Die Zukunft des Retail-Bankings: Europäisch, digital, profitabel

Von Dr. Oliver Everling | 4.September 2024

Beim Handelsblatt Banken-Gipfel 2024 in Frankfurt am Main sprach Valentin Stalf, Co-Founder und CEO von N26, über die Herausforderungen und Chancen, die vor seiner Bank liegen. Unter dem Motto „Die Zukunft des Retail-Bankings: Europäisch, digital, profitabel“ ging Stalf auf die strategischen Pläne seines Unternehmens ein und beleuchtete die aktuellen Trends, die das Retail-Banking in Europa und darüber hinaus prägen.

Stalf räumte ein, dass die von der BaFin auferlegte Wachstumsbeschränkung in den letzten zweieinhalb Jahren eine große Herausforderung darstellte. Diese Einschränkungen hatten erheblichen Einfluss auf die Expansionspläne von N26, denn das Team war ursprünglich für ein deutlich schnelleres Wachstum aufgebaut worden. „Der Sonderprüfer ist im ‚fading out‘ bis zum Jahresende“, erklärte Stalf und deutete damit an, dass die Regulierungssituation sich entspannt.

Eine der zentralen Herausforderungen für die Zukunft des digitalen Bankings sieht Stalf in der Regulierung und deren Vereinbarkeit mit innovativen Technologien wie künstlicher Intelligenz (AI). „AI zum Credit Scoring einzusetzen, müsse mit den Regulatoren vereinbar sein“, betont er. Dazu sei eine enge Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden in ganz Europa notwendig. Es zeigt sich, dass N26 nicht nur an Deutschland denkt, sondern ein klares europäisches und globales Wachstum im Blick hat.

Trotz der regulatorischen Hürden zeigt sich Stalf zufrieden mit dem bisherigen Wachstum von N26. „Wir haben wenig ins Marketing investiert“, erklärt er, was dennoch zu einem möglichen monatlichen Wachstum von etwa 50.000 Neukunden geführt hat. Konkrete Zahlen nennt er nicht, betont jedoch: „Insgesamt sind wir sehr, sehr zufrieden mit dem Wachstum.“ Der Markt für Online-Banking sei riesig: Weltweit nutzen mehr als 2 Milliarden Menschen Online-Banking, was zeigt, dass die Wachstumsgrenzen kaum abzusehen sind.

Stalf sieht N26 nach wie vor im Vorteil gegenüber traditionellen Banken, insbesondere aufgrund der kostengünstigeren Struktur des Unternehmens. „Wir arbeiten mit einem ganz anderen Kostenniveau und können diesen Vorteil an unsere Kunden weitergeben“, erklärt er. Dieser Kostenvorteil ist ein entscheidender Faktor im Wettbewerb mit etablierten Banken, die oft noch mit hohen Fixkosten und teuren Filialnetzen operieren.

Interessanterweise sieht Stalf die Präsenz anderer Digitalbanken nicht als Bedrohung, sondern als positive Entwicklung. Andere Digitalbanken willkommen zu heißen, könnte dazu beitragen, den Kunden an digitale Produkte zu gewöhnen, zu „educaten“, so Stalf. Ein wachsender Wettbewerb im digitalen Banking könnte letztlich allen Marktteilnehmern zugutekommen, indem er das Bewusstsein und die Akzeptanz für digitale Finanzprodukte fördert.

Bezüglich der Finanzierung sieht Stalf aktuell keine Notwendigkeit für weitere Kapitalaufnahmen. Ein Börsengang sei eine mögliche Option, aber keineswegs zwingend. „In den nächsten drei bis fünf Jahren ist der Börsengang nur eine Option unter mehreren“, erklärt er. Diese vorsichtige Herangehensweise zeigt, dass N26 seine Expansionspläne sorgfältig abwägt und sich gleichzeitig flexibel für verschiedene Zukunftsszenarien aufstellt.

Stalfs Vision für die Zukunft des Retail-Bankings ist klar: eine europäische, digitale und profitable Ausrichtung, die N26 weiterhin als Vorreiter in der Branche positionieren soll. Durch den Einsatz modernster Technologien, eine kosteneffiziente Struktur und eine strategische Zusammenarbeit mit Regulatoren strebt N26 an, die Chancen des riesigen Online-Banking-Marktes optimal zu nutzen.

Der Handelsblatt Banken-Gipfel 2024 hat einmal mehr gezeigt, dass N26 trotz der Herausforderungen der letzten Jahre bereit ist, eine zentrale Rolle in der Zukunft des europäischen und globalen Bankwesens zu spielen. „Die Zukunft des Retail-Bankings ist digital, und wir wollen diesen Wandel aktiv mitgestalten“, betont Valentin Stalf. Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, um zu sehen, ob N26 diese ambitionierten Ziele erreichen kann und wie sich das Unternehmen in einem zunehmend wettbewerbsorientierten Umfeld behaupten wird.

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Zinsen, Immobilien, Geopolitik: Das Jahr der Entscheidungen

Von Dr. Oliver Everling | 4.September 2024

Unter diesem Motto steht der Handelsblatt Banken-Gipfel 2024 in Frankfurt am Main, und die Themen könnten kaum brisanter sein. In einer Zeit globaler Unsicherheiten und wirtschaftlicher Herausforderungen fordert Christian Sewing, CEO der Deutschen Bank, Klartext. Dabei geht es nicht nur um die dringend nötigen Reformen, sondern um einen breiten gesellschaftlichen Konsens für Wachstum und wirtschaftliche Stabilität.

„Mit Reformen alleine ist es nicht getan“, betont Sewing. Es brauche Anreize, damit die Menschen bereit sind, „insgesamt mehr und härter zu arbeiten.“ Der derzeitige Standpunkt sei schlichtweg nicht wettbewerbsfähig. In einem Land, in dem die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei nur 28 Stunden liegt und der Renteneintritt bereits mit 63 Jahren erfolgt, sieht Sewing dringenden Handlungsbedarf. „Die Wochen- und Lebensarbeitszeit müsse erhöht werden,“ fordert er und spricht damit ein Thema an, das viele in Deutschland lieber meiden.

