Europa im Bann des Krieges
Von Dr. Oliver Everling | 9.Mai 2022
Die Aussichten für die globale Konjunktur in den kommenden Quartalen sind von einer außergewöhnlich hohen Unsicherheit geprägt, weil mehrere Themenkomplexe zusammenwirken. Axel D. Angermann analysiert als Chef-Volkswirt der FERI Gruppe die konjunkturellen und strukturellen Entwicklungen aller für die Asset Allocation wesentlichen Märkte und zeigt auf, dass für die Themenkomplexe jeweils verschiedene Szenarien denkbar sind.
„Aus europäischer Perspektive ist der Fortgang des Krieges in der Ukraine von entscheidender Bedeutung. Im besten Fall würde eine schnelle Befriedung des Konflikts nicht nur das Leiden der Menschen in der Ukraine mindern,“ macht Axel D. Angermann klar, „sondern auch zu einer Normalisierung der Rohstoffpreise und damit der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt beitragen.“
Wie unverantwortlich es wäre, wenn die zögerliche Politik in Deutschland den Krieg in der Ukraine weiterhin zulässt, macht der Chef-Volkswirt ebenso klar: „Umgekehrt hätte eine weitere Eskalation des Krieges, vor allem ein Embargo gegen russische Rohstoffe oder ein Lieferstopp von russischer Seite, mit Sicherheit eine Rezession in wichtigen Ländern des Währungsraums, darunter Deutschland und Italien, zur Folge, auch wenn die Tiefe des Einbruchs kaum verlässlich abschätzbar ist.“
Die globalen Konjunkturperspektiven sieht Axel D. Angermann maßgeblich von der weiteren Entwicklung der US-Wirtschaft bestimmt: „Während die hohe Inflation in Europa vor allem auf die gestiegenen Rohstoffpreise zurückzuführen ist, ist dies für die Teuerung in den USA nicht der wichtigste Faktor. Vielmehr ist es dort der inzwischen sehr enge Arbeitsmarkt, der zu einem deutlichen Lohnwachstum und damit zu steigendem Inflationsdruck geführt hat. Deshalb rechnen die meisten Beobachter mit einer schnellen und starken geldpolitischen Straffung seitens der Fed, die damit bewusst eine verringerte Wachstumsdynamik der US-Wirtschaft in Kauf nimmt.“
Allerdings bestehe die signifikante Gefahr, dass die Wirtschaft dabei zu stark abgebremst wird und in die Rezession abgleitet. Dies hätte gravierende Folgen auch für den Euroraum. Umgekehrt ist aber auch ein positives Szenario denkbar, in dem die Langfristzinsen in den USA zumindest vorerst nicht weiter steigen, die bereits jetzt verminderte Wachstumsdynamik zu geringeren Lohnzuwächsen führt und die Fed in der Summe möglicherweise weniger Zinsanhebungen vornimmt als derzeit erwartet.
Den dritten Themenkomplex sieht Axel D. Angermann in China, dessen Wirtschaft im zweiten Quartal als Folge der Lockdowns in großen Städten kaum wachsen wird und dessen Wachstumsziel von 5,5 Prozent im laufenden Jahr kaum erreichbar erscheint.
„Eine Fortsetzung der strikten Null-Covid-Politik hätte nicht nur potenziell katastrophale Folgen für China selbst“, warnt der Experte aus der FERI-Gruppe: „Die damit verbundenen Angebotsstörungen würden den globalen Handel weiter belasten und die Inflation antreiben. Unterstellt man der chinesischen Führung ein rationales Vorgehen und die Fähigkeit, einen Ausweg aus der selbst verschuldeten ideologischen Überhöhung der eigenen Null-Covid-Politik zu finden, wäre aber auch eine stärkere Stimulierung der eigenen Wirtschaft und daraus resultierend ein positiver Impuls für die Weltwirtschaft denkbar.“
Nicht alle Kombinationen der hier skizzierten Szenarien seien ökonomisch sinnvoll: „Es verbleiben aber so viele Möglichkeiten mit sehr unterschiedlichen ökonomischen Auswirkungen, dass es vorerst bei einem sehr hohen Maß an Unsicherheit bleiben wird. Dies allein ist keine gute Nachricht für die Weltwirtschaft, weil es Konsum und Investitionen bremst.“
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Argumente für die Hypothese des Höchststandes der US-Inflation
Von Dr. Oliver Everling | 6.Mai 2022
Das Aufflammen der Inflation, das nicht abzureißen scheint, besteht nach Ansicht von EURIZON Asset Management aus drei Teilen: dem Nachfrageüberhang im Jahr 2021, den sich selbst verstärkenden Effekten durch die Löhne, die in den USA bereits im Gange sind, und in letzter Zeit der Energiekrise, die durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine verstärkt wird.
