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Geschäftswandel vom Abonnenten zum Emittenten
Von Dr. Oliver Everling | 31.Dezember 2009
John Moody betrieb ein Verlagsgeschäft: Er verkaufte Handbücher, in denen er Daten über die an den Börsen gehandelten Wertpapiere gesammelt hatte. So kam er eines Tages 1909 auf die Idee, nicht nur Fakten aufzulisten, sondern diesen auch seine persönliche Meinung hinzuzufügen: Eben in der Art amerikanischer Schulnoten – in Buchstaben statt wie bei uns in Ziffern. Moody’s bemerkte bald, dass sich der Leser nicht für die Schreibe, sondern für das Resultat seiner Beurteilung interessierte. So rückten die Bonitätsnoten immer mehr in den Vordergrund der Berichterstattung, bis schließlich Nachrichtenagenturen fast nur noch die Quintessenzen der Analysen mit Ratingsymbolen verbreiteten, Datenbanken damit fütterten und die vielen „wenn“ und „aber“ der Analystenmeinungen schlichtweg ignorierten.
Die starke Nachfrage veranlasste John Moody, Analysten einzustellen, die ihm bei der Anfertigung der Berichte und Urteile halfen. Um zu sinnvollen und konsistenten Klassifikationen zu gelangen, mussten sie sich auf einheitliche Methodologien und Kriterien verständigen. Bald hatte es sich bewährt, die Ratings nicht dem Urteil einzelner Analysten zu überlassen, sondern ein Ratingkomitee zu bilden, das jedes einzelne Rating anhand einer ausführlichen Vorlage diskutierte und das zu veröffentlichende Rating beschloss. Aus den Redaktionssitzungen von früher entwickelte sich ein hoch komplexer Abstimmungsprozess, der schon in den 1920er Jahren für internationale Vergleichbarkeit und Bonitätsnoten sorgte, die über Branchen- und Ländergrenzen hinweg Ausfallrisiken signalisierten.
Über ein halbes Jahrhundert hinweg, bis Ende der 1960er Jahre, blieb der Leser „der Auftraggeber“ der Ratingagentur. Moody’s Investors Service fühlte sich – wie seine Wettbewerber Standard & Poor’s (S&P’s) und Fitch Investors Service (heute: Fitch Ratings) – dem Investor verpflichtet. Der Käufer von Anleihen sollte vor Ausfallrisiken gewarnt wer-den. Während in den 1920er und 1930er Jahren die Ratingagenturen schon einmal „Hochkonjunktur“ hatten, da in der Weltwirtschaftskrise jedermann das Ausfallrisiko bewusst wurde, dümpelten sie unter den Bedingungen des 1944 geschaffenen Bretton-Woods-Systems und dem Goldstandard dahin. Das sollte sich im Juni 1970 ändern, als die Nixon-Administration den Zusammenbruch eines Verkehrsunternehmens, des Penn Central-Systems, tatenlos hinnahm: Dadurch wurden nicht nur Aktionäre und Gläubiger, sondern auch Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die Öffentlichkeit aufgeschreckt.
Das Rating stand plötzlich im Mittelpunkt von Investmententscheidungen, aber auch zum Beispiel bei Fragen, an welches Versorgungsunternehmen man sich binden will oder welchen Lieferanten man auswählt.
Die Aufgabe der Goldstandards und die Ölkrise sorgten binnen weniger Jahre dafür, dass sich die Kräfteverhältnisse an den Kapitalmärkten zugunsten von Anlegern verschoben: Während sich die Ratingagenturen bis Anfang der 1970er Jahre aus den Verkaufserlösen ihrer Publikationen, insbesondere Abonnementgebühren, zu finanzieren hatten, kam zur Freude der Analysten eine weitere Ertragsquelle hinzu: Emittenten von Anleihen suchten aktiv mit den Analysten das Gespräch, um bereits vor Begebung eines Finanztitels das Urteil der unabhängigen Agenturen einzuholen und dieses bei der Platzierung ihrer Emissionen an potentielle oder aktuelle Anleger zu kommunizieren.
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