Doch auch die Banken selbst stehen unter Druck. Trotz ihrer gegenwärtigen Robustheit und Profitabilität dürften sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Sewing sieht die Banken in einem tiefgreifenden Transformationsprozess: „In wichtigen Bereichen werden die Banken zu Plattformsystemen“, sagt er. Technologie sei der Schlüssel zum Erfolg in einer zunehmend digitalisierten und vernetzten Welt. Die Volatilität der Märkte werde die Banken weiter begleiten, daher sei erstklassige Beratung entscheidend, um sich gegen Risiken wie Marktunsicherheit und Cyberkriminalität abzusichern.

Interessanterweise verändert sich auch das Firmenkundengeschäft: Weniger, aber tiefere Bankbeziehungen sind der neue Trend. Kunden setzen auf eine kleinere Anzahl von Finanzpartnern, erwarten aber eine intensivere und spezialisiertere Beratung. Nachhaltigkeit, ein Trend, der in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erhielt, sei laut Sewing „etwas aus dem Fokus gerückt“, aber nachhaltige Anlagen würden mittlerweile wieder an Bedeutung gewinnen.

Angesichts hoher öffentlicher Verschuldung und der Dringlichkeit, wichtige Zukunftstrends zu finanzieren, weist Sewing auf die Notwendigkeit einer stärkeren Kapitalmarktunion hin. „Die hohe öffentliche Verschuldung zwinge dazu, wichtige Zukunftstrends nicht nur mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren“, betont er. Eine tiefere Integration der europäischen Kapitalmärkte sei unerlässlich, um die Aufgaben der kommenden Jahre zu bewältigen und Europas wirtschaftliche Unabhängigkeit zu stärken.

Eine besondere Warnung spricht der CEO der Deutschen Bank aus: Deutschland droht in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Anbietern zu geraten, wenn es versäumt, eigene Akteure zu fördern und zu stärken. Die geopolitischen Spannungen und die wachsende Bedeutung der technologischen Souveränität machen dies zu einem besonders kritischen Punkt.

Das Jahr 2024 markiert somit eine Zeit der Entscheidungen – für Banken, Unternehmen, Politik und die Gesellschaft insgesamt. Es wird darauf ankommen, wie flexibel und entschlossen Deutschland und Europa auf die Herausforderungen der Zeit reagieren. Die Richtung, die jetzt eingeschlagen wird, wird maßgeblich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft prägen.

Christian Sewings Appell, mutig zu handeln und Reformen entschlossen anzugehen, spiegelt die Dringlichkeit wider, die viele in der Finanzwelt spüren. Denn nur durch gezielte Maßnahmen und eine klare Vision kann Deutschland seinen Platz als führender Wirtschaftsstandort behaupten.

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ZuFinG II und Investoren wandern zu ausländischen Finanzplätzen ab

Von Dr. Oliver Everling | 29.August 2024

Das Zweite Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG II) könnte ausländischen Finanzplätzen zum Vorteil gereichen und Deutschland im internationalen Wettbewerb schwächen, insbesondere dadurch, dass die geplante Einschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen auf Unternehmens- und Bankanleihen sowie Verbriefungen ab 2025 nicht korrigiert wird. Diese Regelung könnte die Attraktivität Deutschlands für kapitalmarktgestützte Finanzierungen reduzieren, da Unternehmen und Investoren möglicherweise bevorzugen, ihre Geschäfte in Ländern mit günstigeren steuerlichen Rahmenbedingungen zu tätigen. Finanzplätze wie London, Luxemburg oder New York, die traditionell eine liberale und steuerlich vorteilhaftere Umgebung bieten, könnten dadurch an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, was zu einem Kapital- und Talentabfluss aus Deutschland führen und die hiesige Wirtschaft langfristig schwächen könnte.

Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) bewertet den Entwurf des ZuFinG II dennoch als einen Schritt zur Stärkung des Finanzstandorts Deutschland. Der Entwurf sieht Maßnahmen zur Erleichterung des Kapitalmarktzugangs für Unternehmen, zur Förderung des Fondsmarkts sowie zur Vereinfachung aufsichtsrechtlicher Vorgaben vor. Während die DK diese Ansätze grundsätzlich begrüßt, weist sie auch auf Bereiche hin, die aus ihrer Sicht noch verbessert werden sollten.

Der Gesetzentwurf wird von der Deutschen Kreditwirtschaft grundsätzlich als positive Entwicklung gesehen. Karolin Schriever, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) und derzeitige Federführerin der DK, lobte die Bestrebungen der Bundesregierung, den Finanzstandort Deutschland zu fördern und dessen Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. „Die Ziele, den Finanzstandort Deutschland weiter zu fördern und seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sind richtig und notwendig“, so Schriever.

Besonders hervorgehoben wird die geplante Verdoppelung der Schwellen für das Millionenkreditmeldewesen von 1 auf 2 Millionen Euro. Diese Maßnahme wird von der DK als ein „erster Schritt“ gesehen, um bürokratische Hürden abzubauen und den administrativen Aufwand für Unternehmen zu verringern.

Gleichzeitig äußert die DK Bedenken hinsichtlich bestimmter steuerlicher Regelungen, die ab 2025 in Kraft treten sollen. Konkret geht es um das Verbot, Zinszahlungen auf Unternehmens- und Bankanleihen sowie Verbriefungen steuerlich als Betriebsausgaben geltend zu machen. Die DK befürchtet, dass dies die Attraktivität Deutschlands für kapitalmarktgestützte Finanzierungen verringern könnte. Aus Sicht der DK wäre es daher notwendig, dieses Verbot zu überdenken und gegebenenfalls aufzuheben.

Die Deutsche Kreditwirtschaft argumentiert, dass solche steuerlichen Hemmnisse Unternehmen davon abhalten könnten, den Kapitalmarkt in Deutschland zu nutzen. Eine Überarbeitung dieser Regelungen könnte helfen, den Finanzstandort Deutschland im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger zu machen.

