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Respektlose Fragen aus dem Handelsblatt
Von Dr. Oliver Everling | 18.Dezember 2012
Mit der Weihnachtszeit nähert sich die Jahreswende, die manchen zum Nachdenken bringt über das, was im nächsten Jahr zu tun oder zu unterlassen ist. Wie kaum je zuvor werden auch die restlichen Zeitungsabonnements auf den Prüfstand gestellt. Zum Teil erledigen sich diese von selbst, wie beispielsweise bei der Financial Times Deutschland, bei anderen ist die Kündigung zu schreiben, um nicht länger Papier ins Haus zu bekommen.
Leider geht mit dem Zeitungssterben auch ein Stück guter Wirtschaftsjournalismus verloren. Welche hohe Qualität dieser haben kann, zeigt ein Buch aus dem Schäffer Poeschel Verlag mit dem Titel „Stimmt es, dass …? Respektlose Fragen zu Wirtschaftsordnung und Wirtschaftskrise“ (ISBN 978-3-7910-3269-6). Das Buch beruht auf der seit Februar 2012 täglich im Handelsblatt erscheinenden Kolumne „Stimmt es, dass …“ des Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring.
Für jeden, der rasch noch ein Last-Minute-Geschenk für einen an Wirtschaftsfragen Interessierten sucht, ist dieses Taschenbuch eine klare Empfehlung. Zwar gab sich der Verlag keine übermäßige Mühe mit dem grafischen Design der Umschlagsgestaltung, aber dafür wird der Leser mit der spannenden Lektüre von Antworten auf einfach klingende, aber provokante Frage belohnt.
Häring scheut keinen Versuch, trotz großer Komplexität der Zusammenhänge in wenigen Worten treffsichere Antworten zu geben. Teils greift er dabei auf gesicherte Volkswirtschaftslehre zurück („Ist die amtliche Inflationsrate willkürlich?“), teils auf die langjährige Vorarbeiten bestimmter politischer Gruppierungen („Ist Afrika zur Armut verdammt?“), usw.
Der Autor legt überzeugend dar, dass es eine „politisch neutrale“ Wirtschaftsforschung nicht geben kann. Häring skizziert auch, wie opportunistisch die USA mit Gläubiger- und Schuldnerrechten umgehen. Geht es um den Schutz von Unternehmen in den USA (wie beispielsweise General Motors), gehen Aktionäre leer aus. „Wenn es allerdings um Eigentumsansprüche amerikanischer Banken und Unternehmen im Ausland geht, gilt Gläubigerrecht. Hier gibt es eine lange Tradition der US-Regierungen, solche Ansprüche mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, bis hin zum Staatsstreich, durchzusetzen.“
Häring nimmt den Chinesen die Hoffnung, für ihre zwei Billionen US$ in den USA pfänden zu können: „Amerikanische Unternehmen nennenswerter Größe darf China jedenfalls nicht kaufen, wie es zum Beispiel 2005 nicht zum ersten Mal feststellte, als das chinesische Staatsunternehmen CNOOC den Raffineriebetreiber Unocal für 18 Mrd. € kaufen wollte.“
Auf dieser Argumentationslinie liegt auch seine Antwort auf die Frage „Fällen die Ratingagenturen politische Urteile?“ Moody’s stelle Deutschland auf eine Stufe mit den USA, obwohl Deutschland nur ein Zehntel (2011) des Defizits der USA aufweise, Deutschland die Verschuldung senkt, die USA erhöht, usw.
Seine Antwort ist zwar nicht falsch (denn über Ratingkriterien kann man immer trefflich streiten), übersieht aber einen gewichtigeren Aspekt. Die US-Ratingagenturen sind politisch viel gefährlicher durch die Urteile, die sie nicht aussprechen: Indem sie auf Wunsch der US-Administration diskreditierten Emittenten Ratings ganz entziehen, kappen sie politisch unerwünschte Kapitalströme in bestimmten Fällen ab. Für manche Emittenten ist „gar kein Rating“ viel hinderlicher als ein „schlechtes Rating“, da ohne Rating eine Vielzahl von institutionellen Anlegern gar nicht investieren dürfen – und zwar selbst solche, die nicht im Hoheitsbereich der USA ansässig oder tätig sind.
Häring wird der Aufgabe des Wirtschaftsjournalismus gerecht, in verständlicher Sprache komplexe Themen kompakt darzustellen. Wer die Ausgaben des „Handelsblattes“ verpasst hat, erhält mit diesem Buch Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen. Wer zu Weihnachten statt dem Buch „Stimmt es, dass … ?“ aber ein iPad oder ein anderes Tablet unter dem Weihnachtsbaum vorfindet, braucht auf Artikel aus der Feder Härings dennoch nicht zu verzichten: Das Handelsblatt bietet zahlreiche Texte von Norbert Häring auch online zur Lektüre.
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