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Die Tragödie des Scope Ratings für Greensill Bank

Von Dr. Oliver Everling | 18.April 2021

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ließ sich von der Greensill Bank AG (Greensill Bank) ab Januar 2019 monatlich über die Bilanzdaten der Bank unterrichten. Das ergibt sich aus der Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Sarah Ryglewski vom 12. März 2021 auf schriftliche Fragen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages (Drucksache 19/27704). Die Bilanzsumme der Greensill Bank erhöhte sich im Jahr 2019 rasant von anfangs 763 Mio. Euro auf 3,8 Mrd. Euro.

“Zur Erläuterung der Geschäftsstrategie, der Geschäftstätigkeit und der geschäftlichen Entwicklung im Kontext der Kapitalerhöhungen fand am 3. Juli 2019 ein Anlass-Aufsichtsgespräch mit Vertretern der BaFin und der Deutschen Bundesbank statt. Zudem erfolgte am 18. Juli 2019 ein Austausch zwischen der BaFin und dem Prüfungsverband deutscher Banken e. V. (PdB), bei der auch das Bilanz- und Einlagenwachstum der Bank thematisiert wurde” (Quelle: Drucksache 19/27704).

Das erste Rating für die Greensill Bank gab es Monate später. Um das Rating zu erteilen, bewarb sich eine lokale Ratingagentur in Berlin, die Scope Ratings GmbH (Scope): Am 19. September 2019, also nachdem sich bereits kritische Fragen nach dem Bilanz- und Einlagenwachstum gestellt hatten, erteilte Scope der Greensill Bank erstmals ein “Issuer Rating” von A-. Dieses Rating ergab sich also nicht etwa aus einer Ratinghistorie, sondern das Rating wurde dem Warnzeichen zum Trotz in die Finanzmärkte publiziert. Dabei handelt es sich um ein Rating gleichauf mit dem der besten deutschen privaten Banken. Bis zur Herabstufung des langfristigen Ratings von A- auf BBB+ am 17. September 2020 war nur das langfristige Rating A- bekannt. Nur ein halbes Jahr später, am 15. März 2021, stellte die BaFin beim Amtsgericht Bremen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Greensill Bank.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Greensill Bank, Maurice Thompson, beteiligte sich an der Ratingagentur. Neben seiner Beteiligung an der Scope SE & Co. KGaA trat er auch in den “Advisory Board” der Ratingagentur ein. Die Kombination beider Ämter ermöglichte ihm besondere Einblicke nicht nur bei der Greensill Bank, sondern auch bei der Ratingagentur. Mit ihm gemeinsam sorgen altgediente Politiker und Prominente für das “Ansehen” von Scope. Geldeinwerber von Scope werben in “road shows” europaweit mit dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, für die Beteiligung am Geschäftsschema der Ratingagentur.

Jean-Claude Trichet in Scope Presentation

“Seit April 2019 führte der PdB eine routinemäßige Einlagensicherungsprüfung bei der Bank durch. Diese dauerte bis März 2020 an. Erstmals mit Schreiben vom 3. März 2020 wurden die BaFin und die Deutsche Bundesbank seitens des PdB über ein hohes Konzentrationsrisiko der Greensill Bank AG in Bezug auf ein aus Factoring- und Reverse Factoring-Geschäften stammendes Forderungsportfolio gegenüber Unternehmen der Gupta Family Group (GFG) Alliance des Unternehmers Sanjeev Gupta und über damit verbundene, risikoreduzierende Auflagen des PdB gegenüber der Bank informiert”, berichtet die Parlamentarische Staatssekretärin.

Den risikoreduzierenden Auflagen des PdB war somit die Feststellung eines erhöhten Risikos vorausgegangen. Die Erhöhung des Risikos hätte aber auch Folgen für das Rating von Scope haben müssen, denn es liegt im Wesen des Ratings, auch Nuancen der Veränderung des Risikos durch Herabstufung Anlegern zur Kenntnis zu bringen. Allein schon die Tatsache der zugrundeliegenden Vorgänge, sodass sogar der PdB in Aktion getreten war, hätte als Warnsignal gewertet werden müssen.

