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Scheinheilig

Von Dr. Oliver Everling | 23.Februar 2018

Auf den Weltranglisten der wertvollsten Konzerne der Welt besetzen Unternehmen aus Europa inzwischen hintere Plätze. Finanzministerien und Politiker bis zur Ebene der Europäischen Union befassen sich damit, wie sich Europa ein Stück vom Vermögen der Technologiekonzerne wie Alphabet, Amazon, Apple usw. durch Ändern der Steuergesetzgebung holen kann. Die Diskussion um die AAA-Konzerne, die wachsenden Wohlstand auch in die Schwellenländer schneller gebracht haben als je zuvor, blendet über noch viel größere Vermögen hinweg, die mitten aus Europa heraus gesteuert werden, namentlich durch die Kirchen.

Das Buch aus dem FinanzBuch Verlag „Scheinheilig – Das Billionen-Vermögen der Katholischen Kirche“ von Hans-Lothar Merten lenkt den Blick auf die sich einem aussagefähigen Rating entziehende Institution, die nicht erst seit 20 Jahren ein Milliardenvermögen steuert. Das hoch aktuelle Buch kommt zum rechten Zeitpunkt, zu dem die Führungskrise der katholischen Kirche eskaliert. Papst Benedikts Rücktritt und die Skandale um die Vatikanbank 2013 waren nur Elemente in der Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Reformern, die nach Ansicht von Merten „gerade erst begonnen zu haben“ scheint.

Merten setzt sich aktuell mit dem Fundament der Kirche auseinander, das auf einem – betriebswirtschaftlich gesprochen – einzigartigen Geschäftsmodell beruht und vom Islam (mit noch wachsendem Erfolg) kopiert wurde. Das Christentum würde sich heute wohl nur mit mäßiger Bedeutung – wenn überhaupt noch existent – in das Sammelsurium der mehr als 2200 Religionen der Welt fügen, wenn nicht vor rund 1700 Jahren die finanzielle Schieflage des Römischen Caesarenreiches zum Systemwechsel gezwungen und die Grundlage für jahrtausendewährende Vermögensakkumulation gelegt hätte.

Zur Rekapitulation: Der Mailänder Vereinbarung aus dem Jahre 313 n.Chr. folgte die Privilegierung des Christentums im Römischen Reich. Kaiser Konstantin sicherte sich seine Macht. Das Christentum kam willkommen, um sich alten Ansprüchen und Verbindlichkeiten zu entziehen und durch eine Hyperinflation Vermögen in ungeheuerlichem Maße umzuverteilen. Diese Schubumkehr – aus Verfolgten wurden Privilegierte – schuf die entscheidende Voraussetzung zum Kern des Geschäftsmodells der Kirche, durch Mission für immer mehr zahlende Gläubige zu sorgen und kirchliches Vermögen anzuhäufen.

Die meisten anderen Religionen genügen ihren Gläubigen und kennen nicht den für Christen maßgeblichen Missionsauftrag, der die Zerstörung und Ausplünderung fremder Kulturen bis heute – und nicht nur zur Zeit der Conquista – legitimiert. Der Welterfolg dieses Schneeballeffektes sichert der Katholischen Kirche steten Vermögenszuwachs.

Das Buch von Merten befasst sich jedoch weniger mit den historischen Wurzeln, sondern mit der heutigen Katholischen Kirche: dem Unternehmen Kirche, den Spenden, Kirchensteuern und nicht enden wollenden Staatszuschüssen, dem Kirchenschatz und den Machtkämpfen. Steuerliche Abzugsfähigkeit, Privilegien und Subventionen sorgen dafür, dass auch diejenigen die Last der Katholischen Kirche zu tragen haben, die ihr nicht angehören.

Obwohl die Kirche zu den intransparentesten Organisationen überhaupt gehört, gelingt es Merten, an vielen Stellen Licht in die klerikale Finsternis zu werfen: Klosterorden, weltliche Orden, Verbände in der Weltkirche, Caritas, Missionswerke, Kirchenstiftungen, „Reisen im Namen des Herrn“, Urlaub und Wellness im Kloster, Ferienwerke und Freizeiteinrichtungen, Hotels, Klosterbrauereien, Weingüter, Medienunternehmen, Bibliotheken und Büchereien, Museen, Katholische Wohnungs- und Siedlungsunternehmen, Kirchenbanken, Kirchenfonds, Kirchenversicherungen, Handel – geistliche und ökonomische Macht unter dem Dach der Weltkirche.

Die Katholische Kirche verfügt über kaum monetär zu bemessende Vermögenswerte und Opportunitätskostenvorteile. Merten kommt auf diese nicht zu sprechen, wie beispielsweise den Geldwert, der aus der um die Katholische Kirche gezogenen rechtlichen Schutzzone resultiert, die nicht an den Grenzen des Vatikanstaates endet. Willkür wird in der Katholischen Kirche durch Kirchengesetze und eigene Gerichtsbarkeit geschützt. Die Katholische Kirche darf beispielsweise rücksichtslos diskriminieren, was durch Antidiskriminierungsgesetze sonst allen Unternehmen strengstens verboten ist, kennt weit über den Vatikan hinaus keine Mitbestimmung, braucht keine Frauenquote einzuhalten und darf auch Alte, Kranke und Kinder zur Arbeit heranziehen – und das nicht nur zur Vorbereitung eines katholischen Kinderfestes. Während sonst jede Organisation auf die Einhaltung von Tarifverträgen und Mindestlöhnen kontrolliert wird, stehen die zahllosen Helfer, die unentgeltlich für die Katholische Kirche zum Dienst verpflichtet sind, in keiner Bilanz.

Während Wohnungsunternehmer mit übler Nachrede, Anschwärzungen, Hausbesetzungen und de facto Enteignungen rechnen müssen, wenn sie ihre Immobilien auch nur vorübergehend ungenutzt lassen, ist es der Katholischen Kirche erlaubt, ein Milliardenvermögen an leerstehenden Immobilien in Top-Innenstadtlagen der Zivilgesellschaft dauerhaft zu entziehen. Über den effizienten Einsatz ihrer Mittel ist sie keine Rechenschaft schuldig. Kaum hochzurechnen ist auch, zu welchen Milliardenwerten sich letztwillige Verfügungen über Erbschaften addieren, für die schon heute in Testamenten festgeschrieben ist, dass sie der Katholischen Kirche zufallen werden.

Von einem Buch im Umfang von 269 Seiten, wie es Merten vorlegt, darf nicht erwartet werden, auch nur annähernd vollständig die Vermögenswerte der Katholischen Kirche zu erfassen. So sind seine Ausführungen zum Kirchenschatz im Vatikan und Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Großbritannien, Schweiz, Österreich, in den USA, Argentinien und Deutschland sowie speziell in Deutschlands Diözesen eher nur Schlaglichter als vollumfängliche Ausleuchtungen der Schatzkammern. Die wohl gehüteten Geheimnisse der Kirche bleiben auch einem ambitionierten Autoren wie Merten letztlich unzugänglich.

Weitere Enthüllungen zu Kreuzzügen, den vielen Greueltaten der Kirche, den Machenschaften am Hof des Papstes, den Kinderschändungen und Missbrauchsfällen, zur Korruption und Geldwäsche in der Kirche und sonstigen Verfehlungen sind nicht Gegenstände dieses Buchtitels. Das Buch empfiehlt sich als Sachbuch, das der ökonomischen Rolle der Katholischen Kirche und der Struktur ihres Billionen-Vermögens gewidmet ist.

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