Neben den steuerlichen Fragen weist die DK auch auf andere Punkte hin, die im Gesetzentwurf aus ihrer Sicht unzureichend berücksichtigt werden. So vermisst die DK praxistaugliche und rechtssichere Regelungen für die Änderung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Dies sei ein wichtiger Aspekt, der in der täglichen Praxis der Finanzdienstleister eine Rolle spiele und für mehr Rechtssicherheit sorgen könnte.

Darüber hinaus spricht sich die DK für die Abschaffung von Schriftformerfordernissen bei Verbraucherkreditverträgen aus. Sie argumentiert, dass diese Regelungen in einer zunehmend digitalisierten Welt nicht mehr zeitgemäß seien und die Effizienz des Kreditgeschäfts unnötig beeinträchtigten.

Zusammenfassend unterstützt die Deutsche Kreditwirtschaft die Zielsetzungen des Zweiten Zukunftsfinanzierungsgesetzes, sieht aber noch wesentlichen Verbesserungsbedarf in einigen Bereichen. „Als Deutsche Kreditwirtschaft hoffen wir hier noch auf deutliche Nachbesserungen und werden uns im weiteren Verfahren stark dafür einsetzen, dass das Zweite Zukunftsfinanzierungsgesetz die vom Bundesfinanzministerium verfolgten Ziele noch besser erreichen kann“, so Schriever.

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Erkenntnisse aus dem TRV Risk Monitor der ESMA

Von Dr. Oliver Everling | 29.August 2024

Die Finanzmärkte im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zeigten im ersten Halbjahr 2024 trotz erheblicher geopolitischer Risiken und Unsicherheiten über die erwartete Lockerung der Geldpolitik eine bemerkenswerte Resilienz. Die Risiken bleiben jedoch insgesamt auf hohem oder sehr hohem Niveau. Im ersten Halbjahr 2024 deuteten weniger volatile Märkte und eine Rückkehr zu renditesuchendem Verhalten in risikoreicheren Marktsegmenten auf eine allgemeine Markterwartung einer „sanften Landung“ hin. Der kurzfristige Rückgang der Aktienbewertungen Anfang August und die Marktvolatilität rund um die Parlamentswahlen in Europa und Frankreich im Juni zeigen jedoch, dass die Märkte sehr sensibel auf wirtschaftliche Entwicklungen reagieren, einschließlich Änderungen der Zinserwartungen, einer Verschlechterung des Kreditrisikos und politischen sowie wahlbezogenen Entwicklungen. Es besteht weiterhin ein hohes Risiko für Korrekturen in einem Kontext fragiler Marktliquidität, sowohl im Aktienmarkt als auch in anderen Märkten, und anhaltender Bedenken hinsichtlich der Immobilienengagements.

Zu den wichtigsten Risikotreibern gehören unter anderem das „höhere für länger“-Zinsumfeld, das die Finanzstabilität und die Ergebnisse für Anleger beeinflusst. Selbst bei erwarteten Zinssenkungen in naher Zukunft bleiben die Refinanzierungskosten deutlich höher als vor einigen Jahren und belasten insbesondere Unternehmen, deren Schulden ab 2024 fällig werden. Kreditratings verzeichnen zunehmend Herabstufungen. Politische und periphere Risiken bleiben ebenfalls signifikant. Die Konvergenz externer Risiken dämpft weiterhin das wirtschaftliche und marktliche Umfeld, und die Marktsensibilität gegenüber politischen Entwicklungen scheint zuzunehmen. Da Unsicherheit und fragile Liquidität die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems einschränken, ist zu erwarten, dass externe Schocks, einschließlich internationaler und innenpolitischer Ereignisse, zu hoher Preisvolatilität führen. Cyber- und operationelle Zwischenfälle haben bisher keine systemischen Auswirkungen gehabt, aber der jüngste Ausfall von CrowdStrike unterstrich die Verwundbarkeit des Finanzsystems und anderer Teile der Wirtschaft aufgrund der Abhängigkeit von Informationstechnologie.

Die Bewertungen von Gewerbe- und Wohnimmobilien sind weiterhin von den hohen Zinssätzen betroffen. Dies beeinflusst die Finanzmärkte und Investoren durch niedrigere Aktien- und Schuldenbewertungen von Immobilienunternehmen, Herabstufungen von Ratings, sinkende Immobilienfondsbewertungen und erhöhte Liquiditätsrisiken. Derivate- und Repo-Engagements sind begrenzt, aber konzentriert. Ein weiteres Risiko ist Greenwashing. Greenwashing und damit verbundene Fehlpraktiken gefährden das Vertrauen der Investoren und die Glaubwürdigkeit der grünen Finanzen, was die Fähigkeit des Finanzsystems beeinträchtigen kann, den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu finanzieren. Auch von sozialen Medien getriebene Investitionen stellen ein Risiko dar. Anleger, insbesondere weniger erfahrene mit begrenztem Wissen oder Ressourcen, laufen Gefahr, durch soziale Medien falsche oder irreführende Informationen zu erhalten. Da finanzbezogene Beiträge zunehmen, besteht das Risiko, dass Anleger, die die Zuverlässigkeit und Qualität der Informationen nicht überprüfen, Verluste erleiden.

Die europäischen Aktienmärkte verzeichneten im ersten Halbjahr 2024 eine starke Wertentwicklung, begleitet von niedriger Volatilität. Dies deutet auf eine positive Marktstimmung hin, doch könnte die unerwartet niedrige Volatilität auch übermäßige Risikobereitschaft fördern und zu einer Kompression der Risikoprämien beitragen. Die Volatilität stieg im Juni an, möglicherweise im Zusammenhang mit politischer Unsicherheit rund um die Wahlen in der EU. Trotz eines Rückgangs der Anleiherenditen Ende 2023 erholten sich diese Anfang 2024, was auf eine erhebliche Überprüfung der bisherigen Erwartungen hinsichtlich des zukünftigen Zinsverlaufs zurückzuführen ist. Während die Märkte allgemein eine sanfte Landung und eine bevorstehende geldpolitische Lockerung einpreisen, bleibt die Unsicherheit über die Geschwindigkeit und das Ausmaß möglicher Zinssenkungen ein wichtiger Treiber für die Marktvolatilität. In den Kreditmärkten zeigte sich ein anhaltender Rückgang der Kreditqualität, insbesondere bei nicht-finanziellen Unternehmen, was auf ein zunehmend negatives Ratings-Drittel für diese Firmen hinweist.