„In den USA hat die unter den Erwartungen liegende Kerninflationsrate für März die Hypothese eines möglichen Höchststandes auf diesem Niveau verstärkt“, schreiben die Asset Manager und sehen einige Punkte, die für diese Ansicht sprechen: „Die Rohstoffpreise haben deutlich zugelegt, sind aber seit Anfang März nicht mehr gestiegen. Darüber hinaus setzt die Fed auf sich selbst verstärkende Effekte durch die Lohnentwicklung, wobei die Geldpolitik zunehmend restriktiver wird, auch wenn dies zulasten des Wirtschaftswachstums gehen kann.“
Der Nachfrageüberhang aus dem Jahr 2021 werde zwar abgebaut, aber nur sehr langsam. „Dies könnte die ausschlaggebende Variable sein, die es zu beobachten gilt, auch im Hinblick auf die neuen Lockdowns in China.“
EURIZON Asset Management bringt vier Punkte in Betracht: Der erste Punkt sind die Kosten für den Transport von Containern aus China. Die Preise sind seit Anfang des Jahres gesunken, liegen aber immer noch im Bereich der historischen Höchststände von Ende 2021. Daraus folgern sie, dass hier keine zusätzliche Inflation zu erwarten ist, aber auch kein deutlicher Abbau der Spannungen.
Die Angaben des Freightos Baltic Index, der die Transportraten auf zwölf globalen Handelsrouten misst, lässt einen allmählichen Abbau der angespannten Lage erkennen, denn die Frachtkosten im Seeverkehr sind gegenüber dem Stand von Ende 2021 gesunken, liegen aber deutlich über dem Niveau der Zeit vor Corona.
Der Schienenverkehr in den USA ist fast wieder auf dem Aktivitätsniveau vor Corona (2019), was darauf hindeute, dass der Engpass in den Vertriebsketten überwunden ist. „Dies ist jedoch nur eine teilweise Rückkehr zur Normalität. Denn Öl und Fahrzeugverkehr, zwei Sektoren, die die Inflation gestützt haben, entwickeln sich weiterhin langsamer als 2019, was auf eine anhaltende Knappheit in diesen Schlüsselsektoren hindeutet.“
Im verarbeitenden Gewerbe in den USA habe sich der Abstand zwischen Auftrags- und Lagerbeständen verringert – im Vergleich zu den Spitzenwerten nach der Wiedereröffnung der Märkte. „Allerdings ist der Saldo nach wie vor zugunsten der Aufträge verzerrt, während die Lagerbestände an Fertigerzeugnissen weiterhin auf niedrigem Niveau liegen. Der Druck auf die Produktionsketten hat also noch nicht nachgelassen.“
Insgesamt scheint sich die Hypothese des Höchststandes der US-Inflation zu bestätigen. Der Inflationsdruck dürfte jedoch nur langsam nachlassen, räumt EURIZON Asset Management ein, insbesondere angesichts der neuen Lockdowns in China.
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Viel Wind um neuen Beteiligungszwang bei Investitionen
Von Dr. Oliver Everling | 5.Mai 2022
Der heute veröffentlichte Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts könnte weitreichende Folgen für die Gestaltung von Investitionen haben, bei denen die Wahl des Standortes aufgrund der erheblichen Auswirkungen auf die Einwohner bzw. Nachbarn eine große Rolle spielt.
Der Senat hat nämlich entschieden, dass das Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz – BüGembeteilG) ganz überwiegend mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Das BüGembeteilG verpflichtet die Betreiber von Windenergieanlagen (Vorhabenträger), Windparks nur durch eine eigens dafür zu gründende Projektgesellschaft zu betreiben und Anwohnerinnen und Anwohner sowie standortnahe Gemeinden durch den Erwerb von Gesellschaftsanteilen oder stattdessen durch den Erwerb von Sparprodukten durch die Anwohner und die Zahlung einer Abgabe an die Gemeinde mit insgesamt mindestens 20 % an deren Ertrag zu beteiligen.
