Dekarbonisierung von Gebäuden durch CO₂-Speicherzertifikate
Von Dr. Oliver Everling | 28.August 2024
Der Gebäudesektor trägt mit rund 37% erheblich zu den weltweiten CO₂-Emissionen bei. Angesichts der ehrgeizigen Netto-Null-Ziele besteht ein dringender Bedarf an innovativen Lösungen zur Reduzierung dieser Emissionen. Eine besonders vielversprechende Methode ist der moderne Holzbau, insbesondere in Kombination mit nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Diese Ansätze werden als Negativemissionstechnologien angesehen, da sie CO₂ nicht nur vermeiden, sondern aktiv aus der Atmosphäre entfernen. Ein neuer Akteur in diesem Bereich ist das Zürcher PropTech Startup Timber Finance, das erstmals eine anerkannte Methodologie entwickelt hat, mit der Bauherren und Immobilien-Investoren die Klimaleistung ihrer Holzbauprojekte durch CO₂-Zertifikate monetarisieren können. Unterstützt wird diese Innovation unter anderem durch den Migros-Pionierfonds.
Während viele Industrien bereits von Einnahmen aus dem Verkauf von CO₂-Zertifikaten profitieren, gibt es nun auch für die Immobilienwirtschaft ein neues Instrument zur Förderung des Holzbaus. „Seit 2022 ist der Holzbau von internationalen Organisationen wie die UNFCCC oder der EU wie auch in der Schweiz als CO₂-Speicherlösung anerkannt“, heißt es in dem Bericht. Dies bedeutet, dass CO₂ durch Wälder der Atmosphäre entzogen und dauerhaft in den Tragkonstruktionen von Holzbauten gespeichert werden kann, sofern kein Zerfall durch Käfer, Sturm oder Feuer eintritt. Darüber hinaus ersetzt Konstruktionsholz emissionsintensive Materialien wie Stahl oder Beton und kann daher doppelt zur Dekarbonisierung beitragen.
Die Schweiz ist bereits als weltweit führendes Land im Ingenieurholzbau bekannt und setzt diese Tradition fort, indem sie die internationale Methodologie auf nationale Verhältnisse anpasst. Timber Finance hat kürzlich die Pilotphase gestartet, bei der rund 20 innovative Holzbauprojekte teilnehmen können, um durch CO₂-Speicherzertifikate zusätzlichen Wert zu schaffen. Auch Schweizer Forstreviere beteiligen sich an der Pilotphase und erhalten für nachhaltige Waldbewirtschaftung Vergütungen aus den Zertifikatserlösen. „Bauherren und Waldbewirtschafter sind eingeladen, sich mit Holzbauprojekten bei Timber Finance zu melden,“ wird in dem Bericht hervorgehoben. Eine Ausweitung auf internationale Märkte ist für 2025 geplant.
Frank Vasek, Verantwortlicher für Carbon Solutions bei Timber Finance, betont die Bedeutung dieser Innovation: „Wir haben es geschafft, ein Instrument zu entwickeln, das zur Dekarbonisierung des Gebäudesektors beiträgt und durch die Monetarisierung der Klimaleistung neue Werte im Bausektor schafft.“ Die CO₂-Zertifikate können entweder auf den CO₂-Märkten gehandelt (Offsetting) oder von institutionellen Bauherren an der eigenen CO₂-Bilanz auf dem Weg zu Netto Null angerechnet werden (Insetting). Diese Flexibilität macht die Zertifikate besonders attraktiv für Investoren und Bauherren, die sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Ziele verfolgen.
Ein Beispiel für die Umsetzung dieser Strategie soll das Projekt Pünt der Siedlungsgenossenschaft Eigengrund in Egg sein, im Kanton Zürich. Der Ersatzneubau mit einer Hauptnutzfläche von 7’050 m² verwendet regionales und zertifiziertes Holz und speichert so 1.462 Tonnen CO₂ in der Holztragkonstruktion. Zusätzlich werden durch den Ersatz emissionsintensiver Materialien weitere 508 Tonnen CO₂-Emissionen vermieden. Dieses Projekt zeigt eindrucksvoll, wie klimafreundliches Bauen wirtschaftlich sinnvoll umgesetzt werden kann.
