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Hofschranzenkapitalismus?
Von Dr. Oliver Everling | 27.Januar 2009
Commerzbank, Dresdner Bank, Schaeffler-Gruppe – Friedrich Kluge gibt in seinem Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Aufl.., bearbeitet von Elmar Seebold, de Gruyter, Berlin 2002, eine Deutung des seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlichen Begriffs „Hofschranze“ preis: Das Wort werde etymologisch hergeleitet aus dem mittelhochdeutschen Wort Schranz(e) „Riss, Schlitz“, auch „geschlitztes Gewand“, das dann metonymisch auf den Träger solcher seit dem Spätmittelalter als Requisit höfischer oder patrizischer Prachtentfaltung üblichen Gewänder übertragen und im Neuhochdeutschen als Kompositum „Hofschranze“ beibehalten worden sei.
Ob die abwertende Bezeichnung „Hofschranze“ für einen Höfling am Hof eines Fürsten auch auf heutige Manager passt, ist fraglich. Er impliziert negative Charakterzüge und Verhaltensweisen wie Gefallsucht, Schmeichelei und Heuchelei. Sicher ist aber, dass das Wort im heutigen Sprachgebrauch auch für Personen im nicht-höfischen Umfeld einer hochgestellten oder einflussreichen Persönlichkeit gebraucht wird.
Unter Kapitalismus wird eine Wirtschaftsordnung verstanden, die auf Privateigentum und Marktwirtschaft beruht. Um Hofschranzenkapitalismus handelt es sich dann, wenn sich der Ordnungsgedanken des Kapitalismus mit willkürlichen Eingriffen verbindet, die auf den Fähigkeiten „moderner“ Höflinge beruhen, sich in der Politik an maßgeblicher Stelle Gehör und Einfluss zu verschaffen – und letztlich durch die seit Jahrhunderten bekannten Charakterzüge und Verhaltensweisen die Gunst von Ministern und Ministerpräsidenten erschleichen. Die in der Beziehung der Kontiguität, das heißt der sprachlichen Nachbarschaft oder realen sachlichen Zusammengehörigkeit, liegende Metonymie im Wort „Hofschranzenkapitalismus“ sei daher erlaubt.
Für Ratinganalysten liegt im Hofschranzenkapitalismus ein ungeheure Herausforderung: Nicht wirtschaftliche Faktoren, sondern die Gunst von Politikern entscheidet darüber, welche Wirtschaftseinheiten in der Lage sein werden, ihren zwingend fälligen Zahlungsverpflichtungen stets vollständig und rechtzeitig nachzukommen. Akribische Analysen und detaillierte Auswertungen von Kennzahlen nutzen nichts, wenn ein charmantes Lächeln eine Staatsgarantie oder Bürgschaft bewirken kann. Wenn sinkende Eigenkapitalquoten, nachhaltige Verluste, überhöhte Kaufpreise durch Fehlspekulationen und Wertverfall keine Indikatoren für nahende Insolvenzen sind, stehen Ratings in der Gefahr, für Außenstehende ebenso unerklärlich zu erscheinen wie die Willkürakte der Politiker.
Wäre die Commerzbank schon im letzten Jahr ordnungsgemäß in die Insolvenz gegangen, nachdem sie sich mit der Übernahme der Dresdner Bank verhoben hatte, wäre es zur Schieflage bei der Schaeffler-Gruppe möglicherweise erst gar nicht gekommen: Das Missmanagement bei der Commerzbank wäre gestoppt worden, so dass es auch keine Kredithoffnungen für die Schaeffler-Spiele gegeben hätte. Längst wäre dann klar gewesen, dass Frau Maria-Elisabeth Schaeffler und ihr Sohn nicht ohne weiteres mit Milliardenkrediten maroder Banken hätte rechnen können.
Ertrags- und wachstumsstarke Einheiten, die in der Commerzbank, in der Dresdner Bank wie auch in den Unternehmen der Schaeffler-Gruppe zu finden sind, werden durch die Spiele an den Unternehmensspitzen und die Willkürakte der Politik belastet. Ohne staatliche Garantien wären viele diese Einheiten einerseits attraktive Übernahmekandidaten für solide geführte Übernehmer, andererseits auch Kandidaten zum Beispiel für Management-Buyouts und damit Chancen für erfolgreiche Manager gewesen, in die Unternehmerrolle zu wechseln. Der Instrumentenkasten einer sozialen Marktwirtschaft umfasst weit mehr Sanierungs- und Restrukturierungsmöglichkeiten, als nur durch staatliche Garantien marode Herrschaftsstrukturen zu bewahren.
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