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Auch die sicheren Häfen sind in Gefahr
Von Dr. Oliver Everling | 10.Oktober 2014
„Die Mehrheit der Deutschen glaubt nicht daran, dass es bei der Geldanlage überhaupt möglich ist, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Das meiste Geld investiert sie daher in die eigene Wohnung oder ins Eigenheim.“ Dass doch mit gesundem Menschenverstand der eine oder andere Blick in die Zukunft zu gelingen vermag, stellt Guido Lingnau in seinem Buch unter Beweis.
Guido Lingnau „Auch die sicheren Häfen sind in Gefahr – Schützen Sie Ihr Vermögen vor der demografischen Katastrophe“ 288 Seiten ISBN 978-3-89879-869-3 FinanzBuch Verlag, München 2014.
Im ersten Kapitel geht es um Prognosen und die analytischen Werkzeuge, „The trend is your friend“, Mode- und Megatrends. Lingnau taucht tief in die Geschichte ein, indem er sich Kondratieff-Zyklen vornimmt, Superzyklen an den Aktienmärkten, politische Ereignisse vom Fall der Mauer bis zum Putin-Hitler-Vergleich, Finanzkrisen und Preisentwicklungen. Im dritten Kapitel geht er Fragen nach dem Wie und Warum nach, identifiziert alterabhängiges Verhalten in den fünf Rollen „Produzieren, Konsumieren, Investieren, Sparen, sowie Reformieren und Risiken eingehen“. In diesem Kapitel geht er auch dem Kernelement seiner Argumentationen nach, nämlich den demografischen Wellen und den aus ihnen folgenden – wie er es nennt – „Jahreszeiten“: Es folgt ein Kapitel über die nächsten Krisenherde, ein Kapitel über lohnende Investitionsländer sowie ein Kapitel über konkrete Empfehlungen. Das Buch schließt mit einem Kapitel über „Deutschland: gestern, heute und morgen“.
Lingnau analysiert u.a. den Dow Jones Industrial, der seit 1900 insgesamt drei Phasen mit deutlich überdurchschnittlichen Erträgen durchlaufen hat. „Jede dieser Phasen wurde von einer Babyboomer-Generation angeschoben, als diese mehrheitlich das 20. Lebensjahr erreicht hatte, und der Boom endete jeweils, als diese Generation Anfang 40 war.“ Lingnau glaubt in den drei Superzyklen am US-Aktienmarkt und drei Kondratieff-Wellen ein gemeinsames demografisches Muster zu erkennen. „Die jeweils dominierenden Volkswirtschaften, im 19. Jahrhundert die europäischen und im 20. Jahrhundert die US-amerikanische, gaben dabei auch den weltweiten Takt für Wirtschaft und Finanzmärkte vor.“
Lingnau geht einer Reihe von Beobachtungen auf den Grund und gibt Beispiele von einem markanten Trend: „Sind die Babyboomer im Alter von unter 20 Jahren, so ist die Wahrscheinlichkeit einer hohen Inflation recht groß. Danach sinkt sie in der Tendenz deutlich.“
Da sich die Altersstruktur einer Gesellschaft langsam, aber fortlaufend ändere, ändere sich auch beispielsweise die Summe aller altersabhängigen Angebots- und Nachfrageimpulse in der Wirtschaft Tag für Tag ein klein wenig. „Die Babyboomer üben dabei aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke zwangsläufig mit ihrem jeweiligen altersabhängigen Verhalten einen größeren Einfluss auf die Gesamtentwicklung aus als kleinere Altersgruppen.“
Aufgrund der Veränderungen des Verhaltens der Babyboomer durchleben Volkswirtschaften demografische – wie Lingnau es nett – „Jahreszeiten“. Die Jahreszeit, in der sich die Babyboomer zu einem gegebenen Zeitpunkt befinde, bestimme die Jahreszeit, die die Gesellschaft insgesamt durchlebt, folgert Lingnau. Zum Winterland werde ein Land, so Lingnau, dessen Babyboomer in den Ruhestand übergehen, ohne dass eine neue, stärkere Babyboomer-Generation geboren wurde. „Das Japan des Jahres 2014 bietet ein Beispiel.“
