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Joseph E. Stiglitz‘ holpriger Weg zur Freiheit, Wirtschaft und die gute Gesellschaft

Von Dr. Oliver Everling | 26.April 2024

Joseph E. Stiglitz, ein renommierter Ökonom und Nobelpreisträger, ist bekannt für seine tiefgreifenden Analysen wirtschaftlicher Mechanismen und deren Einfluss auf die Gesellschaft. Am 24. April 2024 erschien sein neuester Titel: Sein Buch „The Road to Freedom, Economics and the Good Society“ verspricht eine umfassende Untersuchung der Rolle der Wirtschaft auf dem Weg zu einer idealen Gesellschaft. Jedoch scheint das Werk – schon seiner Gliederung nach – einige kritische Ungleichgewichte in seiner Behandlung zentraler ökonomischer Konzepte aufzuweisen, die seine Nützlichkeit und Überzeugungskraft einschränken könnten.

Ein grundlegendes Defizit des Buches ist die unzureichende Erörterung darüber, wie im Kreislauf der Wirtschaft die Entscheidungsgrundlagen von Haushalten und Unternehmen entstehen, die über das Angebot und die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen entscheiden. Stiglitz versäumt es auf der Seite der Unternehmen, tief in die Dynamiken einzutauchen, die die Qualitätsmerkmale von Produkten und Dienstleistungen sowie Preisgestaltungsmöglichkeiten wie Ratenzahlungen und Garantien beeinflussen. Diese Elemente sind entscheidend für das Verständnis, wie Märkte funktionieren und wie Verbraucher und Unternehmen Entscheidungen treffen.

Des Weiteren behandelt Stiglitz das Problem von Marktungleichgewichten nur oberflächlich. Die Frage, wie nach Eingriffen des Staates Warteschlangen bei zu niedrigen Preisen vermieden werden können, wird ebenso wenig adressiert wie das Phänomen des Überangebots oder der Überproduktion, die auftreten kann, wenn Preise zu hoch angesetzt sind und dadurch zu viele Anbieter anziehen. Solche Zustände führen zu Verschwendung und ineffizienter Ressourcennutzung, Themen, die in einer Diskussion über „Economics and the Good Society“ von zentraler Bedeutung sein sollten.

Joseph E. Stiglitz‘ Perspektiven in seinem Buch stimmen eng mit seiner generellen Befürwortung für eine erweiterte staatliche Intervention in die Wirtschaft überein, wie sie seine öffentlichen Äußerungen und früheren Schriften zeigen. Stiglitz hat sich seit seinem Nobelpreis im Jahr 2001 immer wieder für das Wachstum staatlicher Eingriffe ausgesprochen. Dies spiegelt sich in seinen Vorschlägen für staatliche Maßnahmen wider, wie etwa die Gründung einer Bundesagentur zur Sicherung der Flugpassagiere nach dem 11. September. Solche Vorschläge verdeutlichen seine Überzeugung, dass der Staat eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von Sicherheit und Qualität spielen sollte.

Immer wieder argumentiert Stiglitz, dass Märkte aufgrund asymmetrischer Informationen „ineffizient“ sind und ohne staatliche Regulierung nicht optimale Ergebnisse liefern können. Diese Sichtweise fördert eine stärkere Rolle der Regierung, um wirtschaftliche Austausche effizient und „gerecht“ zu gestalten. Ein neues Buch müsste mindestens ein ganzes Kapitel über die Frage enthalten, nach welchen Maßstäben ein Preis, der tatsächlich bezahlt wird, als „ungerecht“ bezeichnet werden kann. Bei jeder durchgeführten Transaktion dürfen die konkludenten Willenserklärungen beider Marktteilnehmer unterstellt werden, dass sie mit den Bedingungen einverstanden sind, denn sonst hätten sie die Transaktion nicht durchgeführt.

Bei den meisten Entscheidungen von Marktteilnehmern in einer modernen Volkswirtschaft geht es nicht um Leben und Tod, so dass keine erpresserische Rolle von Anbietern oder Nachfragen unterstellt werden kann. Es geht in den meisten Fällen „nur“ um bessere Gesundheit, höhere Bildung, schöneres Wohnen, bequemeres Fahren, besseres Essen oder gute Unterhaltung. Joseph E. Stiglitz geht nicht genau darauf ein, wie sich staatliche Eingriffe in der Masse der täglichen Entscheidungen von Konsumenten und Produzenten bestimmen lassen sollen und wer sie konkret treffen soll, wenn sie nicht die Entscheidungsfreiheit des Individuums beschneiden sollen.

