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Regierungsentwurf schockt Scoringwirtschaft
Von Dr. Oliver Everling | 26.Dezember 2008
Schockwellen erreichten 2008 nicht nur die Ratingbranche, sondern auch alle, die in Deutschland mit Scorings arbeiten. Während die Ursachen der Ratingkrise in den USA lagen, sind die bösen Überraschungen beim Scoring deutschen Ursprungs: Im Juli 2008 stellte die Bundesregierung im Kabinett einen Entwurf zur [Ä]nderung des Bundesdatenschutzgesetzes vor. Hier zeigte sich, dass von der Regierungskoalition zwar gute Absichten verkündet, jedoch untaugliche Mittel gewählt wurden.
Als ob die Kreditkrise nicht genug wäre, schüttete die Bundesregierung weitere Verunsicherung sogar über die Kreditwirtschaft hinaus in den Handel, der auf verlässliche Daten zur Beurteilung seiner Kunden angewiesen ist. Nach Olaf Roik, E-Commerce-Experte des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE, http://www.einzelhandel.de/) werden 2008 „voraussichtlich 20 Milliarden Euro im Online-Handel umgesetzt“. Der Umsatzanteil des E-Commerce am gesamten Einzelhandelsumsatz liege bei etwa 3,5 Prozent, in einzelnen Branchen auch deutlich darüber. Ausgerechnet die wachstumsstarken Segmente der Wirtschaft würden nach Plänen der Bundesregierung abgewürgt.
Dabei profitieren von der positiven Entwicklung des Internethandels auch die schätzungsweise 50.000 Einzelhändler, die neben Ladengeschäften Webshops betreiben, so die Feststellung des HDE. Knapp 50 Prozent dieser Multi-Channel-Unternehmen würden mit einem weiteren Umsatzwachstum bis Mitte 2009 rechnen. Lediglich elf Prozent würden einen Umsatzrückgang erwarten. Roik: „2009 wird der Online-Handel ein Umsatzvolumen von voraussichtlich 21,9 Milliarden Euro erzielen. Damit steigen die Online-Shopping-Umsätze im Vergleich zu 2008 um 9,5 Prozent.“
„Der Versandhandel liefert in Deutschland ca. 80 Prozent aller Waren gegen Rechnung mit einem in der Regel mehrwöchigen Zahlungsziel. Das ist ein in Europa fast einzigartiges Verbraucherprivileg“, hebt Dr. Peter Rheinländer, LL.M., hervor, Rechtsanwalt und Justiziar des Bundesverbandes des deutschen Versandhandels (http://www.versandhandel.org/). Dass der Verbraucher die Möglichkeiten nutzen will, die ihm durch die Anwendung von Scoringverfahren eröffnet werden, beweist die Statistik: „Da zurzeit ca. 70 Prozent der Neukunden die Bestellung abbrechen, wenn die Lieferung nur gegen Vorkasse angeboten wird, würden die geplanten Regelungen das Geschäftsmodell zahlreicher junger Unternehmen der New Economy aber auch das der traditionellen Versandhäuser grundsätzlich in Frage stellen“, prognostiziert Rheinländer.