Lingnau befasst sich jedoch nicht nur mit demografischen Beobachtungen, sondern stellt diese auch in den Kontext weiterer Faktoren, wie etwa der Schuldenkrise der Staaten in Europa. „Bleibt es bei der positiven Leistungsbilanz der Eurostaaten, könnte eine neue Schuldenkrise tatsächlich in eine fernere Zukunft hinausgezögert werden. Der Unterschied zu Japan ist aber, dass die Eurostaaten keinen gemeinsamen Staatshaushalt haben. Die Bonität der einzelnen Staaten ist, gelinde gesagt, teilweise äußerst zweifelhaft. Banken und große Unternehmen werden ihre Guthaben eher ins Ausland bringen, als sie klammen Staaten anzuvertrauen.“
Unter den Industrieländern hält Lingnau langfristig aus rein demografischer Sicht nur die USA, Schweden und Australien für interessant. „Die letztgenannten Länder dürften aber erst dann zu attraktiven Anlageländern werden, wenn sie ihre Überwertung am Immobilienmarkt abgebaut und die nicht unwahrscheinliche Finanzkrise überwunden haben. Später, ab etwa 2023, könnte Großbritannien folgen. In Spanien und Portugal endet der Sommer in den kommenden beiden Jahren. Irland hätte noch bis 2020 demografischen Rückenwind. Junge Sommerländer finden sich ansonsten nur unter den Schwellenländern.“
Lingnau dämpft die Hoffnungen für Afrika. „Afrika galt in den letzten Jahren bei vielen Anlegern als eine Art Geheimtipp. Vor allem das starke Bevölkerungswachstum und die sehr junge Bevölkerung wurden immer wieder als Investitionsgründe benannt.“ Dabei sieht Lingnau zu viele Kinder eher als einen Bremsklotz für die Entwicklung an den Aktienmärkten. „Frühlingsländer leiden häufig unter einer hohen Inflation, Verteilungskämpfen und mangelnden Innovationen. All diese Faktoren behindern die Wertentwicklung von Aktien und erst recht von Anleihen.“
Innovationen identifiziert Lingnau als die Haupttriebkraft für Wirtschaft und Aktien. „Innovationssprünge fand man seit 1789 überwiegend in großen marktwirtschaftlich organisierten Ländern, wenn dort eine neue Babyboomer-Generation ins Erwerbsleben eintrat, also im demografischen Sommer. Dann lief es auch meist sehr gut an den Aktienmärkten, wie wir bereits gesehen haben.“
Zu den Guthaben der Deutschen bei Banken und Lebensversicherungen sieht Lingnau wesentlich bessere Alternativen. „Neben dem selbst genutzten Wohnraum sollte jetzt auch kein neues, nicht selbst genutztes Immobilienvermögen in Deutschland mehr erworben werden. Sehr viel spricht für ein breit gestreutes Portfolio aus Aktien, Anleihen, Währungen und Gold.“
Lingnau bleibt nicht bei diesem groben Raster der Empfehlungen, sondern kommt in seinem Buch noch wesentlich konkreter zur Sache, etwa in der Frage, wann Versicherungen zur Altersvorsorge optimalerweise abgeschlossen werden sollten. Indem er praktische Vorschläge macht, erhöht er den Nutzwert des Buches deutlich über eine rein akademische Abhandlung, denn seine Vorschläge erlauben es dem Leser, die Implikationen der Beobachtungen des Autors auch subjektiv nachvollziehen zu können.
Lingnau bezeichnet sich selbst – bescheiden – als „ökonomischen Laien“. Der Text des Buches zeigt, dass dies offenbar eine gute Voraussetzug für nachvollziehbare Argumentationen und Schlussfolgerungen ist, denn Lingnau argumentiert erkennbar frei von theoretischem Ballast und frei vom Streit unter Denkschulen, die gewöhnlich die Chefvolkswirte zur Einseitigkeit vorverurteilen. So kann sich der Leser ganz auf die Sache konzentrieren und muss sich nicht mit allfälligen Sticheleien gegen Keynsianer, Monetaristen oder mit Dogmen befassen.
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