Dadurch soll die Akzeptanz für neue Windenergieanlagen verbessert und so der weitere Ausbau der Windenergie an Land gefördert werden. Die damit verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor Beeinträchtigungen durch den Klimawandel und der Sicherung der Stromversorgung sind nach Ansicht des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hinreichend gewichtig, um den mit der Beteiligungspflicht verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) rechtfertigen zu können.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
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M&S revitalisiert den Einzelhandel
Von Dr. Oliver Everling | 5.Mai 2022
Als Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Straßenhändler ihre Waren auf der Oxford Street zu verkaufen begannen, konnten sich nur wenige vorstellen, wie sich Europas wichtigste Einkaufsstraße in den nächsten 150 Jahren verändern würde. Seit ihren Anfängen als Handelsstraße hat sich die Oxford Street kontinuierlich weiterentwickelt, um sich an die veränderten Einkaufsgewohnheiten der Menschen anzupassen.
„Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wichen die Straßenhändler Tuchmachern und Schuhmachern, denen zuerst kleine und dann viel größere Geschäfte folgten, darunter unser eigenes Geschäft von Marks & Spencer, das sich seit den 1930er Jahren in der West Oxford Street befindet“, berichtet Sacha Berendji, Group Property, Store Development and Technology Director bei Marks & Spencer, dem großen Einzelhandelsunternehmen aus Großbritannien. „Die Kontinuität der Oxford Street ist den Unternehmen und der Kommune zu verdanken, die immer hart daran gearbeitet haben, innovative Lösungen zu finden, was bedeutet, dass Londons berühmteste Einkaufsstraße nicht nur überlebt, sondern gediehen ist.“
Die Auswirkungen der Pandemie auf das Gebiet waren jedoch akut. Die Besucherzahlen im West End von London brachen ein, als die Kunden ihre Art zu kaufen grundlegend veränderten – sie wählten Online-Shopping, Lieferung nach Hause und Einzelhandelsparks außerhalb der Stadt statt traditioneller Einkaufsstraßen. Touristen reisen nach dem Ende der Reisebeschränkungen weiterhin in immer größerer Zahl zu Designer-Discountern, berichtet der Experte von Marks & Spencer.
Der Westminster Council arbeitet daran, Partner hinter Pläne für Oxford Street zu vereinen, wobei das Angebot von Marks & Spencer zur Modernisierung des Marble Arch-Geschäfts ein Beispiel dafür ist, wie in die Zukunft zu blicken ist.
Marks & Spencer begann damit, die Optionen für die Renovierung des bestehenden Ladens sehr genau zu prüfen, aber es wurde schnell klar, dass eine Neuentwicklung der einzig gangbare Weg war, um einen Laden neu zu gestalten, der seinen Zweck erfüllt und für die Zukunft gerüstet ist, um ein bahnbrechendes Gebäude mit gemischter Nutzung mit modernen Einzelhandelsflächen und erstklassigen Büroflächen zu schaffen, das sicherstellt, dass M&S langfristig in der West Oxford Street tätig bleibt.
Das Marble Arch-Design ist kreativ, unternehmerisch und der Höhepunkt einer über zweijährigen Zusammenarbeit mit dem Westminster City Council, der Greater London Authority und der lokalen Geschäfts- und Anwohnergemeinschaft. Es gibt eine Menge lokaler Unterstützung für unsere Vorschläge, da ihr Ziel nicht nur darin besteht, das Geschäft umzugestalten, sondern auch das West End der Oxford Street wiederzubeleben. Während andere Einzelhändler ihre Größe verkleinern oder ganz aufgegeben haben, schlägt M&S das einzige von Einzelhändlern geleitete Erneuerungsprojekt vor.
Das neue Gebäude wird zu den 10 % der leistungsstärksten Gebäuden in London gehören und weniger als ein Viertel der Energie verbrauchen, die von den bestehenden Gebäuden benötigt wird, die bereits die Ziele der Regierung zur CO2-Reduktion übertreffen. „Wir sind der festen Überzeugung, dass der Ersatz der drei bestehenden Gebäude die richtige Antwort auf die Klimakatastrophe ist, da sie innerhalb von 17 Jahren eine bessere CO2-Bilanz und Nachhaltigkeitsvorteile für die nächsten hundert Jahre bietet“, sieht Sacha Berendji voraus.