Neben Bauherren spielen auch Forstreviere eine zentrale Rolle in der Dekarbonisierungsstrategie durch Holzbau. Im Rahmen des Pilotprojekts beteiligen sich Forstreviere aus der ganzen Schweiz an der klimaoptimierten Bewirtschaftung von 15.000 Hektar Waldflächen. „Ziel ist es, die CO₂-Aufnahme zu steigern sowie die Ökosystemleistungen der Wälder zu entschädigen,“ heißt es in dem Bericht. Durch eine gezielte Waldbewirtschaftung kann das Holzerntepotenzial optimal genutzt und das darin gespeicherte CO₂ langfristig gebunden werden, was einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leistet.
Die Einführung von CO₂-Speicherzertifikaten durch Timber Finance stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung einer nachhaltigen und klimafreundlichen Bauwirtschaft dar. Durch die Verbindung von Holzbau und nachhaltiger Waldbewirtschaftung entsteht ein neuer Markt, der sowohl ökologisch als auch ökonomisch attraktiv ist. Dies könnte nicht nur die Dekarbonisierung des Gebäudesektors vorantreiben, sondern auch als Modell für andere Länder dienen, die ähnliche Wege zur Erreichung ihrer Klimaziele suchen.
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Ablenkungsmanöver „Innovative Klimafinanzierung“
Von Dr. Oliver Everling | 28.August 2024
Die Bekämpfung des Klimawandels erfordert erhebliche finanzielle Mittel. Ein zentraler Engpass bei der Energiewende ist die Verfügbarkeit von genügend Kapital, um nachhaltige Projekte voranzutreiben. Innovative Finanzierungsmodelle wie grüne Anleihen, die in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, lenken jedoch oft von der grundsätzlichen Notwendigkeit ab, die Finanzströme grundlegend umzuschichten. Hans Stegeman, Chefökonom bei der Triodos Bank, argumentiert, dass diese innovativen Ansätze eher ein Ablenkungsmanöver darstellen.
Stegeman betont, dass Klimafinanzierung verschiedene Instrumente umfasst, die darauf abzielen, die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern oder die Anpassung an neue Gegebenheiten zu verbessern. Um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssten sich die Finanzströme in Richtung Klimaschutz mindestens verdreifachen. „Diese ‚Finanzierungslücke‘ bezeichnet ein Missverhältnis zwischen Projekten, die finanziert werden müssen, und dem Kapital, das zu ihrer Unterstützung zur Verfügung steht“, erklärt Stegeman. Die Climate Policy Initiative schätzt, dass bis 2030 jährlich 6,2 Billionen USD und bis 2050 7,3 Billionen USD an Klimafinanzierung benötigt werden, um den Netto-Nullpunkt zu erreichen – insgesamt fast 200 Billionen USD.
Angesichts dieser enormen finanziellen Anforderungen entstehen immer mehr innovative Finanzmechanismen, um die Finanzierung des Klimaschutzes attraktiv zu gestalten. Ein Beispiel ist die zunehmende Verlagerung hin zu Mischfinanzierungen, bei denen öffentliche Mittel Anfangsverluste und Risiken abdecken, um privates Kapital zu mobilisieren. 2023 erreichte diese Form der Finanzierung einen Fünfjahreshöchststand, mit einem Anstieg der klimabezogenen Mischfinanzierung um 107 % auf 11,6 Mrd. USD. Auch der Markt für grüne Anleihen, die zur Finanzierung von Nachhaltigkeitsprojekten eingesetzt werden, wird 2024 voraussichtlich ein Emissionsvolumen von 1 Billion USD erreichen.
Stegeman warnt jedoch davor, sich von diesen Zahlen blenden zu lassen: „Obwohl diese Mechanismen das Potenzial haben, Investitionen in den Klimaschutz zu fördern, lenken sie oft von der Tatsache ab, dass gleichzeitig weiterhin große Summen in fossile Brennstoffe fließen.“ Die größten Emittenten grüner Anleihen, insbesondere Regierungen, haben ihre Ausgaben für die Subventionierung fossiler Brennstoffe gleichzeitig erhöht.
