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Methodologie des Aktienratings
Von Dr. Oliver Everling | 12.Juli 2020
An bestimmten Aktienmärkten ausgegebene oder zu emittierende und / oder zu handelnde Aktieninstrumente können Gegenstand von Ratings sein. Aktienratings spiegeln die Risiken wider, die mit der Bonität des Emittenten und der Börsenliquidität eines Instruments verbunden sind. Sie befassen sich jedoch weder mit dem Risiko von Verlusten im Zusammenhang mit Preisänderungen und anderen Marktbedingungen, noch berücksichtigen sie die Angemessenheit der Preise für ihren Marktwert. Auf nationaler Ebene vergebene Ratings sind nicht länderübergreifend vergleichbar und werden anhand nationaler Ratingskalen vergeben.
Solche Aktienratings sind meist Folge von regulatorischen Eingriffen des Staates, um zu verhindern, dass Anleger oder Emittenten durch Missstände auf den Börsenplätzen Schaden erleiden. Das Erfordernis, Aktienratings zu erteilen, ist daher in manchen Staaten als Reaktion auf regulatorische Anforderungen zu verstehen. Soweit solche Anforderungen derzeit nicht existieren oder nicht anwendbar sind, beruhen Aktienratings auf einer Marktpraxis.
Zu den von Aktienratings betroffenen Finanzinstrumenten gehören Stammaktien, die von finanziellen und nicht-finanziellen Unternehmen ausgegeben wurden, ohne darauf beschränkt zu sein. Die Methode des Aktienratings gilt nicht für Aktien, die außerhalb eines öffentlichen Angebots von privaten Fonds oder anderen Anlageinstrumenten ausgegeben wurden, oder für Vorzugsaktien, da diese eigenen Methodologien zugänglich sind.
Bei Aktienrating geht es um die Elemente, die im Rahmen des Aktienratingprozesses zu bewerten sind. Aktienratings werden um analytische Überlegungen zum Kreditrating des Emittenten ergänzt. Die Methodologie des Aktienratings darf daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern sollte im Kontext mit den globalen Kriterienberichten von Ratings für finanzielle und nicht-finanzielle Unternehmen gelesen werden.
Als „Aktienrating“ werden auch Kauf-, Verkauf- oder Halteempfehlungen bezeichnet. Eine starke Kaufempfehlung kann beispielsweise durch ein Doppel-Plus ++ und eine einfach Kaufempfehlung durch einfaches Plus + zum Ausdruck gebracht werden, umgekehrt sind bei Verkaufsempfehlungen Symbole wie Minus – und Doppel-Minus — gebräuchlich. Gibt der Rater weder eine Empfehlung zum Kauf, noch zum Verkauf, kann die Empfehlung “Halten” z.B. durch ein Kreissymbol o zum Ausdruck gebracht werden.
Als Kauf- und Verkaufsempfehlungen ausgedrückte Analystenmeinungen sind so schnelllebig wie die Börse selbst, wie jüngst auch die Corona-Krise zeigte: Stürzt der Kurs einer Aktie ab, kann sich die Verkaufsempfehlung rasch in eine Kaufempfehlung umkehren.
Ratingreparaturen beziehen sich für uns daher auf die die Vergabe von Aktienratings, die dem Anleger eine unabhängige Meinung über die Kreditwürdigkeit des Emittenten und das mit seinen Aktien verbundene Liquiditätsrisiko geben. Der Zweck solcher Aktienratings besteht darin, eine Schätzung des Liquiditätsrisikos zu liefern, das ein Anleger beim Erwerb eines bestimmten Aktienwertpapiers eingeht, um in einem angemessenen Zeitraum zu messen, wie einfach oder schwierig es sein wird, dieses Instrument zu verkaufen, wenn der Investor so entscheidet.
Die Analyse umfasst die Bewertung des historischen Börsenverhaltens der Aktie in Bezug auf Präsenz und gehandelte Volumina sowie den Zusammenhang zwischen den Bewegungen der Aktie und der finanziellen Situation des Unternehmens und der Branche, in der es tätig ist.