„M&S handelt seit 63 Jahren in der West Oxford Street, und mit der Unterstützung unserer Kollegen, der örtlichen Gemeinde und des Westminster Council sind wir zuversichtlich,“ so Sacha Berendji, „dass unser Vorschlag bedeutet, dass M&S auch in den nächsten 63 Jahren in Marble Arch handeln wird und darüber hinaus.“
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VPNs umgehen deutsche Pressezensur
Von Dr. Oliver Everling | 4.Mai 2022
Für viele Reisende in die Volksrepublik China, die Islamische Republik Iran und viele weitere Staaten sind „Virtual Private Networks“ (VPN) ein vertrauter Weg, um die Internet-Zensur der jeweiligen Länder zu umgehen.
Da die Zensur in der Europäischen Union und damit auch in Deutschland im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ausgeweitet wurde, gewinnen VPN auch für Nutzer an Bedeutung, die sich über Ereignisse und Meinungen aus anderen Ländern informieren wollen, aber neuerdings auf die politsch gesetzten Schranken in Europa stoßen.
Mit VPN wird der Internetzugang verschlüsselt und ermöglicht, mit einer neuen IP-Adresse im Internet surfen. VPNs verschlüsseln den Internetverkehr eines Nutzers und verschleiern seine Online-Identität. Ein VPN verbirgt die IP-Adresse des Nutzers, indem das Netz sie über einen speziell konfigurierten Remote-Server umleitet, der von einem VPN-Host ausgeführt wird. Wenn der Nutzer also mit einem VPN online surft, wird der VPN-Server zum Ursprung der Daten.
Ein VPN macht es dem Internetdienstanbieter (ISP) des Nutzers oder anderen Dritten unmöglich zu sehen, welche Webseiten besucht werden oder welche Informationen der Nutzer im Internet eingibt. Mit VPN-Standort-Spoofing können Nutzer zudem auf einen Server in anderen Ländern wechseln und ihren Standort effektiv „ändern“.
Der Nutzer eines VPNs in China kann so beispielsweise auch auf Dienste von Google oder Facebook zugreifen, obwohl diese Dienste in der Volksrepublik China gesperrt sind. Umgekehrt kann ein Nutzer in Deutschland auch Informationen aus anderen Ländern erhalten, obwohl diese Inhalte der Zensur in Deutschland unterliegen.
Auf europäischer Ebene setzt sich die deutsche Bundesregierung in enger Abstimmung mit den Ländern für Einschränkungen ein, so etwa bei den laufenden Verhandlungen zur Verordnung der Europäischen Union (EU) „Digital Services Act“.
Die Bundesregierung hat im Europäischen Rat bereits für das am 2. März 2022 in Kraft getretene EU-weite Verbreitungsverbot der Sender RT und Sputnik gestimmt. Die Website von RT wird wegen der EU-Verordnung 2022/350 vom 1. März 2022 auf Wikipedia zum Beispiel auch nicht mehr verlinkt.
Zur Ausrichtung der strategischen Kommunikation der Bundesregierung liegen Antworten aus einer „Kleinen Anfrage“ der Fraktion der CDU/CSU vor, so auch zur Frage, wie technische Umgehungsmöglichkeiten, z. B. über das genannte VPN, eingestellt werden sollen. „Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung der Situation sehr aufmerksam und prüft das weitere Vorgehen“ – aas geht aus der Antwort hervor.
Ein Entwurf der Europäischen Kommission für den „Media Freedom Act“ wird für das dritte Quartal 2022 erwartet. Die Bundesregierung plant, vorab eine Stellungnahme an die Europäische Kommission zu senden.
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Märkte bereits überverkauft, Einstiegskurse in Sicht
Von Dr. Oliver Everling | 4.Mai 2022
Michael Winkler, Leiter Anlagestrategie bei der St.Galler Kantonalbank Deutschland AG, sieht im aktuellen Marktumfeld, dass dieses „selbst hartgesottenen Marktteilnehmern die Schweißperlen auf die Stirn treiben“ dürfte. Denn während der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit all seinen negativen Begleiterscheinungen die Aussichten an den internationalen Kapitalmärkten weiterhin trübt und folglich für Unruhe unter den Anlegern sorgt, setzen unterbrochene Produktions- und Lieferketten sowie rasant steigende Energie- und Rohstoffpreise Unternehmen in aller Welt zusehends unter Druck, schreibt Michael Winkler. Derweil bereitet sich die Industrie in Europa mit Hochdruck auf ein mögliches Worst Case Szenario vor, nachdem bereits Bulgarien und Polen mit einem Stopp russischer Gaslieferungen konfrontiert wurden.
