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ESMA setzt kleinere Ratingagenturen unter Druck

Von Dr. Oliver Everling | 10.Februar 2022

Das Interesse der Anleger an nachhaltiger Finanzierung ist in den letzten Jahren exponentiell gewachsen. Von diesem Trend profitierten insbesondere die auf Nachhaltigkeitsratings spezialisierten Ratingagenturen wie oekom research, die inzwischen zur Gruppe der Deutschen Börse gehört.

Vor diesem Hintergrund haben auch einige Kreditratingagenturen (CRAs) versucht, transparenter zu werden, wie Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) in ihre Kreditratings integriert werden.

Um ein einheitliches Maß an Transparenz für Anleger in Bezug auf ESG-Themen zu gewährleisten, begann die Europäische Wertpapier und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) am 30. März 2020 mit der Anwendung von Leitlinien dafür, wie und wann die Erwägungen von Ratingagenturen zu ESG-Faktoren in Pressemitteilungen zu Kreditratings offengelegt werden sollen.

Nun bewertet die Umsetzung dieser Leitlinien, wie sie auch in der Renewed Sustainable Finance Strategy der Europäischen Kommission vorgesehen ist. „Wir wenden Techniken zur Verarbeitung natürlicher Sprache auf einen einzigartigen Datensatz von über 64.000 Pressemitteilungen von Ratingagenturen an,“ schreibt ESMA in ihrem Bericht (Text mining ESG disclosures in rating agency press releases), „die zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 30. Dezember 2020 veröffentlicht wurden. Wir stellen fest, dass das Gesamtniveau der ESG-Offenlegungen in den Pressemitteilungen von Ratingagenturen seit der Einführung der Leitlinien zugenommen hat.“

Es gebe jedoch eindeutig Raum für weitere Verbesserungen, urteilt ESMA: „Das Niveau der ESG-Offenlegung unterscheidet sich erheblich zwischen den Ratingagenturen und den ESG-Faktoren (insbesondere Umweltthemen). Darüber hinaus beobachten wir Abweichungen in den Offenlegungen der Ratingagenturen selbst bei bewerteten Unternehmen, die ESG-Faktoren stark ausgesetzt sind, im Vergleich zu ihren Branchenkollegen.“

Ratingagenturen können unterschiedliche methodische Ansätze verfolgen, was die beobachtete Heterogenität in gewissem Maße erklären könnte. Außerdem sind nicht alle ESG-Faktoren für die Kreditwürdigkeit eines Emittenten oder Instruments relevant, die ein Kreditrating misst. Da jedoch alle Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit in den Mittelpunkt ihres Ansatzes stellen, ist unklar, warum einige Ratingagenturen ESG-Faktoren für relevant halten und in ihren Pressemitteilungen darüber berichten, während andere dies noch nicht tun – insbesondere im Fall von Kreditratings für Emittenten, die laut öffentlichen Daten oder laut anderen Ratingagenturen, die dieselben Emittenten oder ihre Instrumente bewerten, als stark ESG-exponiert eingestuft sind.

ESMA hält die Unterschiede daher für „ziemlich auffällig“. Nkönnten Anleger in diesem Bereich von weiterer Transparenz profitieren. „Die ESMA wird geeignete Aufsichts- und Politikinstrumente in Betracht ziehen, um dieses Ergebnis zu erreichen. Gleichzeitig ändert zusätzliche Transparenz nicht unbedingt die Art und Weise, wie ESG-Faktoren per se in Kreditratings einbezogen werden.“

ESG-Faktoren nicht immer relevant für die Bestimmung der Kreditwürdigkeit eines Emittenten oder Instruments. Darüber hinaus können Ratingagenturen aufgrund des in der CRA-Verordnung enthaltenen Grundsatzes der Nichteinmischung nicht verpflichtet werden, ESG-Faktoren in ihren Methoden zu berücksichtigen. Im Einklang mit der Strategie der Europäischen Kommission zur Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft plant die ESMA für 2022 weitere Arbeiten darüber, wie ESG-Faktoren von Ratingagenturen in ihre Methoden integriert werden, und wird ihre Ergebnisse mit der Kommission teilen. Darüber hinaus wird die ESMA weiterhin mit Ratingagenturen zusammenarbeiten, um die zugrunde liegenden Ursachen der beobachteten Heterogenität zu verstehen und sicherzustellen, dass die Leitlinien einheitlich umgesetzt werden.

Im deutschen Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, dem Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), heißt es zum Thema „Sustainable Finance“: „Wir wollen Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung machen und uns dabei am Leitbild der Finanzstabilität orientieren. Angemessene Rahmenbedingungen für nachhaltige Finanzprodukte unterstützen wir. Nicht-risikogerechte Eigenkapitalregeln lehnen wir ab. Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken sind Finanzrisiken. Wir setzen uns für europäische Mindestanforderungen im Markt für ESG-Ratings und die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Kreditratings der großen Ratingagenturen ein.“

Im Koalitionsvertrag werden nur die „großen Ratingagenturen“ genannt. Die von ESMA festgestellten Defizite können aber kaum die „großen Ratingagenturen“ betreffen, da diese bereits umfassende ESG-Kriteriologien in ihre Kreditratingmethodologien aufgenommen und sogar auf Nachhaltigkeitsratings spezialisierte Agenturen gekauft sowie in ihre Ratingkonzerne integriert haben, sondern die Aufzählung von Defiziten kann nur als eine gegen kleinere Agenturen gerichtete Kritik verstanden werden, die bisher nicht über die notwendigen Ressourcen verfügten, ESG-Kriterien professionell zu berücksichtigen. So rennt auch die Forderung der Bundesregierung bei den „großen Ratingagenturen“ nur offene Türen ein.

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