Ein weiteres Beispiel für innovative Klimafinanzierung sind die Kohlenstoffmärkte, die darauf abzielen, Emissionen zu reduzieren, indem sie den Preis für Kohlenstoffemissionen durch Emissionshandelssysteme (ETS) festlegen. Der größte dieser Märkte ist das EU-Emissionshandelssystem, das 2023 etwa 87 % des weltweiten Emissionshandelsvolumens ausmachte. „Auch hier sehen wir eine enorme Expansion“, sagt Stegeman. „Doch obwohl der Marktwert 2023 weltweit 949 Milliarden USD erreichte, bleibt die tatsächliche Wirkung auf die Reduktion von Emissionen oft hinter den Erwartungen zurück.“
Freiwillige Kohlenstoffmärkte (Voluntary Carbon Markets, VCM), die Einnahmen durch den Verkauf von Kohlenstoffgutschriften generieren, sind ebenfalls von Kontroversen um Greenwashing, Standards und Projektrentabilität geprägt. Trotz ihres Potenzials befinden sie sich laut Stegeman noch in der Anfangsphase, mit einem globalen Volumen von rund 3 Milliarden USD im Jahr 2023.
„Das eigentliche Problem liegt nicht darin, mehr Geld zu finden, sondern in der Umlenkung vorhandener Mittel“, argumentiert Stegeman. Die Tatsache, dass 2022 weltweit 7 Billionen USD an Subventionen für fossile Brennstoffe bereitgestellt wurden, verdeutlicht dies. „Es gibt eine grundlegende finanzielle Asymmetrie: Investitionen in fossile Brennstoffe bieten höhere Erträge als erneuerbare Energien, weil sie von einer historischen Unterbewertung von Ressourcen und externen Effekten profitieren.“
Stegeman fordert daher ein Umdenken im Finanzsektor: „Es geht darum, anzuerkennen, dass private Gewinne nicht auf Kosten des öffentlichen Wohls erzielt werden dürfen.“ Die Umlenkung von Kapital erfordert politische Maßnahmen, die gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und es der Finanzwelt erleichtern, die Energiewende zu unterstützen, ohne sich ausschließlich auf Finanzinnovationen zu verlassen.
Obwohl die Klimafinanzierung an Zugkraft gewinnt, sind finanzielle Innovationen alleine nicht ausreichend, um die benötigten Mittel für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel zu mobilisieren. „Wir brauchen eine starke Politik, die Maßnahmen wie eine globale Kohlenstoffsteuer, die Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe, verbindliche Standards für Schwellenländer und eine klare Verpflichtung der Regierungen zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen umfasst“, schließt Stegeman.
Innovative Finanzierungsmechanismen sind ein Teil der Lösung, aber ohne tiefgreifende politische und strukturelle Veränderungen bleibt ihr Nutzen begrenzt.
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Mangelnde finanzielle Inklusion verspürt
Von Dr. Oliver Everling | 20.August 2024
Die deutsche Bevölkerung fühlt sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger finanziell inkludiert. Das ist das Ergebnis eine aktuellen Verbraucherbefragung der Principal Financial Group.
Der Prozentsatz der Menschen, die sich in Deutschland finanziell inkludiert fühlen, ist in den letzten 12 Monaten, in denen ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld das Haushaltsvermögen und das finanzielle Vertrauen vieler Deutscher weiter beeinträchtigt hat, von 71 % auf 50 % gesunken.
Principal analysiert die finanzielle Inklusion auf Grundlage der Unterstützung durch Arbeitgeber, die Regierung und das Finanzsystem. Außerdem beschreibt Principal, welche Auswirkungen diese Ergebnisse auf das Anlageszenario für die globalen Märkte haben.
