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Kluger Auftrag der Stadt Münster in Westfalen
Von Dr. Oliver Everling | 10.April 2021
Ein automatisiertes Sicherheitsnetz für kommunale Geldanlagen gibt es seit 2017 nicht mehr. Wenn Kommunen nicht selbst umfangreiche Research-Abteilungen aufbauen wollen, in denen Finanzanalysten tausende qualitative Daten und Jahresabschlüsse von Emittenten finanzieller Produkte untersuchen, sind die Kommunen auf unabhängige Urteile verlässlicher Ratingagenturen und Spezialisten angewiesen. Der Skandal der Berliner Ratingagentur Scope um die Greensill Bank in Bremen zeigt, welche milliardenschwerden Folgen geschönte Urteile haben können (siehe Börsen-Zeitung: Rating mit Geschmäckle).
Die Stadt Münster in Westfalen verließ sich nicht auf das Urteil einer in der Europäischen Union registrierten Ratingagentur – der Vorgang an sich ist schon eine Blamage nicht nur für die betroffene lokale Ratingagentur Scope Ratings GmbH in Berlin, sondern auch für die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA in Paris, denn fern ab in Paris sitzen die Aufseher, denen über Vorgänge in Berlin bereits interne Compliance-Berichte, Transparenzberichte und Anzeigen vorlagen. Es mangelte nicht an Sorgen und Hinweisen.
Die Arbeit der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA hinkt weit hinterher: So wurden bei der Berliner Scope Ratings erst im Sommer 2020 Vorgänge sanktioniert, die schon 2015 erwiesen waren (siehe „Kein Verlass auf Scope Ratings“). Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA lässt es zu, dass die Agentur Scope ungehindert Bankenratings weiterhin erstellen kann, die nicht nur volkswirtschaftlich zur Fehlallokation der Ressource „Kapital“ führen, sondern nun auch die beklagten Milliardenschäden bewirken.
Dabei gilt es zu bedenken, dass Ratingagenturen ohne Zertifizierung oder ohne Registrierung durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA nach der EU-Verordnung über Ratingagenturen keine Ratings veröffentlichen dürfen. Es darf kein Unternehmen Ratings verbreiten und zugleich über diese Ratings behaupten, sich mit qualifizierten Analysten in einem kompetenten Ratingkomitee fachlich fundierte Bonitätsurteile über andere Unternehmen gebildet zu haben, ohne zuvor dafür eine Anerkennung durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA erhalten zu haben. In der Autorisierung durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA liegt daher ein Signal für alle Marktteilnehmer, dass bestimmte taxonomische wie auch prozessuale Mindeststandards durch die Ratingagentur eingehalten werden.
„Die Stadt Münster hat im Sommer 2019 sehr genau hingesehen, als es galt, ein vergleichsweise attraktives Angebot der Greensill-Bank für die Anlage eines längerfristigen Festgeldes zu prüfen“, berichtet jetzt Stadtkämmerin Christine Zeller. Die Stadt beauftragte damals eigens die Schweizer Agentur Independent Credit View (I-CV) mit einer besonders sorgfältigen Prüfung der Greensill-Bank.
„Was sich im Rückblick als kluge Entscheidung erwies. Denn der Prüfauftrag der Stadt Münster führte dazu, dass die Schweizer I-CV-Experten schon 2019 zu einer warnenden Einschätzung hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit der Greensill Bank kamen,“ schreibt die Stadt Münster in Westfalen in einer Mitteilung, „während das Institut in den Augen der meisten anderen Fachleute noch unauffällig war.“
Von „den meisten“ Fachleuten – wie es die Stadt Münster behauptet – kann jedoch nicht die Rede sein. Zur Erteilung von Ratings sind in der Europäischen Union nur autorisierte Ratingagenturen befugt. Nur nach Registrierung oder Zertifizierung dürfen diese Agenturen ihre Urteile in Form der bekannten Buchstabencodes veröffentlichen. Die Greensill Bank war aber nur von der lokalen Ratingagentur in Berlin, der Scope Ratings GmbH, mit einem guten Credit Rating beurteilt worden, einem Rating „A-„, wie es sonst nur die besten deutschen Banken genießen. Daher konnten sich Sparer wie auch institutionelle Anleger nur an diesem Rating orientieren, alles andere hätte einen kostspieligen Auftrag an Spezialisten wie die in der Schweiz erfordert.
