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Der große Neustart

Von Dr. Oliver Everling | 27.September 2015

Wenn Amerikaner ein Buch schreiben, scheint es fast schon eine Selbstverständlichkeit, dass dieses im Erfolgsfall in viele Sprachen übersetzt wird. Wenn sich Autoren aus Europa zu Wort melden, ist die Wegstrecke hin zur Übersetzung in andere Sprachen viel länger, obwohl doch gerade Europa mehr Sprachenvielfalt und mehr Amtssprachen aufzuweisen hat, als der ganzen amerikanische Kontinent. Besonders weit ist der Weg für diejenigen Autoren, die sich in ihren Argumentationen nicht durchweg US-amerikanischen Interessen beugen wollen. Umso beachtlicher daher der Erfolg, wenn es trotz dieser wiedrigen Umstände einem Autoren gelingt, die Aufmerksamkeit auch internationaler Verlage zu gewinnen.

Einer von diesen Autoren ist der Niederländer Willem Middelkoop, WIrtschafts- und Finanzjournalist und Gründer des Commodity Discovery Fund. Ähnlich wie Max Otte gelang es Middelkoop schon vor der Finanzkrise, Gründe für ihr mögliches Entstehen zu identifizieren und in seinem Buch „Als de dollar valt“ 2007 zu veröffentlichen. Mit „The Big Reset“ erweckte er Anfang 2014 international Aufmerksamkeit. Dank Übersetzung durch Wolfgang Wurbs liegt der Titel nun als „Der große Neustart“ im Wiley-VCH Verlag auch in deutscher Sprache vor. Das deutsche Buch kommentiert auch schon jüngste Entwicklungen aus 2015.

Der Untertitel „Kriege um Gold und die Zukunft des globalen Finanzssystems“ zielt insofern über das Ziel des Buches hinaus, als dass es hier keineswegs um militärische Auseinandersetzungen geht. Allenfalls könnte man wenigen Sätzen über den Irak-Krieg der USA und die Motivation der USA, den Irak wieder zur Fakturierung der Öllieferungen in US-Dollar zu zwingen, in dieser Richtung deuten.

Die Hauptkapitel des Buches von Middelkoop tragen eher lehrbuchartigen Titel wie „Die Geschichte des Geldes“ und „Die Geschichte des Dollar“ – Themen, an denen sich auch schon viele andere Autoren, insbesondere nach der Finanzkrise, versucht haben. Middelkoop gelingt es besonders geschickt, in die eigentlich trockene Materie einen Spannungsbogen zu bringen und zum Beispiel die Neugier des Lesers durch das ganze Buch hindurch zu wecken und zu bewahren, indem er seinen Textabschnitten jeweils eine konkrete Frage voranstellt, die er ebenso konkret beantwortet. Der stete Erkenntnisgewinn motiviert zum Weiterlesen.

Wer das Buch von Middelkoop liest, dem wird klar, dass die USA eigentlich schon 1971 insolvent waren. Die einseitige Aufgabe des Goldstandards durch Richard Nixon war eine mit euphemistischen Erklärungen getarnte Bankrotterklärung, die nur eine schnelle Einigung mit Saudi-Arabien das von den USA dominierte Weltwährungssystem überleben ließ. Indem sich Saudi-Arabien auf Betreiben von Kissinger darauf verpflichten ließ, gemeinsam mit anderen OPEC-Staaten ihr Öl nur gegen US-Dollar zu verkaufen, war praktisch der Rest der Welt gezwungen, sich weiterhin US-Dollar zu beschaffen – koste es, was es wolle. So blieben an einigen Sonntagen Mitte der 1970er Jahre auch in Deutschland die Autos stehen. So gesehen waren diese Ereignisse in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern der Preis dafür, dem US-Dollar auch dann noch seine Vormachtstellung zu garantieren, als jede Golddeckung verlorengegangen war.

Offenbar ist auch Middelkoop davon überzeugt, dass die Zentralbanken schon lange zur systematischen Verschleierung der Implikationen ihrer Politik übergegangen sind. Da eine „Operation Anheizen der Druckerpresse“ das „Vertrauen der Öffentlichkeit in den Wert des Geldes gefährden würde, hat sich die Fed für den den wahren Sachverhalt verschleiernden Ausdruck ‚Quantitative Easing‘ (quantitative Lockerung) entschieden. Nur einer von einer Million Menschen würde verstehen,“ schreibt Middelkoop, „dass QE damit zu tun hat, dass mehr Geld gedruckt wird.“

Das Buch von Middelkoop gibt manche außerhalb der Niederlande weniger bekannte Geschichte preis, wie zum Beispiel die über die Entstehung der Zentralbanken – den „Alchemisten unserer Zeit“, wie Middelkoop formuliert. „Um all die verschiedenen Münzen bewerten zu können und gleichzeitig die Abhängigkeit der Stadt von einer Reihe von Geldwechslern zu verringern, wurde im Jahr 1609 die Amsterdamer Wisselbank gegründet. Sie wir häufig als die erste Zentralbank bezeichnet.“ Das historische Beispiel vereinfacht es dem Leser zu verstehen, was noch heute in den Zentralbanken der Welt passiert.