Nur 40 % der Befragten sind der Meinung, die Regierung handele finanziell inklusiv, was gegenüber 52 % im Vorjahr einen deutlichen Rückgang um zwölf Prozentpunkte darstellt. Der Anteil der Menschen, die das Finanzsystem als finanziell inklusiv erleben, ist ebenso deutlich von 61 % auf 47 % gesunken. Den größten Rückgang im Verbrauchervertrauen müssen jedoch die Arbeitgeber verschmerzen: Der Prozentsatz der Menschen, die der Aussage zustimmen, ihr Arbeitgeber handele finanziell inklusiv, ist um 16 Prozentpunkte von 72 % auf 56 % zurückgegangen.
Trotz der Aussichten auf bevorstehende Zinssenkungen geben nur 33 % der deutschen Befragten an, dass sie im Hinblick auf die kurzfristigen Konjunkturaussichten zuversichtlich sind. Insbesondere sind nur 37 % der Befragten der Meinung, bei Bedarf eine neue Arbeitsstelle finden zu können. Vor 12 Monaten waren es noch 46 %. Ebenso fühlen sich nur rund 40 % dazu in der Lage, ihre Schulden zu verwalten.
Längerfristig sind die Erwartungen der Deutschen an ihre finanzielle Inklusion nicht weniger pessimistisch. Während 51 % zustimmen, dass ihr Arbeitgeber ein großzügiges Altersvorsorgeprogramm bereitstellt, glauben 56 %, dass sie über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten werden müssen. Ein Drittel (36 %) ist nicht in der Lage, aktuelle finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen und gleichzeitig für den Ruhestand zu sparen.
Seema Shah, Chief Global Strategist, Principal Asset Management, kommentiert die Ergebnisse: „Das Verständnis für und die Förderung der finanziellen Inklusion sollten nicht nur für politische Entscheidungsträger, sondern auch für Anleger von großer Bedeutung sein. Das Ausmaß, in dem sich die Menschen finanziell inkludiert fühlen, und ihre Wahrnehmung davon, wie effektiv Regierungen, Finanzsysteme und Arbeitgeber ihr finanzielles Wohlbefinden unterstützen, können einen Hinweis auf längerfristiges Vertrauen und Ausgabenmuster geben, die die wirtschaftliche Gesundheit untermauern oder untergraben könnten.“
„Mit einem langsameren Wachstum in der Eurozone und rückläufiger Inflation war die proaktive Haltung der EZB in Bezug auf Zinssenkungen gerechtfertigt. Obwohl der Kampf gegen die Inflation in der Eurozone beeindruckend war, haben sich die jüngsten Inflations- und Lohndaten als überraschend stark erwiesen. Eine weitere Abwertung des Euro würde aufkeimende Befürchtungen befeuern, dass der Inflationsrückgang in der Eurozone ins Stocken geraten könnte. Dies hätte Auswirkungen auf Verbrauchervertrauen und Ausgaben, da die Preise weiterhin hoch blieben. Die Zweifel der Bevölkerung daran, dass die von der Regierung, dem Finanzsystem oder ihrem Arbeitgeber ergriffenen Maßnahmen viel dazu beitragen, ihre finanziellen Verhältnisse zu verbessern, sind wenig überraschend.“
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Steigende Arbeitslosigkeit in den USA
Von Dr. Oliver Everling | 13.August 2024
Der jüngste Einbruch an den Börsen hat für Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe, ein Thema in den Fokus gerückt, das an den Kapitalmärkten lange Zeit nahezu vollständig ignoriert wurde: die Möglichkeit einer bevorstehenden Rezession der US-Wirtschaft.
„Angesichts der starken Straffung der Geldpolitik durch die amerikanische Notenbank seit März 2022 ist dieses Szenario eigentlich naheliegend. Denn höhere Zinsen bremsen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Bislang hat die restriktive Geldpolitik der Fed, eingesetzt zur Eindämmung der Inflation, die Konjunktur jedoch nicht geschwächt“, sagt Angermann.