Die Aussichten auf mögliche politische Unsicherheiten und ihre Auswirkungen auf die Märkte sind auch in naher Zukunft ein bedeutender Risikofaktor. Im ersten Halbjahr 2024 zeigten sich die Märkte nervös und potenziell anfällig für unvorhergesehene Entwicklungen, die durch politische Unsicherheiten oder wirtschaftliche Schocks ausgelöst werden könnten. Angesichts des derzeitigen Umfelds fragiler Marktliquidität und wachsender Besorgnis über Immobilienbewertungen bleibt die Möglichkeit weiterer Marktvolatilität und Korrekturen hoch.

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Dekarbonisierung von Gebäuden durch CO₂-Speicherzertifikate

Von Dr. Oliver Everling | 28.August 2024

Der Gebäudesektor trägt mit rund 37% erheblich zu den weltweiten CO₂-Emissionen bei. Angesichts der ehrgeizigen Netto-Null-Ziele besteht ein dringender Bedarf an innovativen Lösungen zur Reduzierung dieser Emissionen. Eine besonders vielversprechende Methode ist der moderne Holzbau, insbesondere in Kombination mit nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Diese Ansätze werden als Negativemissionstechnologien angesehen, da sie CO₂ nicht nur vermeiden, sondern aktiv aus der Atmosphäre entfernen. Ein neuer Akteur in diesem Bereich ist das Zürcher PropTech Startup Timber Finance, das erstmals eine anerkannte Methodologie entwickelt hat, mit der Bauherren und Immobilien-Investoren die Klimaleistung ihrer Holzbauprojekte durch CO₂-Zertifikate monetarisieren können. Unterstützt wird diese Innovation unter anderem durch den Migros-Pionierfonds.

Während viele Industrien bereits von Einnahmen aus dem Verkauf von CO₂-Zertifikaten profitieren, gibt es nun auch für die Immobilienwirtschaft ein neues Instrument zur Förderung des Holzbaus. „Seit 2022 ist der Holzbau von internationalen Organisationen wie die UNFCCC oder der EU wie auch in der Schweiz als CO₂-Speicherlösung anerkannt“, heißt es in dem Bericht. Dies bedeutet, dass CO₂ durch Wälder der Atmosphäre entzogen und dauerhaft in den Tragkonstruktionen von Holzbauten gespeichert werden kann, sofern kein Zerfall durch Käfer, Sturm oder Feuer eintritt. Darüber hinaus ersetzt Konstruktionsholz emissionsintensive Materialien wie Stahl oder Beton und kann daher doppelt zur Dekarbonisierung beitragen.

Die Schweiz ist bereits als weltweit führendes Land im Ingenieurholzbau bekannt und setzt diese Tradition fort, indem sie die internationale Methodologie auf nationale Verhältnisse anpasst. Timber Finance hat kürzlich die Pilotphase gestartet, bei der rund 20 innovative Holzbauprojekte teilnehmen können, um durch CO₂-Speicherzertifikate zusätzlichen Wert zu schaffen. Auch Schweizer Forstreviere beteiligen sich an der Pilotphase und erhalten für nachhaltige Waldbewirtschaftung Vergütungen aus den Zertifikatserlösen. „Bauherren und Waldbewirtschafter sind eingeladen, sich mit Holzbauprojekten bei Timber Finance zu melden,“ wird in dem Bericht hervorgehoben. Eine Ausweitung auf internationale Märkte ist für 2025 geplant.

Frank Vasek, Verantwortlicher für Carbon Solutions bei Timber Finance, betont die Bedeutung dieser Innovation: „Wir haben es geschafft, ein Instrument zu entwickeln, das zur Dekarbonisierung des Gebäudesektors beiträgt und durch die Monetarisierung der Klimaleistung neue Werte im Bausektor schafft.“ Die CO₂-Zertifikate können entweder auf den CO₂-Märkten gehandelt (Offsetting) oder von institutionellen Bauherren an der eigenen CO₂-Bilanz auf dem Weg zu Netto Null angerechnet werden (Insetting). Diese Flexibilität macht die Zertifikate besonders attraktiv für Investoren und Bauherren, die sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Ziele verfolgen.

Ein Beispiel für die Umsetzung dieser Strategie soll das Projekt Pünt der Siedlungsgenossenschaft Eigengrund in Egg sein, im Kanton Zürich. Der Ersatzneubau mit einer Hauptnutzfläche von 7’050 m² verwendet regionales und zertifiziertes Holz und speichert so 1.462 Tonnen CO₂ in der Holztragkonstruktion. Zusätzlich werden durch den Ersatz emissionsintensiver Materialien weitere 508 Tonnen CO₂-Emissionen vermieden. Dieses Projekt zeigt eindrucksvoll, wie klimafreundliches Bauen wirtschaftlich sinnvoll umgesetzt werden kann.

Neben Bauherren spielen auch Forstreviere eine zentrale Rolle in der Dekarbonisierungsstrategie durch Holzbau. Im Rahmen des Pilotprojekts beteiligen sich Forstreviere aus der ganzen Schweiz an der klimaoptimierten Bewirtschaftung von 15.000 Hektar Waldflächen. „Ziel ist es, die CO₂-Aufnahme zu steigern sowie die Ökosystemleistungen der Wälder zu entschädigen,“ heißt es in dem Bericht. Durch eine gezielte Waldbewirtschaftung kann das Holzerntepotenzial optimal genutzt und das darin gespeicherte CO₂ langfristig gebunden werden, was einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leistet.

