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Deutschland schwächt sich selbst
Von Dr. Oliver Everling | 1.November 2024
Deutschland verfügt über bedeutende wirtschaftliche Stärken: Innovationskraft, geistiges Eigentum, hochqualifizierte Fachkräfte und einen soliden Mittelstand. Dennoch zeigt sich, dass Deutschland sein Potenzial nicht voll ausschöpft. Kurz- und mittelfristige Prognosen wurden bereits nach unten korrigiert, und konjunkturelle Schwächen verschärfen die Problematik nur teilweise. Die eigentliche Ursache liegt in strukturellen Herausforderungen und politischen Entscheidungen, die das Wirtschaftswachstum nachhaltig hemmen.
Das Produktivitätswachstum, entscheidend für die wirtschaftliche Dynamik, hat sich deutlich verlangsamt. Ein dichtes Netz aus Bürokratie und Regulierung bremst Unternehmen aus und beeinträchtigt Innovationskraft sowie Unternehmergeist. Hinzu kommt der demografische Wandel, der durch den bevorstehenden Austritt der Baby-Boomer aus dem Erwerbsleben beschleunigt wird. In Deutschland sind die Arbeitsstunden pro Beschäftigtem im internationalen Vergleich gering, und mangelnde Arbeitsanreize verschärfen den Fachkräftemangel. Die Konsequenzen spüren die sozialen Sicherungssysteme, die unter der Last des demografischen Wandels leiden.
Ein weiterer Faktor ist Deutschlands ambitionierter Sonderweg beim Klimaschutz. Das Land plant, schon bis 2045 klimaneutral zu sein und dabei vollständig auf Kernenergie zu verzichten. Dies führt zu einem vorzeitigen Wertverlust „fossiler“ Kapitalgüter in Unternehmen und Haushalten, wie etwa Maschinen, Fahrzeugen und Heizungen. Zugleich steigen die Energiekosten massiv an. Diese politischen Entscheidungen schaffen Unsicherheit, belasten Standortbedingungen und bremsen Investitionen, da sowohl Haushalte als auch Unternehmen angesichts dieser Risiken zurückhaltender agieren. Darüber hinaus herrscht ein erheblicher Investitionsstau. In den vergangenen Jahren wurden dringend notwendige staatliche Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Verteidigung nicht ausreichend genutzt, was teilweise durch die Priorisierung des Wohlfahrtsstaates verursacht wurde. Trotz einer erhöhten Investitionsquote bleiben die Rückstände in diesen Bereichen gravierend, und es ist eine langfristige Strategie erforderlich, um die Defizite zu beseitigen.
Auch die fragmentierte Weltwirtschaft wirkt sich negativ auf Deutschland aus. Geopolitische Spannungen und protektionistische Tendenzen treffen die stark exportorientierte Volkswirtschaft überproportional. Der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit schadet den Wachstumsaussichten und gefährdet die Möglichkeit, von Produktivitätsvorteilen in anderen Regionen zu profitieren.
Insgesamt ist eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik notwendig. Die bestehenden strukturellen Schwächen gefährden die Stabilität der Staatsfinanzen und die Position Deutschlands in der Eurozone. Nur durch nachhaltiges Potenzialwachstum und eine gezielte Wirtschaftswende können langfristige Risiken für Finanzstabilität, Inflation und Generationengerechtigkeit abgewendet werden. Ein entschlossener Fokus auf Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Verteidigung sowie eine Vereinfachung der bürokratischen Vorgaben sind notwendig, um die wirtschaftliche Basis zu stärken und die Wachstumsfähigkeit zu sichern.
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