Der Grund liegt nach seinen Erkenntnissen zum einen in Überschuss-Ersparnissen aus den Zeiten der Corona-Pandemie, von denen der private Konsum lange Zeit zehren konnte. Zum anderen wies der amerikanische Arbeitsmarkt – ebenfalls als Folge der Pandemie – erhebliche Verzerrungen auf. Diese führten dazu, dass sich die schwächere Nachfrage nach Arbeitskräften nicht in einem Anstieg der Arbeitslosenquote bemerkbar machte. Die expansive Fiskalpolitik und insbesondere die hohen Anreize für Investitionen in „grüne“ Technologien kamen als zusätzlicher konjunkturstimulierender Faktor hinzu.
In den zurückliegenden Monaten hat sich die Lage nun geändert: „Seit März ist die Arbeitslosenquote viermal in Folge um insgesamt 0,5 Prozentpunkte gestiegen. Zusammen mit einer sinkenden Zahl offener Stellen, höheren Erst- und Folgeanträgen auf Arbeitslosenhilfe und einem verlangsamten Lohnwachstum deutet dies durchaus auf eine bevorstehende Rezession hin. Sicher ist der Befund allerdings nicht: Auffällig ist das anhaltend geringe Niveau der betriebsbedingten Kündigungen. Der Anstieg der Arbeitslosenquote resultiert also vor allem daraus, dass die Zahl der Arbeitssuchenden weiter steigt, die Unternehmen aber immer weniger Neueinstellungen vornehmen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit dürfte sich weiter fortsetzen, könnte sich aber insgesamt langsamer vollziehen als in früheren Konjunkturzyklen.“
Die zu erwartende Folge wäre gemäß Angermann in jedem Fall ein schwächeres Konsumwachstun: „Die Überschuss-Ersparnisse der Haushalte sind inzwischen weitgehend aufgebraucht, und die Sparquote ist auf ein niedriges Niveau von weniger als 3,5 Prozent gesunken. Zudem ist die Gefahr, seinen Job zu verlieren und nicht sofort einen neuen zu finden, gestiegen. Dies dürfte zu mehr Vorsorge-Ersparnis führen. Bislang ist der private Konsum allerdings noch überwiegend stabil. Wie schnell sich dies ändert, bleibt abzuwarten. Eine schwächere Nachfrage der Haushalte hätte ihrerseits wiederum negative Wirkungen auf den Arbeitsmarkt. Damit würde ein wirtschaftlicher Abschwung unweigerlich näher rücken. Diese Rezession dürfte angesichts fehlender gravierender Ungleichgewichte in der Gesamtwirtschaft zwar moderat ausfallen. Für die ohnehin schwächelnde europäische Wirtschaft wären dies dennoch schlechte Nachrichten.“
Der Glaube, dass die Fed mit ihren im September einsetzenden Zinssenkungen eine solche Rezession aufhalten könnte, sei unrealistisch, so Angermann: „erstens wegen der Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik von mindestens einem halben Jahr und zweitens wegen des begrenzten Umfangs von Zinssenkungen in einem Umfeld, in dem die Inflation noch immer über der 2%-Marke liegt. Dass die Fed sich ausschließlich auf das Beschäftigungsziel konzentriert und mit drastischen Zinssenkungen in kürzester Zeit einen Wiederanstieg der Inflation riskiert, ist nicht anzunehmen. Es ist also Zeit, sich auf eine erneute Abschwächung der weltwirtschaftlichen Dynamik durch eine US-Rezession einzustellen.“
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Eine Rolle des Verschuldungsgrads von Unternehmen
Von Dr. Oliver Everling | 7.August 2024
„Hohe Qualität zeichnet sich für uns durch historische Ertragsstabilität aus. Unternehmen sollten nicht nur dann profitabel sein, wenn die Konjunktur gut läuft. Denn je stärker die Gewinne eines Unternehmens vom Konjunkturzyklus abhängen, desto volatiler sind die Erträge und damit auch der Aktienkurs“, schreibt Nils Bosse Para, Portfoliomanager des ODDO BHF Polaris Dynamic, in einem aktuellen Markkommentar. Ein entscheidendes Kriterium ist für uns, dass ein Unternehmen von strukturellen Wachstumstrends profitiert. Eine alternde Bevölkerung, die mehr Medikamente benötigt, oder hilfreiche Technologien, auf die Unternehmen aus Wettbewerbsgründen nicht verzichten können, sind zum Beispiel langfristige, manchmal Jahrzehnte prägende Megatrends. „Aktien, die von solchen Trends profitieren, bieten Schutz vor Konjunkturschwankungen und stabilere Erträge über Jahre hinweg“, fügt Bosse Para hinzu. Umsatz- und Gewinnwachstum werden dadurch besser kalkulierbar.