Die Einführung von CO₂-Speicherzertifikaten durch Timber Finance stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung einer nachhaltigen und klimafreundlichen Bauwirtschaft dar. Durch die Verbindung von Holzbau und nachhaltiger Waldbewirtschaftung entsteht ein neuer Markt, der sowohl ökologisch als auch ökonomisch attraktiv ist. Dies könnte nicht nur die Dekarbonisierung des Gebäudesektors vorantreiben, sondern auch als Modell für andere Länder dienen, die ähnliche Wege zur Erreichung ihrer Klimaziele suchen.

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Ablenkungsmanöver „Innovative Klimafinanzierung“

Von Dr. Oliver Everling | 28.August 2024

Die Bekämpfung des Klimawandels erfordert erhebliche finanzielle Mittel. Ein zentraler Engpass bei der Energiewende ist die Verfügbarkeit von genügend Kapital, um nachhaltige Projekte voranzutreiben. Innovative Finanzierungsmodelle wie grüne Anleihen, die in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, lenken jedoch oft von der grundsätzlichen Notwendigkeit ab, die Finanzströme grundlegend umzuschichten. Hans Stegeman, Chefökonom bei der Triodos Bank, argumentiert, dass diese innovativen Ansätze eher ein Ablenkungsmanöver darstellen.

Stegeman betont, dass Klimafinanzierung verschiedene Instrumente umfasst, die darauf abzielen, die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern oder die Anpassung an neue Gegebenheiten zu verbessern. Um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssten sich die Finanzströme in Richtung Klimaschutz mindestens verdreifachen. „Diese ‚Finanzierungslücke‘ bezeichnet ein Missverhältnis zwischen Projekten, die finanziert werden müssen, und dem Kapital, das zu ihrer Unterstützung zur Verfügung steht“, erklärt Stegeman. Die Climate Policy Initiative schätzt, dass bis 2030 jährlich 6,2 Billionen USD und bis 2050 7,3 Billionen USD an Klimafinanzierung benötigt werden, um den Netto-Nullpunkt zu erreichen – insgesamt fast 200 Billionen USD.

Angesichts dieser enormen finanziellen Anforderungen entstehen immer mehr innovative Finanzmechanismen, um die Finanzierung des Klimaschutzes attraktiv zu gestalten. Ein Beispiel ist die zunehmende Verlagerung hin zu Mischfinanzierungen, bei denen öffentliche Mittel Anfangsverluste und Risiken abdecken, um privates Kapital zu mobilisieren. 2023 erreichte diese Form der Finanzierung einen Fünfjahreshöchststand, mit einem Anstieg der klimabezogenen Mischfinanzierung um 107 % auf 11,6 Mrd. USD. Auch der Markt für grüne Anleihen, die zur Finanzierung von Nachhaltigkeitsprojekten eingesetzt werden, wird 2024 voraussichtlich ein Emissionsvolumen von 1 Billion USD erreichen.

Stegeman warnt jedoch davor, sich von diesen Zahlen blenden zu lassen: „Obwohl diese Mechanismen das Potenzial haben, Investitionen in den Klimaschutz zu fördern, lenken sie oft von der Tatsache ab, dass gleichzeitig weiterhin große Summen in fossile Brennstoffe fließen.“ Die größten Emittenten grüner Anleihen, insbesondere Regierungen, haben ihre Ausgaben für die Subventionierung fossiler Brennstoffe gleichzeitig erhöht.

Ein weiteres Beispiel für innovative Klimafinanzierung sind die Kohlenstoffmärkte, die darauf abzielen, Emissionen zu reduzieren, indem sie den Preis für Kohlenstoffemissionen durch Emissionshandelssysteme (ETS) festlegen. Der größte dieser Märkte ist das EU-Emissionshandelssystem, das 2023 etwa 87 % des weltweiten Emissionshandelsvolumens ausmachte. „Auch hier sehen wir eine enorme Expansion“, sagt Stegeman. „Doch obwohl der Marktwert 2023 weltweit 949 Milliarden USD erreichte, bleibt die tatsächliche Wirkung auf die Reduktion von Emissionen oft hinter den Erwartungen zurück.“

Freiwillige Kohlenstoffmärkte (Voluntary Carbon Markets, VCM), die Einnahmen durch den Verkauf von Kohlenstoffgutschriften generieren, sind ebenfalls von Kontroversen um Greenwashing, Standards und Projektrentabilität geprägt. Trotz ihres Potenzials befinden sie sich laut Stegeman noch in der Anfangsphase, mit einem globalen Volumen von rund 3 Milliarden USD im Jahr 2023.

„Das eigentliche Problem liegt nicht darin, mehr Geld zu finden, sondern in der Umlenkung vorhandener Mittel“, argumentiert Stegeman. Die Tatsache, dass 2022 weltweit 7 Billionen USD an Subventionen für fossile Brennstoffe bereitgestellt wurden, verdeutlicht dies. „Es gibt eine grundlegende finanzielle Asymmetrie: Investitionen in fossile Brennstoffe bieten höhere Erträge als erneuerbare Energien, weil sie von einer historischen Unterbewertung von Ressourcen und externen Effekten profitieren.“

Stegeman fordert daher ein Umdenken im Finanzsektor: „Es geht darum, anzuerkennen, dass private Gewinne nicht auf Kosten des öffentlichen Wohls erzielt werden dürfen.“ Die Umlenkung von Kapital erfordert politische Maßnahmen, die gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und es der Finanzwelt erleichtern, die Energiewende zu unterstützen, ohne sich ausschließlich auf Finanzinnovationen zu verlassen.

Obwohl die Klimafinanzierung an Zugkraft gewinnt, sind finanzielle Innovationen alleine nicht ausreichend, um die benötigten Mittel für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel zu mobilisieren. „Wir brauchen eine starke Politik, die Maßnahmen wie eine globale Kohlenstoffsteuer, die Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe, verbindliche Standards für Schwellenländer und eine klare Verpflichtung der Regierungen zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen umfasst“, schließt Stegeman.

Innovative Finanzierungsmechanismen sind ein Teil der Lösung, aber ohne tiefgreifende politische und strukturelle Veränderungen bleibt ihr Nutzen begrenzt.

