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I-CV sieht Finanzwelt entkoppelt

Von Dr. Oliver Everling | 1.Oktober 2020

Das Schweizer Kreditresearch-Unternehmen Independent Credit View (I-CV) analysierte in ihrer jährlichen Länderstudie 2020 die fundamentale Kreditqualität von 51 Staaten. Vor dem Hintergrund, den größten Schock für die Weltwirtschaft seit 75 Jahren zu verkraften, wurden die Länder einer vielschichtigen Bonitätsprüfung unterzogen mit dem Ziel, die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Länderbonitäten zu verifizieren.

Die Dauer und die Tiefe der Rezession sowie Auswirkungen auf die Bonität hängt von der individuellen Ausgangslage und Widerstandsfähigkeit der einzelnen Staaten ab. Bereits vor der Krise überstrapazierte Bilanzen – gleich ob von Staaten, Unternehmen oder Haushalten – und trotz positivem Wirtschaftsumfeld nicht erfolgte Reformen bieten dabei vielerorts eine prekäre Ausgangslage. Tiefere Steuereinnahmen und massive Ausgaben der Staaten zur Entschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen führen zu hohen Staatsdefiziten, steigenden Schulden und damit schwächeren Finanzprofilen.

„Die erfolgreiche Bewältigung der Krise erfordert rigorose Anpassungen bei überschuldeten Unternehmen, Haushalten und Staaten zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit nach der Krise. Die Flexibilität sowie die Glaubwürdigkeit der Notenbanken und Regierungen wird auf die Probe gestellt und schwelende politische Risiken drohen zu eskalieren. Eine wohlüberlegte Exitstrategie, welche insbesondere eine ‚Zombifizierung’ der Wirtschaft verhindert, ist zentral für eine nachhaltige Gesundung. Allerdings haben sich die Finanzmärkte derzeit komplett von der realen Welt entkoppelt. Viele Investoren glauben, dass sie in Krisensituationen stets von Notenbanken und Regierungen gerettet werden und gehen deshalb höhere Risiken ein. In diesem Umfeld war der Blick unserer Länderstudie 2020 auf die Entwicklungen herausfordernder denn je und führte zu zehn Downgrades“, so René Hermann, Lead-Autor der I-CV Länderstudie.

Die oft behauptete und auch von I-CV herangezogene These von der „Entkoppelung“ der Finanzmärkte von der „realen Welt“ ist nicht unumstritten. Noch nie agierten Notenbanken rund um den Globus so gleichgerichtet wie heute, indem sie durch Geldflutung der Märkte für Liquidität sorgen. Die „heilsame“ Wirkung der Liquidität wird mit einer Verunsicherung der Anleger über die langfristige Geldwertentwicklung erkauft – gleich, ob US-Dollar, Euro, Yen oder andere Währungen, die durch aufblähende Zentralbankbilanzen geschaffen werden.

So betrachtet haben sich die Finanzmärkte nicht von der „realen Welt“ entkoppelt, sondern spiegeln lediglich die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der künftigen Geldwertentwicklung. Früher wurde dafür der Goldpreis als Indikator herangezogen. Da dieser aber unter dem Damoklesschwert der Regulierung und Manipulation durch Zentralbanken steht, ist der Goldpreis kein zuverlässiger Indikator mehr für die Erwartungsbildung der Finanzmarktteilnehmer. Steigende Aktienkurse und steigende Verschuldung sind daher ebenso zum Ausdruck dafür geworden, dass der Wert der Assetklasse „Geld“ in Relation zu anderen Assetklassen wie Aktien sinkt.

Die I-CV Länderstudie 2020 weist Nordeuropa mit Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden als Safe Havens aus. Diese Staaten gingen mit einer niedrigen Verschuldung in die Krise und die Aussichten auf eine rasche Rückkehr zu Wirtschaftswachstum sind intakt. „Deutschland kratzt an diesem Status, aber der starke Schuldenanstieg, hohe Eventualverpflichtungen und eine lediglich moderate Wirtschaftserholung verhindern ein zu positives Bild. Das AAA-Rating wie bei der Schweiz bleibt derweil erhalten. Der dritte im Bunde der D-A-CH-Region, Österreich, ist unverändert mit AA geratet. Erwartungsgemäß verzeichnen wir in diesem Umfeld kein Upgrade, während zehn Staaten eine Abstufung erhielten. Darunter beispielsweise Kanada, Mexiko sowie die Türkei, welcher wir schon letztes Jahr eine problematische Entwicklung attestierten“, so Hermann.

Zur Beurteilung und Überwachung der Kreditqualität von Staaten setzt I-CV seit 2009 ein bewährtes 4-Phasen Sovereign-Modell ein. Aufgrund von mehr als 50 Bewertungsfaktoren wird zuerst die fundamentale Stärke der Staaten evaluiert. Dabei misst das quantitative Modell die Bonitätsstärke respektive -schwäche aufgrund aktueller Daten und Prognosen (IWF, OECD, etc.). Im Anschluss werden die individuellen Staatsbilanzen einem Deleveraging Szenario unterzogen. Die Ergebnisse werden dann zu einem I-CV Rating konsolidiert. Abschließend werden wichtige Trends und Entwicklungen, welche die Ratings zukünftig beeinflussen können, untersucht (beispielsweise ESG Faktoren) und abhängig von der Materialität mitberücksichtigt.

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