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Markowitz-Modellkritik reißt nicht ab

Von Dr. Oliver Everling | 6.Januar 2009

„So im neuen Jahr habe ich noch nie so etwas schönes (auch sprachtechnisch) gelesen“, kommentiert Willem D. Okkerse vom OK-RATING INSTITUTE (http://www.ok-rating.nl/) den Artikel „Ende naiver Markowitz-Diversifikation“ im Everling Internet Newsletter Ausgabe 1/2009 vom 31. Dezember 2008, der überraschend viel Zustimmung erfuhr. Okkerse fügt seiner Nachricht kommentarlos die Wertentwicklung seines Portfolios und Vergleichszahlen hinzu: Wer gemäß seines Ratings statt nach Markowitz investiert hat, hat nur einen Bruchteil im Vergleich zu allen Indizes, zu Warren Buffet und zu anderen Investoren verloren.

Gegenstand des Artikels im Newsletter war die hartnäckige Anwendung des Markowitz-Modells in der Praxis sowie die unbeirrbare Lehre dazu, obwohl die realitätsfernen Prämissen und theoretischen Voraussetzungen in der Praxis nicht auch nur annähernd oder teilweise erfüllt sind. Die aktuelle Finanzkrise beweist, dass auch Ratings und Liquiditätsaspekte Börsenkurse zu beeinflussen vermögen. Markovitz sei sowieso falsch, stimmt Jürgen Braatz ein, geschäftsführender Gesellschafter der Ratingwissen GbR in Hamburg, da die Prämisse „Glockenkurve“ empirisch widerlegt sei. Braatz hatte schon vor zwei Jahren nach einem Vortrag beim SAS-Forum in seinem Fondswissen-Newsletter dezidiert dazu Stellung genommen.

Nach der Theorie des Nobelpreisträgers Harry Markowitz reduzieren sich die Anlagebedürfnisse von Investoren auf eine optimale Kombination von Chance (erwarteter Rendite) und Risiko (Varianz der Rendite). Wären alle Wahrscheinlichkeiten aller künftig möglichen Ereignisse und Entwicklungen bekannt, würden darüber hinaus weltweit alle Anleger über alle Informationen jederzeit und überall verfügen, weder Steuern noch Provisionen oder Gebühren an Banken bezahlen noch sonst Transaktionskosten berücksichtigen müssen, dann wäre es unter einer Reihe weiterer theoretischer Annahmen optimal, in eine Kombination aus Marktportefeuille und sicherer Anlage (z. B. Staatspapiere) zu investieren. Um diese zu finden, braucht man dann „nur noch“ die Nutzenfunktion des Anlegers zu bestimmen, die allerdings ethische, ökologische und soziale Aspekte nicht enthalten darf, da es auf bloße Rendite ankommen soll.

„Gestatten Sie mir bitte eine kleine Anmerkung zu Ihrem heutigen Newsletter, insbesondere zu Markowitz“, schreibt Michael Anton, Geschäftsführer der Index Portfolio Concept GmbH aus Dillingen (www.die-faire-rendite.de): „Ja, es ist äußerst bedauerlich, dass die Finanzwelt immer noch mit dem Modell Markowitz hantiert, das nicht nur aus der Mode gekommen ist, sondern schlicht und ergreifend falsch ist. Auch dies ist keine neue Erkenntnis, sie drückt nur aus, dass die Finanzindustrie mit hergebrachten Mitteln, die einmal – bedauerlicherweise durch den Nobelpreis zu falschen Ehren gelangt – nach wie vor den Markt konditioniert und zu bequem ist, die alten Modelle zu entsorgen und gegen bessere zu ersetzen.“

„Dies wird die etablierte Finanzindustrie nicht tun,“ so Anton weiter, „denn sie müsste Abschied nehmen von einem bequemen und einträglichen Geschäftsmodell. Bessere Mathematik ist seit langem vorhanden (siehe Mandelbrot), doch wir müssen mit der Erkenntnis leben, dass die großen Krisen – nach wie vor – nicht vorhersagbar werden. Daraus ist abzuleiten, dass Vermögen gegen – unvorhersagbare – Krisen besser geschützt werden müssen. Vermögen finden in der in der Gaußschen Glockenkurve nur vermeintlichen Schutz, der sich in der Krise als untauglich erweist.“

Die wissenschaftlichen Verdienste von Harry Markowitz, die finanzwirtschaftliche Forschung über ein halbes Jahrhundert hinweg maßgeblich beeinflusst zu haben, stehen trotz begrenzter praktischer Eignung seines Modells außer jedem Zweifel. Es liegt an der Praxis, die Tragweite seiner witzigen Idee von vollständig informationseffizienten und unendlich reaktionsschnellen Märkten nicht erkannt zu haben. Viele Phänomene der Praxis, wie das Auf- und Ab der Börsenkurse, wurden als Beweise dafür gedeutet, dass die Modellprämissen wenigstens annähernd erfüllt seien oder hinreichend modifiziert werden könnten. Der Kerneraufgabe, überhaupt erst die Risikosituationen von Unternehmen umfassend zu analysieren und durch ein Rating zu klassifizieren, wollten und konnten sich die meisten, auch institutionellen Anleger nicht stellen: Zu groß die Versuchung in Zeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, einfach historische Börsenkursdaten in der einen oder anderen Form in die Zukunft fortzuschreiben.

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