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EWIV im Kontext moderner Rechtsformratings

Von Bernd Liebholz | 8.April 2025

Die Wahl der richtigen Rechtsform ist für Unternehmen weit mehr als eine Formalität. Sie hat entscheidenden Einfluss auf steuerliche Belastungen, Haftungsfragen, Finanzierungschancen und letztlich auf die Wettbewerbsfähigkeit. In der heutigen Wirtschaftspraxis wird diese Entscheidung zunehmend durch systematische Analysen wie Rechtsformratings unterstützt, die juristische und betriebswirtschaftliche Kriterien in eine objektivierbare Bewertung überführen. Solche Ratings gewinnen insbesondere bei Kreditinstituten, Investoren und im Rahmen von Förderentscheidungen an Bedeutung. Dabei wird jedoch bis heute eine Rechtsform weitgehend vernachlässigt: die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV).

Die EWIV ist ein eigenständiges Konstrukt des europäischen Gesellschaftsrechts, das im deutschen Wirtschaftsalltag nach wie vor ein Schattendasein führt. Dabei ist sie genau für jene Herausforderungen konzipiert worden, die moderne Unternehmen im Kontext von Digitalisierung, Fachkräftemangel, Internationalisierung und Liquiditätsdruck bewältigen müssen. Im Lichte der gängigen Bewertungskriterien von Rechtsformratings offenbart sich ein erstaunliches Bild: Die EWIV kann in zentralen Kategorien wie steuerliche Transparenz, Flexibilität, Risikosteuerung und kurzfristige Liquiditätswirkung überdurchschnittlich abschneiden.

Ein wesentliches Bewertungskriterium moderner Rechtsformvergleiche ist die steuerliche Effizienz. Hier punktet die EWIV durch ihre klare Ausrichtung: Sie ist nicht auf Gewinnerzielung ausgelegt und unterliegt daher nicht der Körperschaft- oder Gewerbesteuer. Stattdessen werden Einnahmen und Ausgaben unmittelbar den Mitgliedern zugerechnet und dort versteuert. Diese steuerliche Transparenz, die auch von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mehrfach bestätigt wurde, verschafft insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen spürbare Vorteile.

Der Unterschied zur GmbH oder anderen Kapitalgesellschaften liegt auf der Hand: Während dort Erträge der Körperschaft- und Gewerbesteuer unterliegen und erst nach Steuern zur Verfügung stehen, können Mitglieder einer EWIV ihre Beiträge als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben geltend machen. In der Praxis bedeutet das: Unternehmen können ihren steuerpflichtigen Gewinn im laufenden Jahr reduzieren und gleichzeitig liquide Mittel im Unternehmen belassen, die sonst durch Steuerabführungen gebunden wären.

Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten ist die kurzfristige Sicherung von Liquidität ein zentrales Anliegen vieler Unternehmen. Die EWIV bietet hier ein in der Praxis oft unterschätztes Instrumentarium. Die sofortige steuerliche Absetzbarkeit von Beiträgen an die EWIV führt dazu, dass Unternehmen nicht auf längerfristige Abschreibungszeiträume angewiesen sind, um Investitionen steuerlich geltend zu machen.

Ein Rechenbeispiel verdeutlicht diesen Effekt: Ein Unternehmer investiert 5 500 Euro in seine EWIV. Dieser Betrag wird im selben Jahr als Betriebsausgabe erfasst. Bei einem unterstellten Steuersatz von 35 Prozent ergibt sich eine Steuerersparnis von 1 925 Euro. Die tatsächliche Belastung für das Unternehmen liegt damit bei lediglich 3 575 Euro. Im Vergleich dazu würde eine gleichwertige Investition in Anlagevermögen – etwa in eine neue Büroeinrichtung – über 13 Jahre abgeschrieben. Die steuerliche Entlastung im laufenden Jahr wäre minimal, die Liquiditätsbelastung dagegen erheblich.

Die EWIV wirkt somit wie ein steuerlicher Puffermechanismus. Sie erlaubt es, kurzfristig finanzielle Spielräume zu schaffen, ohne auf operative Investitionen verzichten zu müssen. Gerade Unternehmen, die zum Jahresende ihren Gewinn steuern möchten oder fürs Folgejahr zusätzliche Mittel benötigen, profitieren von diesem System erheblich.