Die Auflagen des PdB zielten u. a. ab auf die Begrenzung der durch die Einlagensicherung geschützten Einlagen, auf den teilweisen Abbau des Gupta-Exposures sowie auf die Diversifizierung der Einlagenstruktur. Der notwendige Abbau des Gupta-Exposures wurde von Scope entweder ignoriert oder es wurde erst gar nicht danach gefragt, so dass Scope nicht schon im März 2020 das Rating herunterstufte.

Im Anschluss an die Erteilung der Auflagen am 3. März 2020 haben sich BaFin und PdB regelmäßig über den Umgang der Bank mit den Auflagen zum Risikoabbau sowie Modifizierungen der Auflagen durch den PdB ausgetauscht. Aus den Veröffentlichungen von Scope geht nicht hervor, dass sich die Ratingagentur in Berlin mit den Vorgängen rechtzeitig mit einem Ausblick einer deutlichen Herabstufung des Ratings befasst hätte.

Der PdB modifizierte in der Folgezeit seine Auflagen gegenüber der Bank, weil der Bank nach eigenen Angaben der Bank gegenüber dem PdB die Einhaltung der ursprünglich erteilten Auflage zum Abbau des Gupta Exposures in der damaligen, durch die Corona-Pandemie bedingt schlechten Marktsituation nicht möglich war. Die dramatischen Folgen der Krise auf die weltweiten Lieferketten und ihre Finanzierungen waren spätestens mit dem Crash an den Aktienmärkten im März 2020 für jeden Analysten zu hinterfragen. Bei Scope wurde jedoch das Rating des Lieferkettenfinanzierers aus Bremen nicht einmal mit einem negativen Ausblick versehen. Es blieb vielmehr bei dem am 19. Juli 2019 veröffentlichten “stabilen” Ausblick.

Während in der Öffentlichkeit bereits die Ermittlungen diskutiert wurden und schon seit Januar 2020 die BaFin ihre Aufsicht intensivierte, hielt Scope am guten Rating für die Bank ihres Beiratsmitglieds und Investors fest. Aufgrund der öffentlichen Berichterstattung zu Ermittlungen der britischen Finanzaufsicht hinsichtlich eines Greensill-Fonds des Schweizer Vermögensverwalters GAM sowie über die Geschäftsverbindung zwischen Greensill und der Gupta-Gruppe hat die BaFin zwar die Aufsicht über die Greensill Bank AG intensiviert. BaFin veranlasste ESMA jedoch nicht dazu, gegen die Verbreitung des guten Bankratings durch Scope einzuschreiten.

Es wird über diverse Gespräche der BaFin mit dem PdB Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung berichtet, auch mit der Deutschen Bundesbank, ausländischen Aufsichtsbehörden sowie der Bank selbst. Diese wurden auf sichtlich relevante Informationen ausgewertet. Anleger, die sich auf die Dienste von Scope verließen, konnten davon jedoch auf Basis des Research von Scope keine Notiz nehmen, sondern blieben im Dunkeln.

Am 16. Juli 2020 stellte die BaFin mit Blick auf die Ergebnisse aus der PdB-Prüfung ein sogenanntes gravierendes Schreiben (letzte Stufe vor einer Verwarnung der verantwortlichen Geschäftsleiter) der Bank zu. Darin wurden das Konzentrationsrisiko, die fachliche Eignung der Geschäftsleiter sowie mögliche Governance-Verstöße durch die Geschäftsleitung (z. B. Nichteinbindung des Aufsichtsrats beim Auf- und Ausbau des GFG-Portfolios) adressiert. Aus dem Bericht von Scope dagegen ging nicht hervor, dass das Konzentrationsrisiko ein existentielles Risiko für die Bank darstellen würde, das bereits nach wenigen Monaten schlagend sein könnte. Ebenso wurde die fachliche Eignung der Geschäftsleiter durch Scope nicht so in Frage gestellt, dass daraus der spekulative Charakter einer Anlage bei der Greensill Bank deutlich geworden wäre. Ferner wurde von Scope nicht über mögliche Governance-Verstöße durch die Geschäftsleitung berichtet. Das Wort “Governance” kommt im Bericht von Scope nicht einmal vor, obwohl der Issuer Rating Report über die Greensill Bank AG in englischer Sprache verfasst und veröffentlicht war.