Angesichts der aktuell hohen Zinsen gibt es aber ein weiteres Merkmal, auf das wir derzeit besonders achten: die Verschuldung der Unternehmen. 38% der Unternehmensanleihen mit niedrigerem Kupon laufen bis 2027 aus und müssen entweder aus der Bilanz bezahlt oder von den Unternehmen durch die Ausgabe neuer Anleihen zu einem höheren Kupon refinanziert werden. Die derzeit von den Investoren geforderten Kupons sind aufgrund der Zinswende höher als in den vergangenen Jahren und erhöhen damit die Zinslast der Unternehmen. Eine höhere Zinslast drückt auf den Gewinn und lässt weniger Spielraum für Investitionen. Der Portfoliomanager von ODDO BHF AM führt aus: „In diesem Umfeld ist es ratsam, die Verschuldung des Unternehmens gering zu halten, denn ein zu hoher Schuldendienst hat schon so manches Unternehmen in Schwierigkeiten gebracht“. Sehr hoch verschuldete Unternehmen schließen wir daher bei der Auswahl aus.
Bei strategischen Übernahmen kann es sinnvoll sein, einen Teil der Schulden für die Übernahme einzusetzen, was den Verschuldungsgrad kurzfristig erhöht. „Eine rasche Rückführung der Verschuldung nach der Konsolidierung des übernommenen Unternehmens ist dabei wünschenswert und ein sehr wichtiges Zeichen für die Qualität der angebotenen Produkte oder Dienstleistungen und des Managements“, so Bosse Parra. Sehr erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch hohe freie Cashflows und einen hohen Bestand an liquiden Mitteln in der Bilanz aus. Diese Liquidität gibt den Unternehmen einerseits die Freiheit und Flexibilität, Konkurrenten zu übernehmen oder Aktien zurückzukaufen, andererseits können die liquiden Mittel derzeit kurzfristig verzinst angelegt werden und bieten damit sogar eine zusätzliche Einnahmequelle.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Geringe Verschuldung bedeutet geringere Zinsverpflichtungen und damit ein geringeres Risiko, in Rezessionen in die Insolvenz zu rutschen, sowie geringere Zinszahlungen, was die Rentabilität erhöhen kann. „Liquidität bedeutet Flexibilität bei strategischen Entscheidungen und Unabhängigkeit von Banken und anderen Kreditgebern“, fasst Bosse Parra zusammen. Eine geringe Abhängigkeit von der Finanzierung mache diese Unternehmen widerstandsfähiger gegenüber konjunkturellen Schwankungen.
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Höhere Zinsen treiben den Markt
Von Dr. Oliver Everling | 5.August 2024
Im laufenden Jahr konnten Wandelanleihen noch wenig von den guten Ergebnissen des Aktienmarkts profitieren. Dennoch bleibt Arnaud Brillois, Portfoliomanager/Analyst und Leiter des Global Convertibles-Teams bei Lazard Asset Management, positiv gestimmt: Sowohl das ökonomische Umfeld, die geldpolitischen Voraussetzungen als auch die Unternehmensseite machen ihm und seinen Kollegen Mut für das zweite Halbjahr.