Die Abkoppelung der Geldschöpfung von knappen Gütern wie dem Gold hat letztlich zu unserem Schuldenplanet geführt. Middelkoop verwöhnt den Leser mit zahlreichen Statistiken, die die insbesondere nach der Finanzkrise gestiegene Verschuldung belegen. Middelkoop zeigt auf, wie die Federal Reserve Bank of New York im Interesse ihrer Anteilseigner agiert, nämlich Banken, die von der Monopolisierung und staatlichen Sanktionierung des US-Dollars als allein gültigem gesetzlichen Zahlungsmittel profitieren.

Im Unterschied zu anderen, stärker von der Österreichischen Schule, Ludwig von Mises usw. beeinflussten Autoren klammert sich Middelkoop jedoch an das Gold, kritisiert zwar die Abhängigkeit der Zentralbanken von der Politik usw., kommt aber nicht darauf zu sprechen, dass jedes staatliche Zwangsgeldmonopol, gleich, ob an Gold gebunden oder als fiktives Fiat-Geld, zu mehr oder weniger korrupten Machenschaften, Fehlsteuerungen und dysfunktionalen Allokationen volkswirtschaftlicher Ressourcen führen dürfte.

Middelkoop geht ausführlich darauf ein, wie auch die Gold- und Silbermärkte staatlich manipuliert werden. Er widmet dem „Krieg gegen das Gold“ ein ganzes Kapitel. Zu welchen Maßnahmen Regierungen fähig sind, wenn der Wert ihres Geldes in Gefahr gerät, zeigt die Geschichte der USA: „Um aus der Depression herauszukommen, legte Präsident Roosevelt einen Plan zur Erholung der Wirtschaft vor, der ‚New Deal‘ genannt wurde. Der Plan enthielt einen ‚Gold Reserve Act‘, der Ende Januar 1934 vom Kongress verabschiedet wurde und die US-Regierung ermächtigte, das gesamte Gold der Fed zu konfiszieren und unter die Kontrolle des US_Finanzministeriums zu stellen“, berichtet Middelkoop und zeigt außerdem die drakonischen Strafen auf, die bei privatem Besitz von Gold und Silber verhängt wurden.

Das letzte Kapitel des Buches von Middelkoop enthält den eigentlichen „Neustart“ und wie dieser konkret aussehen könnte. Hier lässt er insbesondere die chinesische Perspektive zu Wort kommen, z.B. Zhou Ming, General Manager der Edelmetallabteilung bei ICBC: „Da der Status des US-Dollar als internationale Reservewährung erschüttert ist, muss eine neue globale Währungsstruktur konzipiert werden.“

Zu diesem Denken kam es nach Worten von Middelkoop, „nachdem die chinesische Ratingagentur Dagong im Jahr 2013 die US-Schuldtitel von A auf A- herabstufte“. China habe gerade mit Dutzenden Ländern eine sehr große Zahl an Vereinbarungen über Währungs-Swaps abgeschlossen, was dazu führen werde, dass die Verwendung des US-Dollar im Handel Chinas abnehme. Auch der ehemalige Fed-Chef Paul Volker habe auf dem jährlichen Treffen des Bretton-Woods-Komitees vorgeschlagen, auf einen Neustart des Währungsystems hinzuarbeiten.

Middelkoop macht plausibel, warum die Chinesen ihre US-Dollarreserven nutzen, um gezielt den Goldpreis niedrig zu halten und bei niedrigen Goldpreisen ihre Goldbestände kräftig zu erhöhen. Nur so könne es China gelingen, anteilsmäßig mit anderen Reservewährungen gleichzuziehen. Nur mit höheren Goldreserven sei China gegen das Endspiel der USA geschützt, sich durch Inflation und Abwertung von ihrer Schuldenlast zu befreien und eine Vermögensverschiebung zu Lasten Chinas und anderer Länder zu erreichen.

Das flüssig übersetzte Buch von Middelkoop liest sich schnell, zumal der Leser keine Langeweile befürchten muss. Geschickt streut Middelkoop auch manche spannende Geschichte ein, wie etwa die über das Goldlager unter der Federal Reserve Bank of New York, das über einen Tunnel direkt mit dem Tresor des von den Chinesen erworbenen ehemaligen Gebäudes von J.P. Morgan verbunden sei.

Themen: Länderrating, Rezensionen | Kommentare deaktiviert für Der große Neustart

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