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Mangelnde finanzielle Inklusion verspürt

Von Dr. Oliver Everling | 20.August 2024

Die deutsche Bevölkerung fühlt sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger finanziell inkludiert. Das ist das Ergebnis eine aktuellen Verbraucherbefragung der Principal Financial Group.

Der Prozentsatz der Menschen, die sich in Deutschland finanziell inkludiert fühlen, ist in den letzten 12 Monaten, in denen ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld das Haushaltsvermögen und das finanzielle Vertrauen vieler Deutscher weiter beeinträchtigt hat, von 71 % auf 50 % gesunken.

Principal analysiert die finanzielle Inklusion auf Grundlage der Unterstützung durch Arbeitgeber, die Regierung und das Finanzsystem. Außerdem beschreibt Principal, welche Auswirkungen diese Ergebnisse auf das Anlageszenario für die globalen Märkte haben.

Nur 40 % der Befragten sind der Meinung, die Regierung handele finanziell inklusiv, was gegenüber 52 % im Vorjahr einen deutlichen Rückgang um zwölf Prozentpunkte darstellt. Der Anteil der Menschen, die das Finanzsystem als finanziell inklusiv erleben, ist ebenso deutlich von 61 % auf 47 % gesunken. Den größten Rückgang im Verbrauchervertrauen müssen jedoch die Arbeitgeber verschmerzen: Der Prozentsatz der Menschen, die der Aussage zustimmen, ihr Arbeitgeber handele finanziell inklusiv, ist um 16 Prozentpunkte von 72 % auf 56 % zurückgegangen.

Trotz der Aussichten auf bevorstehende Zinssenkungen geben nur 33 % der deutschen Befragten an, dass sie im Hinblick auf die kurzfristigen Konjunkturaussichten zuversichtlich sind. Insbesondere sind nur 37 % der Befragten der Meinung, bei Bedarf eine neue Arbeitsstelle finden zu können. Vor 12 Monaten waren es noch 46 %. Ebenso fühlen sich nur rund 40 % dazu in der Lage, ihre Schulden zu verwalten.

Längerfristig sind die Erwartungen der Deutschen an ihre finanzielle Inklusion nicht weniger pessimistisch. Während 51 % zustimmen, dass ihr Arbeitgeber ein großzügiges Altersvorsorgeprogramm bereitstellt, glauben 56 %, dass sie über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten werden müssen. Ein Drittel (36 %) ist nicht in der Lage, aktuelle finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen und gleichzeitig für den Ruhestand zu sparen.

Seema Shah, Chief Global Strategist, Principal Asset Management, kommentiert die Ergebnisse: „Das Verständnis für und die Förderung der finanziellen Inklusion sollten nicht nur für politische Entscheidungsträger, sondern auch für Anleger von großer Bedeutung sein. Das Ausmaß, in dem sich die Menschen finanziell inkludiert fühlen, und ihre Wahrnehmung davon, wie effektiv Regierungen, Finanzsysteme und Arbeitgeber ihr finanzielles Wohlbefinden unterstützen, können einen Hinweis auf längerfristiges Vertrauen und Ausgabenmuster geben, die die wirtschaftliche Gesundheit untermauern oder untergraben könnten.“

„Mit einem langsameren Wachstum in der Eurozone und rückläufiger Inflation war die proaktive Haltung der EZB in Bezug auf Zinssenkungen gerechtfertigt. Obwohl der Kampf gegen die Inflation in der Eurozone beeindruckend war, haben sich die jüngsten Inflations- und Lohndaten als überraschend stark erwiesen. Eine weitere Abwertung des Euro würde aufkeimende Befürchtungen befeuern, dass der Inflationsrückgang in der Eurozone ins Stocken geraten könnte. Dies hätte Auswirkungen auf Verbrauchervertrauen und Ausgaben, da die Preise weiterhin hoch blieben. Die Zweifel der Bevölkerung daran, dass die von der Regierung, dem Finanzsystem oder ihrem Arbeitgeber ergriffenen Maßnahmen viel dazu beitragen, ihre finanziellen Verhältnisse zu verbessern, sind wenig überraschend.“

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Steigende Arbeitslosigkeit in den USA

Von Dr. Oliver Everling | 13.August 2024

Der jüngste Einbruch an den Börsen hat für Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe, ein Thema in den Fokus gerückt, das an den Kapitalmärkten lange Zeit nahezu vollständig ignoriert wurde: die Möglichkeit einer bevorstehenden Rezession der US-Wirtschaft.

„Angesichts der starken Straffung der Geldpolitik durch die amerikanische Notenbank seit März 2022 ist dieses Szenario eigentlich naheliegend. Denn höhere Zinsen bremsen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Bislang hat die restriktive Geldpolitik der Fed, eingesetzt zur Eindämmung der Inflation, die Konjunktur jedoch nicht geschwächt“, sagt Angermann.

Der Grund liegt nach seinen Erkenntnissen zum einen in Überschuss-Ersparnissen aus den Zeiten der Corona-Pandemie, von denen der private Konsum lange Zeit zehren konnte. Zum anderen wies der amerikanische Arbeitsmarkt – ebenfalls als Folge der Pandemie – erhebliche Verzerrungen auf. Diese führten dazu, dass sich die schwächere Nachfrage nach Arbeitskräften nicht in einem Anstieg der Arbeitslosenquote bemerkbar machte. Die expansive Fiskalpolitik und insbesondere die hohen Anreize für Investitionen in „grüne“ Technologien kamen als zusätzlicher konjunkturstimulierender Faktor hinzu.