In der ersten Jahreshälfte 2024 sei die Performance von Wandelanleihen eher schwach gewesen. Die guten Kursentwicklungen auf dem globalen Aktienmarkt seien von einer Handvoll Mega-Cap-Titeln getrieben worden, insbesondere solchen, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Diese Unternehmen würden jedoch in der Regel keine Wandelanleihen begeben, weshalb die Assetklasse davon nicht profitiert habe. Wandelanleihen würden meist von mittelgroßen Emittenten aus dem Wachstumssegment emittiert. Angesichts eines global hohen Zinsniveaus hätten sich diese Unternehmen und damit die den Wandelanleihen zugrunde liegenden Aktien jedoch schlechter entwickelt als der breite Markt. „Wir sind allerdings der Ansicht, dass die vielfältigen Performance-Chancen für Wandelanleihen, die wir seit geraumer Zeit schon sehen, auch weiterhin bestehen“, betont Arnaud Brillois. „Wir bleiben deshalb bei unserem positiven Ausblick für diese Assetklasse, da wir die Gesamtstruktur des Markts für ausgesprochen attraktiv halten.“
In den USA würden die Wirtschaftsdaten auf eine Disinflation, eine ausgewogene Beschäftigungslage sowie ein moderates Wachstum hindeuten. Für den Portfoliomanager sind das gute Nachrichten: „Das erhöht die Chancen für eine ,weiche Landung‘ der US-Wirtschaft, welche es der US-Notenbank Fed ermöglichen könnte, in der zweiten Jahreshälfte mit Zinssenkungen zu beginnen.“ Niedrigere Zinssätze würden Rückenwind für Wandelanleihen erzeugen, da mittelgroße Unternehmen und Wachstumswerte sehr empfindlich auf Zinsbewegungen reagieren. „Seit 2021 sind die Aktien in Small- und Mid-Cap-Growth-Segment stark gefallen und dies, obwohl die Gewinne im gleichen Zeitraum gestiegen sind. Deshalb bieten diese Aktien aus unserer Sicht ein erhebliches Erholungspotenzial“, sagt Brillois.
Ein weiteres Argument: Weltweit hätten sich die Konsumausgaben für Dienstleistungen als widerstandsfähiger erwiesen als erwartet, was die Reise- und Unterhaltungsbranche angetrieben habe. „Wir sehen einen Paradigmenwechsel in der Unternehmenstätigkeit. Der führt unter anderem dazu, dass die aktuellen Erträge das Niveau von 2019 deutlich übersteigen, was sich aber in den Bewertungen dieser Unternehmen nicht angemessen widerspiegelt“, beobachtet der Experte. „Das bestätigt unser Engagement in diesen Sektoren.“
Die Strukturen von Wandelanleihen seien nach wie vor günstig für Investoren. Weltweit hätten die höheren Zinsen die Renditekomponente der Anlageklasse gestärkt und sie zu einem wichtigen neuen Performancemotor gemacht. „So rentieren beispielsweise rund 30 Prozent der Wandelanleihen aus dem Technologiesektor mit mehr als 5 Prozent pro Jahr“, berichtet Arnaud Brillois. Da ein bedeutender Teil dieser Anleihen in den Jahren 2025 und 2026 fällig werde, könne die Assetklasse einen starken Sog zum Nennwert erfahren, der zu ihrer Gesamtperformance beitragen dürfte.
Auf dem Markt der Neuemissionen habe sich einiges getan: Das zweite Quartal habe sogar das hohe Tempo der vorangegangenen Quartale übertroffen und Neuemissionen im Wert von 35 Milliarden US-Dollar erreicht. Damit stehe das Gesamtvolumen des Jahres 2024 zum Stichtag 30. Juni bei 60 Milliarden US-Dollar. „Dabei waren die Emissionen weiterhin günstig, aufgrund überdurchschnittlicher Kupons und relativ gesehen niedrigen in Wandelanleihen eingepreisten Prämien“, erklärt der Spezialist von Lazard. Die neuen Wandelanleihen würden von einer Vielzahl von Unternehmen aus dem starken US-Markt stammen und – das ist neu – auch wieder aus China. „In Europa warten wir dagegen weiterhin auf neue Anleihen, aber das geringe Emissionsvolumen hat hier zu einem positiven Knappheitseffekt geführt. Insgesamt erwarten wir aufgrund der hohen Zinsen und der bevorstehenden Fälligkeit von Unternehmensanleihen auch im Jahr 2024 eine robuste Emissionstätigkeit. Dies wird eine wichtige Quelle für Konvexität und Rendite in der Assetklasse sein“, so Brillois.