Angesichts der Vielzahl an negativen Einflussfaktoren, die derzeit in geballter Form aufeinandertreffen, wundert es ihn nicht, dass die Stimmung unter den Anleger so negativ ausfällt wie schon lange nicht mehr. So liegen inzwischen vier von sieben Indikatoren des Fear & Greed Index, dem Stimmungsindikator des US-Senders CNN, mit einem Wert von derzeit 27 im „Extrem Angst“-Bereich. Auch die Stimmung des jüngsten AAII Investor Sentiment Survey, die das Bullen-Lager bei nur noch 16 Prozent gegenüber dem Bären-Lager von 60 Prozent sieht, fällt so pessimistisch aus, wie zuletzt im Jahr 2009 zur Zeit der letzten großen Finanzkrise.
„Als weiterer Belastungsfaktor erweist sich zudem die bereits seit Monaten deutlich höher ausfallende Inflation. In den USA betrug der Preisanstieg für März 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat 8,5 Prozent,“ hebt der Leiter Anlagestrategie hervor, „was dem höchsten Wert seit Ende 1981 entspricht. Doch auch hierzulande ist die Inflationsrate im April 2022 überraschend gestiegen, nachdem das Statistische Bundesamt einen vorläufigen Anstieg der Verbraucherpreise von 7,4 Prozent vermeldet hat, was ebenfalls der höchste Wert seit Herbst 1981 ist.“
Angesichts dieser Entwicklung sieht er die Augen zusehends auf das Verhalten der Notenbanken gerichtet: „Während sich die Europäische Zentralbank (EZB) bislang noch nicht dazu geäußert hat, wann sie die Zinsen anheben wird, drückt die US-Notenbank Fed weiter aufs Tempo. So ist zu erwarten, dass die Fed bereits heute die Anhebung des Leitzinses um 50 Basispunkte beschließen wird, was dem größten Zinssprung seit mehr als 20 Jahren gleichkommen würde.“
Jedoch seien nicht nur die Ergebnisse des Fed-Meetings richtungsweisend: „Spannend wird vor allem auch die Einschätzung von Fed-Chef Jerome Powell zur US-Konjunktur und Inflation sein und wie die Märkte schlussendlich darauf reagieren werden. Auch wenn das gesamte Marktumfeld derzeit von mehreren Belastungsfaktoren bestimmt wird und es vorerst wohl weiterhin volatil bleiben wird, mehren sich jedoch die Anzeichen dafür, dass der Markt bereits viel vorweggenommen hat. Zwar ist die Bodenbildung noch nicht ganz erreicht. Doch nachdem die Märkte bereits überverkauft sind, könnten sich in den nächsten Wochen vor allem bei qualitativ hochwertigen und stark gefallenen Aktien neue Einstiegskurse ergeben. Außerdem können sich Discount- und Volatilitätsstrategien als vorteilhaft erweisen, um sicher durch die stürmische See zu navigieren.“
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Auf Patenten basierender Innovationsfilter
Von Dr. Oliver Everling | 3.Mai 2022
„Lange nur Thema für wirtschaftswissenschaftliche Seminare,“ schreibt Lucas von Reuss in „Innovation Now“ (Ausgabe 05/22 vom 3. Mai 2022), „wird Inflation seit einigen Wochen wieder in jedem Haushalt diskutiert. Benzin, Lebensmittel, Restaurants – die sichtbaren Preise steigen noch schneller als es die offiziellen Zahlen aus dem Warenkorb anzeigen. Inflation war im März der meistgesuchte Begriff bei Google weltweit – zum ersten Mal überhaupt.“
Anleihen, Aktien, Immobilien, Gold, Bitcoin – alle traditionellen und neuen Anlageklassen seien betroffen von der Antwort auf die Frage, ob den Notenbankern die schwierige Gradwanderung zwischen Inflationsbekämpfung und Rezessionsbekämpfung gelingt.