In den zurückliegenden Monaten hat sich die Lage nun geändert: „Seit März ist die Arbeitslosenquote viermal in Folge um insgesamt 0,5 Prozentpunkte gestiegen. Zusammen mit einer sinkenden Zahl offener Stellen, höheren Erst- und Folgeanträgen auf Arbeitslosenhilfe und einem verlangsamten Lohnwachstum deutet dies durchaus auf eine bevorstehende Rezession hin. Sicher ist der Befund allerdings nicht: Auffällig ist das anhaltend geringe Niveau der betriebsbedingten Kündigungen. Der Anstieg der Arbeitslosenquote resultiert also vor allem daraus, dass die Zahl der Arbeitssuchenden weiter steigt, die Unternehmen aber immer weniger Neueinstellungen vornehmen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit dürfte sich weiter fortsetzen, könnte sich aber insgesamt langsamer vollziehen als in früheren Konjunkturzyklen.“

Die zu erwartende Folge wäre gemäß Angermann in jedem Fall ein schwächeres Konsumwachstun: „Die Überschuss-Ersparnisse der Haushalte sind inzwischen weitgehend aufgebraucht, und die Sparquote ist auf ein niedriges Niveau von weniger als 3,5 Prozent gesunken. Zudem ist die Gefahr, seinen Job zu verlieren und nicht sofort einen neuen zu finden, gestiegen. Dies dürfte zu mehr Vorsorge-Ersparnis führen. Bislang ist der private Konsum allerdings noch überwiegend stabil. Wie schnell sich dies ändert, bleibt abzuwarten. Eine schwächere Nachfrage der Haushalte hätte ihrerseits wiederum negative Wirkungen auf den Arbeitsmarkt. Damit würde ein wirtschaftlicher Abschwung unweigerlich näher rücken. Diese Rezession dürfte angesichts fehlender gravierender Ungleichgewichte in der Gesamtwirtschaft zwar moderat ausfallen. Für die ohnehin schwächelnde europäische Wirtschaft wären dies dennoch schlechte Nachrichten.“

Der Glaube, dass die Fed mit ihren im September einsetzenden Zinssenkungen eine solche Rezession aufhalten könnte, sei unrealistisch, so Angermann: „erstens wegen der Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik von mindestens einem halben Jahr und zweitens wegen des begrenzten Umfangs von Zinssenkungen in einem Umfeld, in dem die Inflation noch immer über der 2%-Marke liegt. Dass die Fed sich ausschließlich auf das Beschäftigungsziel konzentriert und mit drastischen Zinssenkungen in kürzester Zeit einen Wiederanstieg der Inflation riskiert, ist nicht anzunehmen. Es ist also Zeit, sich auf eine erneute Abschwächung der weltwirtschaftlichen Dynamik durch eine US-Rezession einzustellen.“

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Eine Rolle des Verschuldungsgrads von Unternehmen

Von Dr. Oliver Everling | 7.August 2024

„Hohe Qualität zeichnet sich für uns durch historische Ertragsstabilität aus. Unternehmen sollten nicht nur dann profitabel sein, wenn die Konjunktur gut läuft. Denn je stärker die Gewinne eines Unternehmens vom Konjunkturzyklus abhängen, desto volatiler sind die Erträge und damit auch der Aktienkurs“, schreibt Nils Bosse Para, Portfoliomanager des ODDO BHF Polaris Dynamic, in einem aktuellen Markkommentar. Ein entscheidendes Kriterium ist für uns, dass ein Unternehmen von strukturellen Wachstumstrends profitiert. Eine alternde Bevölkerung, die mehr Medikamente benötigt, oder hilfreiche Technologien, auf die Unternehmen aus Wettbewerbsgründen nicht verzichten können, sind zum Beispiel langfristige, manchmal Jahrzehnte prägende Megatrends. „Aktien, die von solchen Trends profitieren, bieten Schutz vor Konjunkturschwankungen und stabilere Erträge über Jahre hinweg“, fügt Bosse Para hinzu. Umsatz- und Gewinnwachstum werden dadurch besser kalkulierbar.

Angesichts der aktuell hohen Zinsen gibt es aber ein weiteres Merkmal, auf das wir derzeit besonders achten: die Verschuldung der Unternehmen. 38% der Unternehmensanleihen mit niedrigerem Kupon laufen bis 2027 aus und müssen entweder aus der Bilanz bezahlt oder von den Unternehmen durch die Ausgabe neuer Anleihen zu einem höheren Kupon refinanziert werden. Die derzeit von den Investoren geforderten Kupons sind aufgrund der Zinswende höher als in den vergangenen Jahren und erhöhen damit die Zinslast der Unternehmen. Eine höhere Zinslast drückt auf den Gewinn und lässt weniger Spielraum für Investitionen. Der Portfoliomanager von ODDO BHF AM führt aus: „In diesem Umfeld ist es ratsam, die Verschuldung des Unternehmens gering zu halten, denn ein zu hoher Schuldendienst hat schon so manches Unternehmen in Schwierigkeiten gebracht“. Sehr hoch verschuldete Unternehmen schließen wir daher bei der Auswahl aus.

Bei strategischen Übernahmen kann es sinnvoll sein, einen Teil der Schulden für die Übernahme einzusetzen, was den Verschuldungsgrad kurzfristig erhöht. „Eine rasche Rückführung der Verschuldung nach der Konsolidierung des übernommenen Unternehmens ist dabei wünschenswert und ein sehr wichtiges Zeichen für die Qualität der angebotenen Produkte oder Dienstleistungen und des Managements“, so Bosse Parra. Sehr erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch hohe freie Cashflows und einen hohen Bestand an liquiden Mitteln in der Bilanz aus. Diese Liquidität gibt den Unternehmen einerseits die Freiheit und Flexibilität, Konkurrenten zu übernehmen oder Aktien zurückzukaufen, andererseits können die liquiden Mittel derzeit kurzfristig verzinst angelegt werden und bieten damit sogar eine zusätzliche Einnahmequelle.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Geringe Verschuldung bedeutet geringere Zinsverpflichtungen und damit ein geringeres Risiko, in Rezessionen in die Insolvenz zu rutschen, sowie geringere Zinszahlungen, was die Rentabilität erhöhen kann. „Liquidität bedeutet Flexibilität bei strategischen Entscheidungen und Unabhängigkeit von Banken und anderen Kreditgebern“, fasst Bosse Parra zusammen. Eine geringe Abhängigkeit von der Finanzierung mache diese Unternehmen widerstandsfähiger gegenüber konjunkturellen Schwankungen.