Ein weiterer Aspekt, der in die Bewertung von Rechtsformen einfließt, ist die rechtliche Stabilität und die Komplexität der Verwaltung. Auch hier zeigt sich die EWIV erstaunlich schlank. Sie erfordert kein Stammkapital und ist mit minimalem organisatorischen Aufwand zu führen. Der rechtliche Rahmen ist durch die EU-Verordnung 2137/85 klar definiert, wird in Deutschland durch das EWIV-Ausführungsgesetz konkretisiert und durch zahlreiche finanzgerichtliche Urteile gestützt.

Zudem ist die EWIV eine Struktur, die zwar rechtsfähig ist, aber nicht in Wettbewerb zu klassischen Gesellschaften tritt. Sie darf keine marktbezogenen Leistungen für Dritte erbringen, sondern wirkt ausschließlich im Interesse ihrer Mitglieder. Genau hierin liegt auch ihr Potenzial im Bereich der Risikosteuerung: Durch die Trennung operativer Risiken und strategischer Steuerung innerhalb der EWIV lassen sich Haftungspotenziale klarer zuordnen und kontrollieren.

Im Kontext eines professionellen Rechtsformratings, wie es beispielsweise von Ratingagenturen oder Banken durchgeführt wird, zählen nicht nur formale Kriterien, sondern auch Aspekte wie Anpassungsfähigkeit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Resilienz. Die EWIV erweist sich in diesen Disziplinen als besonders wandlungsfähig. Sie erlaubt es Unternehmen, ihre Struktur dynamisch an neue Herausforderungen anzupassen, ohne dabei die Rechtsform selbst verändern zu müssen.

Gleichzeitig wird die EWIV in klassischen Bonitätsbewertungen noch immer wenig berücksichtigt – nicht aus sachlichen, sondern aus kenntnisbedingten Gründen. Dieses Informationsdefizit führt dazu, dass die EWIV im Ratingsegment unterrepräsentiert ist, obwohl sie bei objektiver Betrachtung hervorragend abschneidet. Es liegt an der Praxis, dieses Potenzial sichtbar zu machen und in die Bewertungsmechanismen zu integrieren.

Die EWIV ist kein exotisches Nischenmodell, sondern ein durchdachtes und praktikables Instrument des europäischen Gesellschaftsrechts, das in Zeiten hoher wirtschaftlicher Dynamik neue Antworten bietet. Ihre steuerlichen Vorteile, ihre Auswirkungen auf die Liquidität, ihre einfache Verwaltung und ihre rechtliche Klarheit machen sie zu einer echten Alternative für unternehmerisch denkende Entscheider.

In einem Umfeld, in dem Ratingmechanismen zunehmend darüber entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen Unternehmen Zugang zu Kapital, Partnerschaften oder Fördermitteln erhalten, ist es geboten, auch weniger bekannte Strukturen wie die EWIV in den Blick zu nehmen. Ihre Einordnung in moderne Rechtsformratings ist nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern wirtschaftlich geboten. Unternehmen, die auf die EWIV setzen, investieren nicht nur in eine Rechtsform – sie investieren in strukturelle Handlungsfreiheit, steuerliche Entlastung und nachhaltige Liquiditätsplanung.

Experten-Vita: Bernd Liebholz

Bernd Liebholz gilt als einer von Deutschlands Experten für die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen (EWIV). Mit über 30 Jahren Erfahrung in der Unternehmensberatung, einer tiefgreifenden informationstechnischen und betriebswirtschaftlichen Expertise sowie einem europaweiten Netzwerk ist er gefragter Ansprechpartner für Unternehmer, Berater und Institutionen, die die Vorteile der Gesellschaftsform EWIV nutzen möchten. Als Gründer des EWIV-Expertenrats, langjähriger Geschäftsführer einer EWIV und Gründungshelfer vieler Kunden EWIV vereint er Praxiswissen mit strategischem Weitblick. In seinen Publikationen, Vorträgen und als Gastautor teilt er sein Know-how zur rechtssicheren, effizienten und zukunftsfähigen Unternehmenskooperation über Ländergrenzen hinweg.

Website: https://www.connexxtion.com/

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