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Ökonomisches Kapital
Von Dr. Oliver Everling | 14.Februar 2009
Mit dem „Handbuch Ökonomisches Kapital“ von Axel Becker, Dr. Volker Gehrmann und Prof. Dr. Hermann Schulte-Mattler aus dem Fritz Knapp Verlag, Frankfurt am Main (www.knapp-verlag.de, ISBN 978-3-8314-0818-4), taucht der Leser zunächst kaum merklich in die Welt der Stochastik ein. Im ersten Kapitel geht es um die Konzepte und Anwendungen des ökonomischen Kapitals, danach widmen sich zwei Beiträge der Allokation des ökonomischen Kapitals auf Geschäftseinheiten und schließlich geht es um die Berechnung des ökonomischen Kapitals für spezifische Risiken.
Die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik stehen stets Pate bei den so genannten „Value-at-Risk“-Modellen, deren Gedankengut auch aufsichtsrechtlich in der Solvabilitätsverordnung und in den Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Kreditinstitute Verankerung fanden. Kernvoraussetzung ist hierbei, praktisch alle Wertänderungen, mit denen es eine Bank zu tun hat, in der Art von Zufallsvariablen modellieren zu können. Risikomessmodelle schätzen das Verlustpotential eines Portfolios anhand der Kennzahl „Value at Risk“ (VaR). Der VaR gibt die für eine vorgegebene Wahrscheinlichkeit bestehende, in Geldeinheiten ausgedrückte Verlustoberschranke an.
Die VaR-Modelle haben die Aufgabe, das Verlustpotential eines Portfolios von Finanzinstrumenten – hierzu zählen die Autoren auch unverbriefte Kreditforderungen – monetär zu quantifizieren. Sie basieren bei der parametrischen Modellklasse „Varianz-Kovarianz-Ansatz“ auf der Portfolio-Selection-Theorie von Harry Markowitz. Die Bestimmung der erwarteten Rendite eines Portofolios ergibt sich als die Addition der mit den jeweiligen Portfolioanteilen gewichteten Einzelrenditen.
Die Komplexität des Themas resultiert dann aus den Aspekten ökonomischer Kapitalsteuerungsmodelle zur Gewinnung angemessener Risikomesszahlen, der Integration des Marktrisikos im ökonomischen Kapital, der Quantifizierung operationeller Risiken als Bestandteil der ökonomischen Kapitalsteuerung, des Risikomanagements mit spektralen Risiko- und Allokationsmaßen, den Stress-Szenarien im Rahmen der Risikotragfähigkeitsrechnung sowie aus der Berechnung des ökonomischen Kapitals für Beteiligungsportfolios und für das Liquiditätsrisiko in Instituten.
Strebt ein Kreditinstitut für sich beispielsweise ein „AA-Rating“ einer externen Ratingagentur an, wählt es ein statistisches Vertrauensintervall in Höhe von 99,97 %, das mit der Ausfallwahrscheinlichkeit eines Schuldners mit einem Rating von AA korrespondiert. Beim ökonomischen Kapital wird bei der Quantifizierung des Risikos von den Instituten in der Regel ein Zeithorizont von einem Jahr (genauer: 250 Arbeitstage) und ein Vertrauensintervall in Abhängigkeit von dem Rating des Instituts unterstellt.
Eine Abweichung sollte dann, das sagen die Stochastiker, nicht wahrscheinlicher sein als durch das Vertrauensintervall vorgegeben. Rechnen die Verantwortlichen in den Banken einmal nach, haben die meisten ihr Vertrauensintervall wohl für die nächsten eintausend Jahre bereits ausgeschöpft. Die Verlustüberschreitungen, die in den reihenweisen Schieflagen der Banken in der Finanzkrise zum Ausdruck kamen, sollten nach den Modellen ja mit einer Wahrscheilichkeit von mehr als 99,9 % ausgeschlossen worden sein.
Das Buch von Becker, Gehrmann und Schulte-Mattler ist nicht nur Studierenden, sondern auch Bankpraktikern dringend zu empfehlen, die sich mit den theoretischen Voraussetzungen ihrer Modellierungen vor dem Hintergrund der Finanzkrise erneut befassen wollen. So vermochte Dr. Josef Ackermann von der Deutschen Bank bereits bei der Euro Finance Week 2008 festzustellen, dass in der Praxis nicht funktionieren kann, was schon in der Theorie nicht funktioniere.
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