Kreditwürdigkeit und Marktliquiditätsrisiko sind die wichtigsten Faktoren im Aktienrating, für die sich eine Evidenz herstellen lässt. Aktienratings werden auf nationaler Ebene daher basierend auf zwei Arten von Analysen erteilt: Kreditwürdigkeit des Emittenten und Marktliquiditätsrisiko. Die Kombination dieser beiden Faktoren führt zur Bestimmung des Eigenkapitalratings eines Unternehmens.
Der Zweck eines Aktienratings besteht nicht darin, das Ausfallrisiko solcher Aktien zu bewerten. Bei Aktien handelt es sich um Beteiligungstitel und sie verbriefen Eigentum, nicht bloß eine Forderung. Bei Aktien gibt es ex ante keine zwingend fällige Zahlungsverpflichtung, die vollständig und rechtzeitig zu erfüllen wäre. Daher können sie nicht in Verzug geraten. Weil Aktien keine spezifischen Zahlungsverpflichtungen verbriefen, geht es im Aktienrating um die Wahrscheinlichkeit, dass der Emittent weiter operiert. Konzeptionell weisen Aktienratings darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, dass seine Aktien während des gesamten Konjunkturzyklus weiter gehandelt werden, umso größer ist, je kreditwürdiger ein Emittent ist. Im aktuellen Fall der Insolvenz der Firma Wirecard, einem im deutschen Aktienindex DAX gelisteten Unternehmen, wäre es Aufgabe eines Aktienratings gewesen, die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses durch ein niedriges Rating zu signalisieren.
Aktienratings spiegeln Risiken im Zusammenhang mit der Kreditwürdigkeit des Emittenten und der Marktliquidität der Aktie wider. Aus den geschilderten Gründen befassen sich Aktienratings jedoch weder mit dem Risiko von Verlusten, die mit Änderungen der Aktienkurse und anderen Marktbedingungen verbunden sind, noch mit der Angemessenheit des Marktpreises eines bestimmten Wertpapiers. Aktienratings eignen sich daher nicht als Tradingsignale, um zum Beispiel binnen weniger Stunden eine Aktie zu kaufen und wieder zu verkaufen. Aktienratings sind auch keine Grundlage für den Handel mit Contracts for Difference (CFDs). In keinem Fall führt ein Aktienrating zu einer Empfehlung zum Kauf oder Verkauf eines bestimmten Wertpapiers. Aktienratings sind daher weder eine besondere Form von Aktienkursschätzungen, noch werden Aktienkurse verwendet, um Prognosen über das Liquiditätsrisiko zu ermitteln. Aktienratings sind nicht Ergebnis einer technischen Kurschartanalyse.
Die Informationen, die zur Durchführung der Risikoanalyse und zur Zuordnung der Ratings erforderlich sind, werden aus verschiedenen Quellen wie dem Emittenten, Branchendaten und anderen relevanten Quellen bezogen. Für die spezifische Analyse der Liquidität der Aktie werden aus Marktquellen die statistischen Daten bezogen, die erforderlich sind, um die relevanten Börsenindikatoren berechnen zu können.
Die Analyse umfasst in der Regel fünf Jahre Betriebsgeschichte und Finanzdaten. Die zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit des Emittenten erforderlichen Informationen können direkt vom Emittenten angefordert oder indirekt über Agenturen bezogen werden. Sobald die erforderlichen Informationen erhoben und kontrolliert sind, kann eine Analyse auf der Grundlage einer einheitlichen Methode durchgeführt werden.
Wenn kriminelle Energie im Spiel ist – wie angeblich im Fall der Firma Wirecard – kann auch das Aktienrating die Fälschung nicht ohne weiteres aufdecken. Ratingagenturen betonen, dass die vom Emittenten oder seinen Vertretern erhaltenen Informationen nicht (noch einmal) geprüft oder verifiziert werden. Während Ratings den Blick in die Zukunft richten, sind Testate von Wirtschaftsprüfern dazu da, die Übereinstimmung des Berichts des Unternehmens mit den vorgefundenen Tatsachen zu bestätigten.