„Was bleibt Aktienanlegern in Abwesenheit einer Glaskugel zu tun?“ Das fragt Lucas von Reuss und antwortet: „Das Risiko zu minimieren, einseitig auf weiter steigende oder fallende Inflationsraten und Zinsen zu setzen! Wachstumsaktien profitieren aufgrund weit in der Zukunft liegender Gewinne von niedrigen Inflationsraten und Zinsen. Viele Value-Aktien gewinnen in so einem Umfeld an Attraktivität, weil deren langfristigen Aussichten vielleicht nicht so rosig sind, sie heute aber noch mehr Cashflow erzeugen als Unternehmen mit großen Zukunftsversprechen.“
Nur auf Value zu setzen, sei gefährlich, wie die über 10 Jahre dauernde Underperformance seit 2009 gezeigt habe. Nur auf Wachstumstitel ohne Aussicht auf Gewinne in der kurzen Frist zu setzen, ist nach Ansicht des Portfoliomanagers ebenso gefährlich, wie die katastrophalen Wertentwicklungen von ehemaligen Hype-Aktien wie Zoom, Teladoc und Roku in den vergangenen 12 Monaten zeigen würden.
Für Quant IP gelte daher: „Mit unserem auf Patenten basierenden Innovationsfilter finden wir Firmen aus beiden Lagern: Wachstumsunternehmen, die heute noch nicht profitabel sind (DoorDash, Snap, UiPath) und Firmen, die hochprofitabel sind und Gewinne investieren, um innovativ zu bleiben (Johnson & Johnson, AGCO, Ford). Wir sind überzeugt, dass innovative Unternehmen immer Wege finden, besser zu werden, in jedem Zinsumfeld.“
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Mumm zum Bodenlosen
Von Dr. Oliver Everling | 3.Mai 2022
„Für Anleger gestaltet sich der bisherige Jahresverlauf weiterhin komplex“, räumt Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL, angesichts allgegenwärtiger und zuletzt vielfach noch verschärfter Risiken ein, denn nach einer kurzen Hoffnungsphase dominiert nun wieder der Pessimismus.
„Dabei sorgten massiv steigende Zinsen für erhebliche Verluste im Anleihen-Segment und die hohen Bewertungen nahezu aller Anlageklassen werden einer Überprüfung unterzogen. Wenn mit Staatsanleihen zumindest nominal wieder Zinsen im positiven Bereich verdient werden können,“ so Carsten Mumm, „dürften in der aktuell unsicheren Gemengelage einige auch bald wieder verstärkt verzinslich anlegen, so dass der außergewöhnlich schnelle Zinsanstieg seit Januar trotz anhaltend hoher Inflationsraten und dadurch überwiegend negativer Realzinsen, in den kommenden Monaten etwas langsamer vonstattengehen dürfte.“
Carsten Mumm sieht das Bodenlose: „An den Aktienmärkten hingegen ist kurzfristig keine Bodenbildung der aktuellem Abwärtstrends erkennbar. Zu unberechenbar sind derzeit die Konjunkturerwartungen für den weiteren Jahresverlauf und damit auch die Gewinnprognosen vieler Unternehmen. Der Euro dürfte sich erst bei einer konkreten Aussicht auf den Einstieg der EZB in die überfällige Zinswende stabilisieren.“
Vorerst rät er dazu, die Kapitalanlage weiterhin etwas vorsichtiger zu gestalten, selbst wenn bei einer überraschenden Trendwende für Risikoanlagen erst etwas später der Einstieg gelingt. Die mittel- bis langfristigen Perspektiven bleiben aber positiv und dürfen bei aller Sorge nicht aus dem Blick geraten, denn massive Investitionen zur Steigerung der Resilienz seien in den kommenden Jahren absehbar.
„Staaten werden nicht nur ihre digitale Infrastruktur modernisieren. Auch die robustere Aufstellung der Gesundheitssysteme und die Steigerung der Unabhängigkeit von fossilen Energierohstoffen werden angegangen. Zudem kann in Deutschland mit einer Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren gerechnet werden“, was eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft wäre. Deutschland hat seit 2013 fast ein Jahrzehnt der – politisch bedingten – Stagnation in allen wesentlichen Fragen erlebt, was die Planungs- und Genehmigungsverfahren angeht.
