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Konfliktkultur: Rating statt Rätselraten

Von Dr. Oliver Everling | 13.Juni 2008

„Jeder kennt das nur zu gut:“, behauptet Hartmut Kriese, Executive Consultant und Spezialist für Konfliktkultur im unternehmerischen Leistungshandeln, „Es könnte eigentlich alles so gut laufen. Die wichtigsten Erfolgskriterien stehen auf Grün und doch passieren immer wieder ganz dumme Dinge. Passieren heißt: Vorbei kommen. Es kommt wiederholt zu unerklärlichen Fehlern im Fertigungsprozess, eine unverständliche Schlamperei in der Versandabteilung hat einen mehrtägigen Lieferverzug zur Folge, eine Maschine streikt genau im falschen Moment, einer der wichtigsten Mitarbeiter fällt wegen Krankheit für lange Zeit aus und der beste Kunde beschwert sich nun schon zum dritten Mal, diesmal auf Geschäftsleitungsebene. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.“

Von Nutzen, so Kriese, sind allerdings nur die Listen, die jedes Unternehmen ganz individuell für sich selbst führt. Eine solche Liste ist nämlich einiges Wert, zumal dann, wenn sie in Verbindung gebracht wird mit anderen gut bekannten Aspekten, etwa die gedrückte Stimmung auf den Fluren („Flurrauschen“), mit Spannungen bei alltäglichen Abstimmungen („Meetings“) und anderen Lähmungserscheinungen, die sich aus mannigfaltiger Ungewissheit ergibt – mit Blick auf das Unternehmen als Ganzes: „wie lange kann das wohl noch gut gehen?“, aber mehr noch als persönliche Angst um den Arbeitsplatz: „und was dann?“.

Hinter alledem, das weiß Kriese aus langjähriger Erfahrung, stehen Konflikte, manchmal größere, die für alle schon offenkundig sind, viel häufiger aber mehrere klitzekleine, die sich zu einem hochkomplexen Konfliktgebilde verknüpfen und Ratlosigkeit erzeugen. Rätselraten. Diese diffusen Konfliktgebilde kosten: Zeit. Nerven. Und meistens sehr viel Geld.

Konflikte sind nun einmal nicht so transparent wie Konten in einer GuV-Rechnung – erstmal nicht, erklärt Kriese den Kern des eigentlichen Problems. Auch entziehen sich Konflikte in aller Regel jeder Kontrolle, und zwar besonders dort sehr geschickt, wo man ihnen mit Macht und Strenge beizukommen versucht anstatt mit Vertrauen, Verständnis und Respekt. Konflikte lassen sich in der Tat nicht ganz so leicht lösen, wie man es gern hätte, vor allem wenn Aspekte beteiligt sind, die tiefer liegen und zum Teil weit hineinreichen in den ungeliebten Emotionalraum. Und je tiefer es geht, um weniger lässt sich ausrichten mit den klassischen Instrumente der Kontrolle.

„All das impliziert nun aber Schwäche und Ohnmacht und das ist im Leistungskontext nicht gestattet.“ Kriese fügt hinzu: „Soviel ist Konsens – Land auf Land und ganz global. Aus diesen Gründen hat man eben keine Konflikte. Nirgends. Ganz einfach.“ Aus „Geht nicht gibt’s nicht“ wird „Gibt’s bei uns nicht, es hat zu gehen!“ Selbst wo es die Spatzen schon von den Dächern pfeifen oder die Geier bereits ihre Kreise über dem Firmengelände ziehen, ist so gut wie alles kein Problem. Man verharmlost, kaschiert oder verleugnet seine Konflikte. Man will sie nicht sehen. Und so sieht man sie dann auch nicht mehr. Man erkennt nichts. Doch damit, so Kriese, sind die Konflikte nicht weg – und es hat sie auch kein anderer.