Um Betrugsfällen wie bei WorldCom, Enron und nun offenbar auch bei Wirecard entgegenzuwirken und Warnsignale an Investoren zu geben, bedarf es eines forensischen Ratings. Forensische Ratings beschäftigen sich in der Regel mit individuellen Straftaten, anders als die Kriminologie, die die Grundlagen kriminellen Verhaltens untersucht. Das Konzept einer „forensischen Wissenschaft“ (forensic science) entspricht – wie auch übrigens das Konzept des “Kreditratings” – vielfach nicht den Kriterien für wissenschaftliche Forschung im engeren Sinn. Begreiflicherweise werden forensische Ratings überwiegend mit Methoden durchgeführt, die gut etabliert, standardisiert und möglichst unumstritten sein sollen. Innovation und Kreativität müssen aus Gründen der Vergleichbarkeit und Fairness stark beschränkt werden. Die wissenschaftlichen Grundsätze von Objektivität, Reliabilität und Validität gelten auch für kriminalistische Untersuchungen. Von großer Bedeutung ist die Gewährleistung eines möglichst hohen Qualitätsstandards wie bei jedem Rating.
Rating ersetzt auch nicht die Arbeit des Wirtschaftsprüfers, denn der Bestätigungsvermerk ist das Gesamturteil eines Abschlussprüfers nach der Prüfung eines Jahresabschlusses. Darin beurteilt der Prüfer die Übereinstimmung des Jahresabschlusses und des Lageberichtes mit den für das Unternehmen geltenden Rechnungslegungsvorschriften. Es wird nur beurteilt, ob die Lage des Unternehmens korrekt abgebildet wurde, aber es wird keine Prognose über die Kreditwürdigkeit des Unternehmens und die Liquidität der Aktie gegeben. Eine ganzheitliche Beurteilung der wirtschaftlichen Lage, die auch ein erhebliches Maß an Branchenkenntnis erfordert, erfolgt grundsätzlich nicht. Die Erteilung des Bestätigungsvermerkes darf erst nach vollständigem Abschluss der materiellen Prüfung erfolgen.
Für Wertpapiere ohne historische Börseninformationen wie ein erstes Aktienangebot (IPO) oder mit unzureichenden Informationen kann sich die Analyse praktisch nur auf die Bonität des Emittenten stützen. Nach Abschluss von rund einem Jahr Börsentransaktionen wird die Eigenkapitalliquidität in die Analyse einbezogen.
Die Kreditwürdigkeit des Emittenten wird in seinem Emittentenausfallrating oder seinem langfristigen nationalen Skalenrating ausgedrückt. Diese werden je nach Art des Unternehmens gemäß den jeweiligen Methoden für nicht-finanzielle (z.B. Chemiekonzerne, Technologieunternehme) und finanzielle Unternehmen (z.B. Banken und Versicherungen) abgeleitet.
Wie auch sonst beim Kreditrating besteht der Zweck der Kreditanalyse darin, die Wahrscheinlichkeit zu klassifizieren, mit der ein Unternehmen seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommt (oder mit anderen Worten, das Ausfallrisiko). Das operative und finanzielle Profil des Unternehmens, seine Gesamtbonität und damit das langfristige Rating des Emittenten sind gute Annäherungen an das Risiko der zukünftigen Cash-Generierungskapazität eines Unternehmens.
Ins Aktienrating fließen qualitative und quantitative Variablen ein, um die operationellen und finanziellen Risiken eines Emittenten zu messen und sein Kreditprofil gemäß den in den globalen Ratingmethoden für Finanz- und Nichtfinanzunternehmen enthaltenen Konzepten zu bestimmen.
Wie schon angedeutet, wird zur Beurteilung der Börsenliquidität eine Ex-post-Analyse durchgeführt, die naturgemäß dynamisch ist und auf der Überwachung bestimmter relevanter Marktindikatoren zur Messung der Liquidität einer Aktie basiert.
Die Börsenplätze der Welt weisen große Unterschiede auf. Relevant sind für Investoren die Qualitäten der Papiere an der Börse, an der er handeln kann. Daher sind Aktienratings in den Kontext der Börse des Landes gestellt. Die Analyse kann Elemente enthalten, die eine geringere Liquidität mindern, z. B. die Serie einer bestimmten Aktie, die größere Rechte an einer anderen Serie dieses Wertpapiers gewährt. Die relative Bedeutung der einzelnen Risikofaktoren kann variieren. In der Regel beschränken Indikatoren, die auf eine geringe Liquidität einer bestimmten Aktie hinweisen, deren Rating normalerweise auf den niedrigsten Bereich der Skala.