„Auch Unternehmen werden in die Dekarbonisierung ihrer Produktion investieren,“ sagt Mumm, „ihre Geschäftsabläufe an die neuen geopolitischen Gegebenheiten anpassen und Lieferketten robuster aufstellen. Mit diesen Veränderungen werden in den kommenden Jahren auch für Anleger wieder enorme Chancen entstehen, die an den Kapitalmärkten wie immer rechtzeitig eingepreist werden dürften.“
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Zeit der Selektion nach Charles Darwin
Von Dr. Oliver Everling | 2.Mai 2022
Schon 1838 entwickelte Charles Darwin seine Theorie der Anpassung an den Lebensraum durch Variation und natürliche Selektion und erklärte so die phylogenetische Entwicklung aller Organismen und ihre Aufspaltung in verschiedene Arten. Über 20 Jahre lang trug er Belege für diese Theorie zusammen.
Diese Evolutionstheorie scheint sich auch an den Finanzmärkten zu spiegeln. Innovative Unternehmen – also Variation – erfreuen sich zeitweilig übertriebenen Wachstums, um im Prozess der „natürlichen“ Selektion auf diejenigen Adressen reduziert zu werden, die auch der Willkür von Notenbanken standhalten.
„Zu Beginn des Jahres war die US-Notenbank Fed auf dem Weg, die Zinsen schrittweise wieder anzuheben. Doch angesichts der anhaltend hohen Inflationszahlen und des Marktes, der nach weiteren Erhöhungen verlangt, erleben wir eine deutliche Verschiebung hin zu mehr Aggressivität. Es wird erwartet,“ berichtet Matthew Benkendorf, CIO von Vontobel Quality Growth, „dass die Fed zum ersten Mal seit langer Zeit die Zinsen nicht nur um 25 Basispunkte, sondern um mindestens 50 oder möglicherweise sogar 75 Basispunkte anheben wird.“
Mit einem derart aggressiveren Vorstoß bei den Zinserhöhungen sieht es Matthew Benkendorf als sehr wahrscheinlich an, dass die Inflation allein durch den Jahresvergleich wieder zu sinken beginnt, selbst wenn sich die Konsumentenpreise nicht ändern. Nach der erwarteten Zinserhöhung durch die Fed in dieser Woche und wahrscheinlich einer weiteren danach, besteht zudem die Möglichkeit eines Stimmungsumschwungs an den Märkten.
Die Märkte werden nach seiner Ansicht vorerst weiter volatil bleiben, aber: „das, was wir im Rahmen der Berichtssaison für das erste Quartal bisher gesehen haben und im weiteren Verlauf des Jahres noch sehen werden, deutet darauf hin, dass robustere Unternehmen in der Lage sein werden, beständigere und stärkere Ergebnisse zu liefern. Gleichzeitig könnten und sollten einige der teureren Aktien auf dem Markt endlich im Preis sinken.“
Bei einigen der sogenannten „Lieblinge“ der Aktionäre sieht Matthew Benkendorf Probleme oder diese Unternehmen beginnen, „schnell gegen eine Wand zu fahren. Dabei ist es wahrscheinlich,“ so der CIO weiter, „dass wir allmählich ein realistischeres Szenario sehen werden, in welchem sich die qualitativ hochwertigeren Unternehmen identifiziert lassen.“
Die so von ihm definierten Qualitätsunternehmen mit hohen Gewinnspannen können Kostensteigerungen und Inflation auffangen. „Anleger sollten sich daher auf Unternehmen mit einem breiten Burggraben, Vorteilen beim geistigen Eigentum (Intellectual property, kurz IP), starken Marken und soliden Bilanzen konzentrieren. Angesichts der steigenden Rohstoffpreise, der Lohninflation und Problemen bei den Lieferketten wird außerdem die Preissetzungsmacht wichtig sein.“
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Schluss mit „Putins Krieg“
Von Dr. Oliver Everling | 28.April 2022
Jeder – und wahrscheinlich auch die russischen Angreifer – wünscht sich ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine. Schluss mit „Putins Krieg“ – ja, aber inzwischen hat dieser Satz auch eine weitere Bedeutung: „Schluss mit dem Krieg“ – Schluss aber auch mit „Putins Krieg“.
In Gabor Steingarts „The Pioneer Briefing Economy Edition“ heißt es heute: „Putins Krieg ist nicht allein Putins Krieg. Wenn Olaf Scholz in mittlerweile jedem zweiten Satz von ‚Putins Krieg‘ spricht, dann will er damit sich und Merkel und vielen anderen einen Persilschein ausstellen, auf dem steht: Putin war’s. Ich bin unschuldig.“
Für die Toten in der Ukraine sind nicht allein diejenigen verantwortlich, die die Kanonen betätigen oder die Panzer steuern. Putin allein verantwortlich? „Dem muss widersprochen werden. Putin wurde zum Losschlagen regelrecht ermuntert und zwar durch eine Politik der Unentschlossenheit“, heißt es im Pioneer Briefing.