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde führt die Berliner „Scope Ratings GmbH“ unterschiedlos in einer Liste gemeinsam mit den international führenden wie auch mit anderen zertifizierten oder registrierten Ratingagenturen. Für Außenstehende sind Unterschiede in den Qualitäten dieser Ratingagenturen nicht ohne weiteres erkennbar (Beweis: Liste „CRA Authorisation“ der ESMA).
Da einzig die Scope Ratings GmbH eine Autorisierung hatte und zugleich auch das Rating „A-“ für die Bank ihres Scope-Beiratsmitgliedes und Scope-Investors Maurice Thompson hatte, blieb Sparern und Anlegern keine andere Wahl, als auf dieses Rating der durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA anerkannten Agentur zu vertrauen. Der Investor der Ratingagentur Scope ist zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender der insolventen Greensill Bank.
Aufsichtsratsvorsitzender der Scope SE & Co KGaA (ehemals Scope Corporation AG) ist Georg Graf Waldersee, der zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender der in den Wirecard-Skandal verwickelten Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist und Martha Boeckenfeld als Aufsichtsratsvorsitzende der Scope Corporation AG (heute Scope SE & Co KGaA) ablöste, Martha Boeckenfeld, die schon damals zugleich auch Aufsichtsrat der von Scope Ratings mit einem ebenso guten Rating wie für die Greensill Bank beurteilten italienischen Großbank Unicredit war.
Während sich die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA aber noch mit der Aufarbeitung der Gesetzesverstöße durch Scope aus dem Jahr 2015 beschäftigte, wurden von Scope Ratings GmbH ungehindert weiter Ratings veröffentlicht und sogar mutwillig mit einem aufwändigen Netz aus „Botschaftern“ von Berlin aus in ganz Europa verbreitet. Zahlreiche Befunde belegen das Verhalten der Ratingagentur. Das Versäumnis wiegt umso schwerer, da Externe das „genaue Vorgehen von Scope bei der Ratingvergabe“ nicht kennen. Die mangelnde Transparenz erlaubt es nicht zu beurteilen, ob die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA zurecht Scope’s Lizenz zur Erteilung von Ratings (und zur Vereinnahmung hoher Ratinggebühren) aufrecht erhält.
Rat von außerhalb der Euroäischen Union zu suchen und einen Prüfauftrag an die Schweizer I-CV-Experten zu erteilen, hat sich jedenfalls für die Stadt Münster gelohnt. Die kluge Stadtkämmerin darf auf ihr Gespühr stolz sein, nicht vorschnell dem ihr für die Greensill Bank aufgedrängten guten Rating aus Berlin gefolgt zu sein. Leider bedurfte es dazu erst eines Prüfauftrags an die Schweizer Independent Credit View AG – Kosten der Prüfung, die nach der Logik des Ratingwesens, das von den Emittenten selbst bezahlt wird, eigentlich den Investoren erspart bleiben sollten.
Von der unabhängigen Research-Boutique für institutionelle Bondinvestoren gab es aus Zürich jedenfalls eine klare Warnung – nur leider nicht auch für jeden Sparer und jede Kommune. „Münster ist dieser Einschätzung damals gefolgt und hat sich gegen ein Geschäft mit der Greensill-Bank entschieden“, so Zeller. „Damit blieb der Stadt – anders als vielen anderen Kommunen in Deutschland – ein mutmaßlicher Millionenschaden erspart.“
Wer sich aber ordnungsgemäß auf das Rating der durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA kontrollierten Scope Ratings GmbH verließ, hat nun das Nachsehen. Allerdings ist gegen die Machenschaften der Scope-Gruppe, dessen Initiator sich aus seinem Büro mit Blick auf den Reichstag in Berlin gerne mit altgedienten Politikern, einflussreichen Prominenten und einem am Kapitalmarkt aktiven Ankerinvestor umgibt, mit den aufsichtsrechtlichen Instrumenten der Euroäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA schwer anzukommen – siehe „Scope Group außer Kontrolle“ oder „Scope Ratings Spiel des Gesellschaftsrechts“ zum Beispiel.
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