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Höhere Zinsen treiben den Markt

Von Dr. Oliver Everling | 5.August 2024

Im laufenden Jahr konnten Wandelanleihen noch wenig von den guten Ergebnissen des Aktienmarkts profitieren. Dennoch bleibt Arnaud Brillois, Portfoliomanager/Analyst und Leiter des Global Convertibles-Teams bei Lazard Asset Management, positiv gestimmt: Sowohl das ökonomische Umfeld, die geldpolitischen Voraussetzungen als auch die Unternehmensseite machen ihm und seinen Kollegen Mut für das zweite Halbjahr.

In der ersten Jahreshälfte 2024 sei die Performance von Wandelanleihen eher schwach gewesen. Die guten Kursentwicklungen auf dem globalen Aktienmarkt seien von einer Handvoll Mega-Cap-Titeln getrieben worden, insbesondere solchen, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Diese Unternehmen würden jedoch in der Regel keine Wandelanleihen begeben, weshalb die Assetklasse davon nicht profitiert habe. Wandelanleihen würden meist von mittelgroßen Emittenten aus dem Wachstumssegment emittiert. Angesichts eines global hohen Zinsniveaus hätten sich diese Unternehmen und damit die den Wandelanleihen zugrunde liegenden Aktien jedoch schlechter entwickelt als der breite Markt. „Wir sind allerdings der Ansicht, dass die vielfältigen Performance-Chancen für Wandelanleihen, die wir seit geraumer Zeit schon sehen, auch weiterhin bestehen“, betont Arnaud Brillois. „Wir bleiben deshalb bei unserem positiven Ausblick für diese Assetklasse, da wir die Gesamtstruktur des Markts für ausgesprochen attraktiv halten.“

In den USA würden die Wirtschaftsdaten auf eine Disinflation, eine ausgewogene Beschäftigungslage sowie ein moderates Wachstum hindeuten. Für den Portfoliomanager sind das gute Nachrichten: „Das erhöht die Chancen für eine ,weiche Landung‘ der US-Wirtschaft, welche es der US-Notenbank Fed ermöglichen könnte, in der zweiten Jahreshälfte mit Zinssenkungen zu beginnen.“ Niedrigere Zinssätze würden Rückenwind für Wandelanleihen erzeugen, da mittelgroße Unternehmen und Wachstumswerte sehr empfindlich auf Zinsbewegungen reagieren. „Seit 2021 sind die Aktien in Small- und Mid-Cap-Growth-Segment stark gefallen und dies, obwohl die Gewinne im gleichen Zeitraum gestiegen sind. Deshalb bieten diese Aktien aus unserer Sicht ein erhebliches Erholungspotenzial“, sagt Brillois.

Ein weiteres Argument: Weltweit hätten sich die Konsumausgaben für Dienstleistungen als widerstandsfähiger erwiesen als erwartet, was die Reise- und Unterhaltungsbranche angetrieben habe. „Wir sehen einen Paradigmenwechsel in der Unternehmenstätigkeit. Der führt unter anderem dazu, dass die aktuellen Erträge das Niveau von 2019 deutlich übersteigen, was sich aber in den Bewertungen dieser Unternehmen nicht angemessen widerspiegelt“, beobachtet der Experte. „Das bestätigt unser Engagement in diesen Sektoren.“

Die Strukturen von Wandelanleihen seien nach wie vor günstig für Investoren. Weltweit hätten die höheren Zinsen die Renditekomponente der Anlageklasse gestärkt und sie zu einem wichtigen neuen Performancemotor gemacht. „So rentieren beispielsweise rund 30 Prozent der Wandelanleihen aus dem Technologiesektor mit mehr als 5 Prozent pro Jahr“, berichtet Arnaud Brillois. Da ein bedeutender Teil dieser Anleihen in den Jahren 2025 und 2026 fällig werde, könne die Assetklasse einen starken Sog zum Nennwert erfahren, der zu ihrer Gesamtperformance beitragen dürfte.

Auf dem Markt der Neuemissionen habe sich einiges getan: Das zweite Quartal habe sogar das hohe Tempo der vorangegangenen Quartale übertroffen und Neuemissionen im Wert von 35 Milliarden US-Dollar erreicht. Damit stehe das Gesamtvolumen des Jahres 2024 zum Stichtag 30. Juni bei 60 Milliarden US-Dollar. „Dabei waren die Emissionen weiterhin günstig, aufgrund überdurchschnittlicher Kupons und relativ gesehen niedrigen in Wandelanleihen eingepreisten Prämien“, erklärt der Spezialist von Lazard. Die neuen Wandelanleihen würden von einer Vielzahl von Unternehmen aus dem starken US-Markt stammen und – das ist neu – auch wieder aus China. „In Europa warten wir dagegen weiterhin auf neue Anleihen, aber das geringe Emissionsvolumen hat hier zu einem positiven Knappheitseffekt geführt. Insgesamt erwarten wir aufgrund der hohen Zinsen und der bevorstehenden Fälligkeit von Unternehmensanleihen auch im Jahr 2024 eine robuste Emissionstätigkeit. Dies wird eine wichtige Quelle für Konvexität und Rendite in der Assetklasse sein“, so Brillois.

Im Gegensatz zum traditionellen Anleihenmarkt, auf dem sich die Credit-Spreads erheblich verengt hätten, würden Wandelanleihen im Vergleich zu ähnlich bewerteten Nominalanleihen nach wie vor einen erheblichen Discount (im Sinne von Risikoaufschlag bei den Credit-Spreads) aufweisen. Arnaud Brillois schätzt dieses Phänomen so ein: „Wir gehen davon aus, dass Wandelanleihen aufgrund der günstigen Branchenzusammensetzung (mit einer Tendenz zu Wachstumsunternehmen) und der weniger komplexen Bilanzen ein defensiveres Engagement in Bezug auf das Kreditrisiko bieten und eine zusätzliche Renditequelle darstellen.“

Insgesamt spricht die aktuelle Marktsituation aus Sicht Brillois für Wandelanleihen. Die Struktur des Markts begünstige eine hohe Konvexität und biete sowohl interessante Renditen als auch eine hohe Aktiensensitivität.

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