Am 2. September 2020 kündigte die BaFin der Bank mögliche aufsichtliche Reaktionen im Hinblick auf das Prüfungsergebnis an, nachdem die BaFin schon im Juli 2020 zudem eine interne „Task Force“ zur detaillierten Vorbereitung eingriffsintensiver aufsichtlicher Maßnahmen eingerichtet hatte. Für die Anordnung solcher Maßnahmen ist eine umfassende Vorbereitung zur Überwindung der hohen Eingriffsschwelle der Aufsicht erforderlich. Diese hohe Eingriffsschwelle unterscheidet die BaFin von jeder Ratingagentur, da Scope schrittweise Herabstufungen hätte vornehmen können; auch mit einem Rating BBB oder BBB- wäre die Greensill Bank noch “investment grade” gewesen. Mit weiteren Herabstufungen hätte Scope warnen können, ohne Gefahr zu laufen, sich später dem Vorwurf einer “selbsterfüllenden Prophezeiung” ausgesetzt zu sehen. Die schrittweise Warnung von Anlegern durch nuancierte Beurteilung liegt im Wesen der ordinalen Skalierung von Ratings. Die BaFin musste dagegen sicherstellen, dass die Anordnung der Maßnahmen auch der Überprüfung vor einem Verwaltungsgericht standhalten kann.

Um insbesondere angesichts der Komplexität des Geschäftsmodells der Greensill Gruppe und der Intransparenz der wirtschaftlichen Verhältnisse der GFG Alliance eine umfassende und belastbare Risikobewertung der Bank vorzunehmen, hätte Scope ein Review-Verfahren einleiten müssen. Dazu kam es aber erst, nachdem eine Task Force sogar schon eine forensische Sonderprüfung der Bank mit dem Schwerpunktthema GFG-Portfolio vorbereitete und diese am 11. September 2020 gemäß § 44 KWG anordnete.

Spätestens als auf Grundlage der ersten Erkenntnisse aus der forensischen Sonderprüfung Anfang Januar 2021 ein Sonderbeauftragter bestellt wurde und der Bank höhere Berichtspflichten aufgegeben wurden, hätte Scope erkennen müssen, dass es sich hier nicht um ein mündelsicheres Unternehmen handelt. Gleichwohl blieb es noch immer beim Rating in “Anlagequalität”. Während umfangreichere Maßnahmen zur Absicherung der Vermögenspositionen, z. B. ein partielles Einlagen- und Kreditverbot sowie ein partielles Zahlungsverbot folgten, blieben Reaktionen von Scope aus. Auch versäumte es Scope, ihr mit Interessenkonflikten beladenen Investor und ihr Beiratsmitglied zu entfernen oder auch nur Anleger über die Interessenkonflikte ihres Ratings aufzuklären.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Scope SE & Co. KGaA, Georg Graf Waldersee, der zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender der in den Wirecard-Skandal verwickelten Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist, schritt nicht ein und veranlasste weder die Entlassung von befangenen Mitgliedern des „Advisory Board“ bei Scope, noch gab er irgendeine Initiative zur Überprüfung von Interessenkonflikten bekannt.

DeletedPicturesAndInformationOnScopeWebsite

Stattdessen wurde das Bild, der Name und die Funktionen von Maurice Thompson von der Website der Scope Group erst entfernt, nachdem die Insolvenz bereits eingetreten und das zu gute Rating sich als falsch erwiesen hatte. Die Angaben über Maurice Thompson entfielen, ohne dass von Scope dazu eine Entschuldigung oder sonst eine Würdigung zu lesen gewesen wäre. Die erforderlichen Informationen, um die Interessenkonflikte bei Scope zu verstehen, wurden unauffällig von der Website gelöscht.

Am 3. März 2021 erließ die BaFin gegenüber der Bank wegen drohender Überschuldung schließlich ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot. Die Bank musste für den Verkehr mit der Kundschaft schließen. Die BaFin untersagte es ihr, Zahlungen entgegenzunehmen, die nicht zur Tilgung von Schulden gegenüber der Bank bestimmt sind (Moratorium). Außerdem erstattete die BaFin Strafanzeige gegen die Vorstände der Bank.

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