggesellschaften anfielen.“ Tillman: „Es war also klar, dass unter diesen Umständen das Investor-Pays-Modell für den Markt nicht mehr taugte.“
In letzter Zeit wurde vorgeschlagen, dass mit einer Rückkehr zum Investor-Pays-Modell mögliche Interessenkonflikte reduziert werden könnten, räumt Tillman ein. „Dieser Vorschlag ignoriert jedoch, dass das Investor-Pays-Modell signifikante Nachteile und eigene potenzielle Interessenkonflikte birgt. So setzt das Investor-Pays-Modell den im Markt verfügbaren Informationen enge Grenzen, es verringert damit die Transparenz. Wenn nur eine privilegierte Gruppe von Investoren Zugang zu Ratings hat, schafft das ungleiche Voraussetzungen. Auch haben Investoren oft ein starkes Interesse an höheren oder je nachdem auch niedrigeren Ratings.“
Mit ihrem öffentlichen Plädoyer gegen das investorengetriebene Vergütungsmodell verschleiert Tillman, dass auch S&P’s die Früchte des Investor-Pays-Modells erntet. Die meisten Dienstleistungen sind eben auch für Investoren nicht kostenlos, sondern müssen gegen stattliche Gebühren abonniert oder im Einzelfall bezahlt werden. Die werbewirksame Verbreitung der Ratings liegt im Eigeninteresse der Ratingagentur. Potentielle Interessenkonflikte resultieren aber erst aus dem engen Verhältnis, das S&P’s zu wichtigen institutionellen Investoren unterhält.
„Die Issuer zahlen das Rating. Aus den Basisinformationen, die immer enger definiert werden, formen die Agenturen neue Investorenprodukte und chargen damit beide Seiten.“ So das Fazit des Experten aus der Praxis und kommentiert mit Blick auf die anhaltende Kritik an S&P’s den jüngsten Artikel in der FTD: „Schon cool, so zu agieren, wenn man unter Druck ist.“
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