Mitten im Milieu solchen Ignorierens bahnen sich Konflikte auf rätselhafte Weise ihren Weg, was, wie Kriese an vielen Beispielen aufzeigen kann, durchaus unangenehm und äußerst machtvoll geschehen kann. Und dann sieht man sie wieder. Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass sie sich nun im Gewand von Sachproblemen zeigen – „weiche Wirklichkeiten“ mutiert zu „knallharten Fakten“. Sie klopfen an mit kleinen Anzeichen und Hinweisen, zudem in recht allgemein verständlichen Metaphern und Symbolen, wie Kriese findet. Und wenn sie dann noch immer kein Gehör finden, kann es ganz schnell richtig teuer werden. Es kommt, wenn man genauer hinschaut, gar nicht so selten vor, dass sich das Ganze irgendwann als Totalabschreibung in der Tonne vorfindet. „Dumm gelaufen?“ Nein! Nicht gehört! Und: „Wer nicht hören will, muss fühlen“. Auch das hat jeder, glaubt Kriese, wenigstens schon einmal gehört, wenn nicht sogar schon zu spüren bekommen.

Es ist Mode in diesen Tagen, von Konflikten immer nur gerade soviel zu sehen und entsprechend anzugehen, wie sich als Spitze des viel zitierten Eisbergs zeigt, also das, was sich aufgrund messbarer Manifestationen überhaupt nicht mehr verheimlichen lässt. Dafür zahlt man einen sehr hohen Preis. Kriese: „Zum einen für das rumdoktern an den Symptomen, die kostspielig saniert oder teuer weg operiert werden. Zur Erinnerung: Symptome sind Konflikte, die sich zeitverzögert als Sachprobleme zum Ausdruck bringen.“ Zum anderen für jede Menge an „Trotzkosten“, wie Kriese die Gebühren für ungelöst schwelende Konflikte bezeichnet. Trotzkosten sind Minderleistungen der Mitarbeiter, die mit abnehmendem Betriebsklima exponentiell ansteigen – auf allen Ebenen und in allen Bereichen.

Wo der Umgang mit Konflikten nicht kultiviert wird, nicht aktiv gepflegt wird, kann ein Klima-Rating unterstellt werden, dass sich höchst wahrscheinlich zwischen irritiert“ und „frustriert“ bewegt. Was dies dann in konkreten Zahlen bedeutet, können Dr. Oliver Everling und Hartmut Kriese über ihren Ansatz „Rating der Konfliktkultur“ leicht nachvollziehbar zeigen.

Wo es an Konfliktkultur fehlt, also an der Befähigung und an Bereitschaft, Konflikte möglichst schon im Moment des Entstehens sehen zu können (und auch zu wollen) und sie sofort aktiv, maßvoll und mit dem Ziel einer für alle Beteiligten zufrieden stellenden Lösung auch anzugehen, dort schwelen die Konflikte munter weiter. Vor allem die kleinen, die sich aus so genannten Selbstverständlichkeiten herleiten. Mehr noch, sie verstärken sich gegenseitig und entwickeln sich zum Flächenbrand. Und so geht es fort und fort: erstens den Konflikten ausweichen, zweitens deren (für den Kundigen oft recht schnell ersichtlichen) Verwandlung in Sachprobleme übersehen oder verkennen und drittens mit der Folgenschraube leben: Kostendrama, Ertragsdilemma und Klimadesaster. Ein Teufelskreis, klagt Kriese, nur weil alles Menschliche im Miteinander der Leistungserstellung von Unternehmern und Managern allzu oft als „Psychozeug“ oder als „esoterische Verirrung“ dämonisiert wird. Eine derartig mangelnde Bereitschaft zu mehr Problembewusstsein rächt sich aber. Mehr noch: Probleme, die durch den Mangel an Problembewusstsein entstanden sind, lassen sich nicht mit dem gleichen Bewusstsein lösen, durch das sie zum Problem wurden.

Beim Thema Konfliktkultur geht um die Bereitschaft zu einem gewissen Mehr an Bewusstheit, zu einem erweiterten Problembewusstsein – auch als eine künftig wohl zu erwartende Fertigkeit für verantwortliche Geschäftsführung. Das bedeutet nicht, dass jede Führungskraft die benötigten Skills selbst beherrschen muss. Absolut nicht. Gleichwohl ist – heute mehr denn je – die Bereitschaft der Geschäftsführung gefragt, entsprechende Kompetenz als (idealerweise) externes Ergänzungswissen nicht nur zuzulassen, sondern Beobachtungen und Bedeutungen aus erarbeiteten Materialien als werthaltige Information in alle strategischen Aspekte der Führung einzubeziehen, „einzupreisen“ – mit der Folge einer lohnenden Schadensvorbeugung und rechtzeitige Schadensbegrenzung durch die Wandlung von diffusen Ertragsrisiken in differenzierte Ertragschancen

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