Die Stoßrichtung der Regierungskoalition ist insbesondere auch deshalb tragisch, da immer mehr Unternehmen auf Scorings angewiesen sein werden. „Wir beobachten, dass der stationäre Handel mit dem Online-Handel“, so Roik, „immer stärker verschmilzt. In wenigen Jahren werden die Grenzen vollständig aufgelöst sein, vor allem beim so genannten Multi-Channeling. Das ist eigentlich gar nichts Besonderes. Es geht immer um den Vertrieb, nur dass wir verschiedene Vertriebswege nutzen: stationär und online gemeinsam.“
Der SCHUFA-Vorstandsvorsitzende Rainer Neumann (http://www.schufa.de/) erklärte: „Das Ziel des Gesetzgebers, mehr Rechtssicherheit für Unternehmen und mehr Transparenz für Verbraucher bei der Speicherung und Weitergabe von Bonitätsinformationen zu schaffen, unterstützen wir voll und ganz. Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Regelungen bewirken teilweise jedoch das Gegenteil. Aus unserer Sicht besteht noch Nachbesserungsbedarf bei den geplanten Neuregelungen.“
„Der deutschen Wirtschaft würde durch ein solches Gesetz – übrigens eine wesentlich über bestehenden EU Gesetze hinausgehende Verschärfung – ein schwerer Schaden zugefügt“, warnten Jan Schneider-Maessen, Vorstandsvorsitzender des Vereins für Credit Management e.V. (http://www.credit-manager.de/) und der Datenschutzbeauftragte Harald Hahn, für den manches an der „Einstellung des Gesetzgebers grundlegend falsch ist“, in einem Brief an alle Mitglieder des Vereins: „Den Kauf auf Rechnung über das Internet wird dann sicherlich keine deutsche Firma mehr anbieten können.“ Rudolf Keßler, Certified Credit Manager (CCM) und Leiter Kredit der BayWa AG in München bringt die Irrwege von SPD und CDU/CSU mit der Gleichung „Kein Scoring = Kein Kauf auf Rechnung“ auf eine prägnante Formel.
In dem Gesetzesentwurf wird beispielsweise der zentrale Begriff einer Auskunftei nicht geklärt. Damit wird für Verbraucher nicht deutlich, welche Unternehmen Daten zu Kreditgeschäften ihrer Person speichern und weitergeben dürfen und welche nicht. Warum der Entwurf außerdem überraschenderweise akzeptiert, die Kreditwürdigkeit einer Person anhand von Informationen über ihre Wohngegend zu beurteilen (so genanntes „Geoscoring“), bleibt kaum erklärlich. Es soll reichen, den Verbraucher hierüber „im Kleingedruckten“ zu informieren. Damit wird die Transparenz als eigentliches Ziel der Neuregelung konterkariert.
Die Vorschläge der Bundesregierung richten sich nicht nur gegen die Kreditwirtschaft und den Handel, sondern auch gegen die Interessen der Verbraucher an einer reibungslosen Abwicklung ihrer Einkäufe. Konsumenten wollen nicht nur Zug-um-Zug, Bargeld gegen Ware, einkaufen, sondern auch über das Internet und den Versandhandel. Gerade in einem wirtschaftlich schwieriger werdenden Umfeld kann es außerdem für viele Verbraucher fatale Folgen haben, wenn sie mangels treffsicherer Scorings keinen Kredit mehr bekommen.
Nach Plänen von SPD und CDU/CSU muss jeder Käufer, der z. B. im Fachmarkt in der Warteschlange steht und seinen Flachbildfernseher im Sonderangebot finanziert haben möchte, die Überraschung fürchten, dass der Verkäufer die unzureichenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Schulden und Versäumnisse lautstark im Laden vorträgt, da er gesetzlich gezwungen ist, seinen Kunden mit den Gründen der Kreditablehnung zu konfrontieren. „Die Frage, ob ein Verbraucher die Gründe für eine Kreditablehnung erfahren möchte oder nicht, muss aber ihm selbst überlassen bleiben“, warnt Peter Wacket, Geschäftsführer des Bankenfachverbandes in Berlin (http://www.bfach.de/).
Im Sinne von mehr Rechtssicherheit und Transparenz setzen sich die professionell agierenden Anbieter wie die SCHUFA für die gesetzliche Regelung der Zulassung von Auskunfteien ein. Den Verbrauchern kann darüber hinaus auf einfachem Weg – beispielsweise über eine übergeordnete Internetseite – ermöglicht werden, die über sie gespeicherten Daten bei allen zugelassenen Auskunfteien zu erfahren. Schon heute erlaubt die SCHUFA Einsicht über gespeicherte Daten durch ihr Portal http://www.meineschufa.de/.
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