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Risikolandschaft färbt sich rot
Von Dr. Oliver Everling | 28.April 2016
Auf dem 10. coface Kongress „Länderrisiken 2016″ werden die aktuellen Entwicklungen in der Weltwirtschaft diskutiert. Unter dem auf die Lokation des Fußballstadiums anspielenden Titel „Doppelpass: Länderrisiken reloaded“ diskutieren auf dem Podium der coface Arena in Mainz Dr. Mario Jung, Senior Regional Economist NER, Coface, und Jochen Böhm, Regional Risk Underwriting Director NER, Coface, unter der Moderation von Erich Hieronimus, Pressesprecher NER, Coface.
„Die politischen Risiken nehmen zu“, stellt Dr. Mario Jung fest. Der Senior Regional Economist bei Coface blickt dabei nicht nur auf Russland oder den Nahen Osten. „Auch in Europa wirken politische Themen auf die Wirtschaft.“ Negative Reize seien hier im Angebot, greift Jung das Thema seines Vorredners vom Vormittag auf, Prof. Dr. Roland Erben.
Die Schwäche der Emerging Markets, die Rohstoffpreise und die Risiken für die politische Stabilität sieht Jung im Mittelpunkt bei der Erörterung der derzeit größten Risiken bei schwachem Wachstum. „Inzwischen wird ja sogar die Wahl des amerikanischen Präsidenten als Risikofaktor für die Wirtschaft wahrgenommen, für mich ein neues Phänomen“, steckt Jung die Bandbreite der möglichen Faktoren ab, die man als Risiko für die Volkswirtschaften sehen kann.
Das weltwirtschaftliche Wachstum sein japanisch geworden. Für 2016 sehe die Coface ein Wachstum von 2,7 %. Insbesondere in den Schwellen- und Entwicklungsländern sei das Wachstum nicht mehr wie einst. „Wir haben gravierende strukturelle Probleme in diesen Ländern gesehen.“ In manchen Ländern kämen die Negativfaktoren gleichzeit zum Tragen. Die Wachstumsstory der Emerging Markets bleibe eingetrübt.
Für China erwartet die Coface ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in HÖhe von 6,5 %, in etwa in der Größenordnung wie die chinesische Staatsführung. Die Frage sei daher, wie „hart“ eine weiche Landung Chinas sei. „China produzierte in zwei Jahren so viel Zement wie die USA im gesamten 20. Jahrhundert“, kommt Jung auf das Problem der Überkapazitäten in China zu sprechen.
In China wwürden die Zahlungsverzögerungen zunehmen. Davon berichten immer mehr Unternehmen. Der Bausektor, Metallbereich, IT und Telekom, aber auch im Konsumsektor seien Zahlungserfahrungen von der Wachstumseintrübung gekennzeichnet.
Stärker noch als in China würden die Belastungsfaktoren aber in Brasilien wirken, so Jung und warnt: „Ordnung und Fortschritt sehen anders aus!“ Es würden in Brasilien auch in der Politik die Personen fehlen, die das Vertrauen der Bevölkerung rechtfertigen würden.
In Russland laufe ein sehr interessantes Phänomen ab. In Russland laufe ein Prozess der Importsubstitution an. Die russische Staatsführung versuche, die Importe durch eigene Produkte zu substitutieren. Landwirtschaft, Ernährung, Pharmazie würden davon in Russland profitieren. „Selbst wenn wir in einigen Branchen Aufwärtsbewegungen sehen, sind Sanktionen insgesamt nicht positiv zu sehen“, macht Jung klar.
Jung kommt auf Fluch und Segen der „harte“ Landung der Rohstoffpreise zu sprechen. In vielen Ländern sei der private Verbrauch durch den Verfall der Energiepreise angetrieben worden. Die Rohstoffexporteure seien insbesondere in den Schwell- und Entwicklungsländern zu finden, „deren Rechnung haut jetzt nicht mehr hin“, macht Jung klar. Das könne auf Exportnationen wie Deutschland zurückschlagen, denn viele Maschinen usw. wurden aus Deutschland in diese Länder exportiert.