Die Handelshistorie der Aktie, der Prozentsatz des Streubesitzes sowie die Entwicklung der Marktkapitalisierung und des täglichen Handelsvolumens sind Faktoren, die die Beurteilung des Liquiditätsniveaus der Aktie beeinflussen. Die Liquidität eines Wertpapiers wird an der jüngsten Entwicklung dieser und weiterer Börsenindikatoren gemessen, im Wesentlichen aber an der Präsenz des Wertpapiers auf dem Markt. Obwohl das Rating von der jüngsten Wertentwicklung der Aktienliquiditätsindikatoren abhängt, ist die Erfolgsbilanz der bewerteten Indikatoren für die Bestimmung eines Ratings von entscheidender Bedeutung.
Die Börsenpräsenz ist das Hauptmaß, das bei der Bestimmung der Marktliquidität berücksichtigt wird. Hierzu spielt beispielsweise die Anzahl der Tage eine Rolle, an denen ein Instrument z.B. innerhalb der letzten 180 Arbeitstage Transaktionen in relevanten Beträgen abgewickelt wurde. Dieser Indikator liefert ein Maß für die Anzahl der Tage, an denen für eine Aktie relevante Transaktionen registriert wurden.
Wichtig für die Beurteilung der Liquidität einer Aktie ist die Anzahl der Tage, an denen ein Anleger die Möglichkeit gehabt hätte, auszusteigen. Unternehmen, in denen fast täglich Transaktionen erfasst werden, haben eine hohe Börsenpräsenz, was für eine hohe Liquidität spricht.
Die Marktkapitalisierung spielt – und somit indirekt auch der Aktienkurs – im Aktienrating auch eine Rolle, denn er spiegelt den Marktwert einer Aktiengesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt wider. Die Marktkapitalisierung wird durch Multiplikation des Aktienkurses mit der Anzahl der Aktien berechnet. Durch Betrachtung der Marktkapitalisierung ergibt sich eine Rangfolge, die die Unternehmen nach ihrer Marktgröße ordnet. Rasche, häufige und einseitige Änderungen der Börsenkapitalisierung spiegeln den Trend und die Volatilität des Marktwerts in einem bestimmten Zeitraum wider.
Der Free Float bezieht sich auf Aktien, die nicht von Mehrheits- oder langfristigen Aktionären gehalten werden. Unter Streubesitz versteht man bei Aktiengesellschaften die Summe der Aktien, die dem Börsenhandel zur Verfügung stehen. Je höher dieser Prozentsatz ist, desto liquider dürfte die Aktie sein.
Mit Erhebung des Handelsvolumens wird der Gesamtwert der Transaktionen einer Aktie berücksichtigt. Das durchschnittliche tägliche Handelsvolumen wird durch die Präsenz an den Aktienmärkten und die Marktkapitalisierung bestimmt. Sie spiegelt den Geldwert des durchschnittlichen täglichen Transaktionsvolumens für ein bestimmtes Wertpapier in einem bestimmten Zeitraum wider. Das Handelsvolumen errechnet sich durch die Anzahl der gehandelten Wertpapiere in einem Zeitraum multipliziert mit dem Preis jeder Transaktion. Das gesamte gehandelte Volumen eines Emittenten wird mit dem gesamten gehandelten Volumen des gesamten Marktes verglichen.
Aktienratings bringen den “Optionscharakter” der Aktien eines Unternehmens zum Ausdruck. Nach der Optionspreistheorie kann der Aktionär auch als Käufer einer Kaufoption modelliert werden. Durch Zahlung einer Prämie – des Aktienkurses – erhält der Käufer das Recht, aber nicht die Pflicht, das Unternehmen fortzuführen. Sinkt der Wert aller Vermögensgegenstände eins Unternehmens unter den Wert der Forderungen von Gläubigern gegen das Unternehmen, braucht der Aktionär kein Eigenkapital nachzuschießen, sondern kann das Unternehmen den Gläubigern im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zur Verwertung überlassen. Zerschlagungs- und Fortführungswerte sind für diese Entscheidung maßgebend.
Da im Aktienrating auch das Ausfallrisiko des Unternehmens einfließt, kennzeichnet es somit den Optionscharakter der Aktie. Je niedriger das Aktienrating, desto größer der Optionscharakter der Aktie.
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