Preise und Mengen sind die Inputfaktoren jeder Buchhaltung und damit jedes Managements. Wenn Preise von Beamten festgesetzt sind, spiegeln sie vielleicht die momentanen Präferenzen von Beamten oder maßgebenden Politikern, aber nicht unbedingt die Präferenzen der Marktteilnehmer. Darin liegt ein Element der Willkür. Die Informationsfunktion der Preise geht verloren. Im Extremfall einer Zentralverwaltungswirtschaft sind Preise nur noch Elemente eines Begrenzungs- und Verteilungsmechanismus, ohne Impluse für eine effizientere Allokation von Ressourcen geben zu können.

Wenn Preise unvollkommene Signale senden und daher zu Fehlentscheidungen führen, wie beispielsweise wegen ihrer mangelnden Reflexion externer Kosten, dann bedarf es ergänzender Systeme des Ratings. Bei Stiglitz findet sich aber kein Kapitel, das die Grundlagen für ein System aus Ratings legen würde, das auch ethische, ökologische und soziale Aspekte abgreift.

Stiglitz lobte vor über einem Jahrzehnt die sozialistische Regierung von Hugo Chavez in Venezuela. Er betonte, wie Chavez‘ Politik angeblich Gesundheit und Bildung in die armen Viertel von Caracas brachte. Dies zeigt seine Tendenz, Ansätze zu befürworten, die eine gleichmäßigere Verteilung des Reichtums anstreben, trotz der späteren Wirtschaftskrise in dem von natürlichen Ressourcen so reichen Land Venezuela, die zeigt, wie solche Politiken letztendlich scheitern können. So bleibt für den Leser hauptsächlich, ihm in weiten Teilen seiner Bestandsaufnahme der Ungleichheit zuzustimmen, ohne aber ein schlüssiges Konzept vorzufinden, nach dem weiter verfahren werden kann.

Stiglitz behauptet, dass Märkte systematisch Ungleichheit produzieren und dass nur wenige von der Freiheit der Märkte profitieren, während die Mehrheit wirtschaftlich zurückbleibt. Er schlägt vor, durch staatliche Eingriffe und umfassende soziale Programme, wie progressive Besteuerung und hochwertige öffentliche Bildung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Ähnlich wie in seinen früheren Werken und Vorträgen spricht Stiglitz praktisch davon, zu den Politiken der Great Depression zurückzukehren, um wachsende Ungleichheit und Armut zu bekämpfen. Er sieht staatliche Regulierungen und Interventionen als notwendig an, um eine gerechtere Wirtschaftsstruktur zu schaffen, die den „Mittelklasse“-Standard der Nachkriegszeit wiederherstellen kann.

Trotz dieser Kritikpunkte liefern seine Bücher wertvolle Einsichten in einige Aspekte der sozialen Wohlfahrt und deren Abhängigkeit von wirtschaftlichen Strukturen. Stiglitz ist besonders stark in der Darstellung der Verbindung zwischen wirtschaftspolitischen Entscheidungen und ihren langfristigen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Freiheit und Gerechtigkeit. Seine Argumentationen zu den Möglichkeiten einer gerechteren Gesellschaft durch gezielte ökonomische Reformen sind nach wie vor eindrucksvoll und inspirierend.

Insgesamt bietet „The Road to Freedom, Economics and the Good Society“ sicher vielen Leserinnen und Lesern eine Reihe von Einsichten und Anregungen, leidet jedoch unter einer gewissen Oberflächlichkeit in der Auseinandersetzung mit wichtigen ökonomischen Fragen. Leser, die eine tiefgehende technische Analyse der Marktmechanismen erwarten, könnten von diesem Buch enttäuscht sein. Für diejenigen, die ein breiteres Verständnis der sozialen Dimensionen wirtschaftlicher Politik suchen, bietet es jedoch durchaus interessante Perspektiven und Diskussionsansätze.

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