Für Deutschland könne man sagen, dass die Schwäche der Emerging Markets in Deutschland angekommen sei. Auch der Effekt von China sei in Deutschland spürbar, denn Deutschland sei viel stärker von China abhängig als andere Länder in Europa. Deutschland habe noch eine starke Binnennachfrage und insofern nicht länger der „kranke Mann Europas“. Im vergangenen Jahr gab es für Osteuropa eher Herauf- als Herabstufungen.
Der Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union, der Zusammenhalt mit Großbritannien – oder gibt es den Brexit? – sowie Fragen nach dem Weg der USA beschäftigen die Wirtschaftsexperten. „It’s politics, stupid!“ Mit diem Spruch überschreibt Jung weitere zentrale Fragen: Steht uns „Trumponomics“ bevor? Führt die EZB weiter schweres Geschütz auf?
Mit „Mind the gap!“ kommt Jung auf den möglichen Brexit zu sprechen. Politische und Handeslbeziehungen müssen neu verhandelt werden, die Unsicherheit dämpft Investitionen, die Abwertung des Pfund, der Verlust an Wirtschaftsleistung usw. sind Risiken, die Jung nicht unterschätzt sehen will.
Jung kommentiert die Risikoweltkarte der Coface. Die Risikolandschaft sei immer deutlicher von der Farbe Rot gekennzeichnet. Nur noch wenige Staaten stehen auf „Grün“. „Leider keine positive Stimmung“, räumt Jung ein.
Hieronimus lässt die Aussagen früherer Redner auf dem Kongress „Länderrisiken“ mit einem prägnanten Video Revue passieren. Böhm berichet, wie die Krise schlagartig auch die Kreditanträge beeinflusste. Die Anfragen gingen zurück, der Aufschwung in einigen Regionen Südeuropas kehre dies nun wieder um. Erfolgreiche Reformarbeit in Spanien und Portugal seien hier zu nennen. In Griechenland stieg die Coface ganz aus. „Das hätte man sich nicht vorstellen können, dass wir einmal aus einem Land in Europa ganz aussteigen. Unsere Prognose ist, dass Griechenland wieder Probleme haben wird.“
Manche Kunden der Coface habe in Griechenland weiter Geschäfte gemacht, zum Teil aber bitteres Lehrgeld bezahlt, berichtet Böhm. Inzwischen habe die Coface für ausgewählte Unternehmen in Griechenland wieder Linien eröffnet.
Investitionen aus dem Ausland, Verwaltungsstrukturen verbessern – Jung sieht in Griechenland durchaus einige Bewegungen in die richtige Richtung. Auf jeden Fall müsse aber ein deutlicher Abbau der Arbeitslosigkeit kommen, das sei noch nicht in Sicht. Die EU gebe viel Geld hinein. Über sehr viel Anschubfinanzierung aus der EU hätten es die Osteuropäer geschafft, aus ihrem Tief herauszukommen. Hieronimus erinnert daran, wie es massiven Widerstand gegen die Maßnahmen gab.
Böhm unterstreicht, „wir schauen auf das einzelne Unternehmen“. Die Geschäftsbeziehung, die Partnerschaft, dürfe nicht zu kurz kommen. „Kann ich dem Unternehmen vertrauen?“ Das sei eine zentrale Frage, dann könne man auch entsprechende Geschäfte betreiben.
Hieronimus kommt auf Aussagen von Jean Claude-Juncker auf dem Länderrisikokongress 2011 zu sprechen, ob die Regulierung der Finanzmärkte die Risiken überschaubar und beherrschbar gemacht haben. Böhm glaubt, dass die Risiken im Finanzsektor eher aus Schwellen– und Entwicklungsländern kommen würden als aus den Industrieländern. Böhm warnt zudem vor „Konsolidierung um jeden Preis“, denn durch Investitionen in die Infrastruktur könnten durchaus noch signifikante positive Effekte gegeben werden.
Hieronimus kommt auf das Demokratiedefizit in manchen Ländern Europas sowie die Disintegration zu sprechen. Die Risiken müsse man zwar im Blick haben, aber negative Effekte auf die Wirtschaft seien zurzeit noch nicht zu erkennen. Auch konservative Regierungen hätten ein Interesse an ihrer jeweiligen Wirtschaft.
Themen: Länderrating | Kommentare deaktiviert für Risikolandschaft färbt sich rot
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