Der Beginn der Fehler in der deutschen Politik lässt sich sogar datieren: 2013 wurde die FDP vom deutschen Wähler nicht nur aus der Bundesregierung, sondern auch aus dem Deutschen Bundestag geworfen. Die Außenpolitik unter der Führung von Guido Westerwelle fand ein abruptes Ende (wie übrigens auch die damals schon weitsichtig angelaufenen Maßnahmen zur Vorsorge gegen jede eventuelle Corona-Epidemie).
In der erneuten Großen Koalition von Union und SPD nach der Bundestagswahl 2013 wurde Frank-Walter Steinmeier (SPD) am 17. Dezember 2013 im dritten Kabinett Merkel wieder Außenminister. Seitdem wurde die Außenpolitik in der entscheidenden Zeit, um einen Krieg in der Ukraine zu verhindern, von der SPD gestaltet, Sigmar Gabriel (SPD) vom 27. Jan. 2017 bis 14. Mär. 2018, Heiko Maas (SPD) 14. Mär. 2018 bis 8. Dez. 2021.
In der seit Juni 2014 tagenden semi-offiziellen, quadrilateralen Kontaktgruppe im „Normandie-Format“ (auch „Normandie-Quartett“ genannt), spielte Deutschland vornehmlich auf Regierungs- und Außenministerebene zwischen Russland, Frankreich und der Ukraine zu Fragen des Ukraine-Konflikts die entscheidende Rolle.
Die blutrote Spur der Ursachen des Krieges führt aus der Ukraine auch nach Deutschland – eine unbequeme Tatsache, die vermutlich angesichts des besonderen Verhältnisses von Gabor Steingart bzw. des Teams von „The Pioneer“ zu Sigmar Gabriel im heutigen „Briefing“ nicht auch an den Personen der verantwortlichen SPD-Außenminister festgemacht wird.
Welche Last Deutschland noch aufgrund der 2021 sogar ins Kanzleramt gewählten SPD-Genossen zu tragen hat, wurde im Rahmen des 35. FERI-Konjunktursymposiums am 27. April 2022 deutlich: „Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit bedeuten Reputationsverlust“, hieß es dort, und die Liste der Fragezeichen ist lang: Gestaltung der Beziehungen zu Russland, strategische Ausrichtung der Außenpolitik, Verteidigungsfähigkeit, Nord-Stream 2 und insbesondere Umgang mit Besorgnissen europäischer Partner, eigene Abhängigkeit von russischen Energieimporten, fehlender Ausbau alternativer Energieträger, usw.
Axel Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe, machte auf den inhärenten Widerspruch zwischen der Bedeutung, die Deutschland qua Größe für EU und EWU zukommt, und tatsächlich gelebter Vorbildfunktion aufmerksam und zeigte die Folgen auf: Einfluss Deutschlands auf künftige Gestaltung Europas geringer als möglich; größere Heterogenität innerhalb der EWU (und Risiko des Auseinanderbrechens) oder stärkere Transferelemente innerhalb der EWU.
Deutschland wird mit einem gesamtwirtschaftlichen Wachstum von weniger als 2 Prozent im laufenden Jahr das Schlusslicht im Euroraum bilden. Bereits die niedrige Impfquote und das lange Festhalten an Beschränkungen haben dazu geführt, dass die Wirtschaftsleistung noch unter dem Vor-Corona-Niveau liegt.
„In der veränderten geopolitischen Lage erweisen sich die zahlreichen Versäumnisse in der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre und insbesondere eine katastrophale Energiepolitik mit ihrer enormen Abhängigkeit von russischem Gas bei gleichzeitiger Unfähigkeit zum Ausbau regenerativer Energieträger als schwere Hypothek für die deutsche Wirtschaft“, führte der Chef-Volkswirt der FERI Gruppe in seinem Vortrag beim Konjunktursymposium aus.
Bei der Veranstaltung, die in diesem Jahr zum 35. Mal durchgeführt wurde, diskutierten Branchenexperten aus verschiedenen Bereichen der deutschen Wirtschaft sowohl in Präsenz als auch online die konjunkturellen Perspektiven.
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