Im Gegensatz zum traditionellen Anleihenmarkt, auf dem sich die Credit-Spreads erheblich verengt hätten, würden Wandelanleihen im Vergleich zu ähnlich bewerteten Nominalanleihen nach wie vor einen erheblichen Discount (im Sinne von Risikoaufschlag bei den Credit-Spreads) aufweisen. Arnaud Brillois schätzt dieses Phänomen so ein: „Wir gehen davon aus, dass Wandelanleihen aufgrund der günstigen Branchenzusammensetzung (mit einer Tendenz zu Wachstumsunternehmen) und der weniger komplexen Bilanzen ein defensiveres Engagement in Bezug auf das Kreditrisiko bieten und eine zusätzliche Renditequelle darstellen.“
Insgesamt spricht die aktuelle Marktsituation aus Sicht Brillois für Wandelanleihen. Die Struktur des Markts begünstige eine hohe Konvexität und biete sowohl interessante Renditen als auch eine hohe Aktiensensitivität.
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Ratings und die Problematik der Vetternwirtschaft in öffentlichen Vergabeverfahren
Von Dr. Oliver Everling | 17.Juli 2024
Öffentliche Vergabeverfahren spielen eine zentrale Rolle bei der Beschaffung von Waren, Dienstleistungen und Bauleistungen durch staatliche Institutionen und öffentliche Einrichtungen. Die Vergabe erfolgt dabei nach strengen rechtlichen Vorgaben, um Transparenz, Gleichbehandlung und Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten. In diesem Kontext gewinnen Ratings zunehmend an Bedeutung, um die Qualität und Zuverlässigkeit von Bietern zu bewerten.
Ratings sind systematische Beurteilungen, die Unternehmen oder deren Angebote nach bestimmten Kriterien bewerten. Diese Bewertungen können durch unabhängige Ratingagenturen, branchenspezifische Zertifizierungsstellen oder interne Bewertungsverfahren erfolgen. In öffentlichen Vergabeverfahren dienen sie dazu, die Eignung und Leistungsfähigkeit der Bieter objektiv zu beurteilen. Ein gutes Rating signalisiert Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit, finanzielle Stabilität und Qualität, was in der Entscheidung für einen Auftragnehmer eine wesentliche Rolle spielt.
Die Kriterien für Ratings können je nach Branche und Art des Vergabeverfahrens variieren. Zu den häufigsten Bewertungskriterien gehören sowohl leistungswirtschaftliche, wie auch finanzwirtschaftliche Kriterien, wie die finanzielle Stabilität, die ein wichtiger Indikator für die Fähigkeit eines Unternehmens ist, langfristige Verpflichtungen zu erfüllen. Hierbei werden Kennzahlen wie Eigenkapitalquote, Liquidität und Verschuldungsgrad berücksichtigt.
Auch die Erfahrung des Managements und die Referenzen spielen eine bedeutende Rolle, da die bisherige Erfahrung und erfolgreich abgeschlossene Projekte in ähnlichen Bereichen ein Maß für die Kompetenz und Zuverlässigkeit eines Unternehmens sind. Ebenso wichtig ist das Qualitätsmanagement: Die Implementierung von Qualitätsmanagementsystemen (z.B. ISO-Zertifizierungen) zeigt, dass ein Unternehmen standardisierte Prozesse zur Sicherstellung der Qualität seiner Leistungen eingeführt hat. Innovationskraft und technologische Fähigkeiten sind in vielen Bereichen ebenfalls entscheidend, insbesondere wenn es um Projekte mit hohen technischen Anforderungen geht.
Neben diesen harten Kriterien spielen auch weiche Faktoren eine Rolle. Die Reputation eines Unternehmens, das Ansehen in der Branche und die Zufriedenheit früherer Auftraggeber können in die Bewertung einfließen. Solche weichen Faktoren sind oft weniger greifbar, aber nicht minder wichtig, um ein umfassendes Bild der Leistungsfähigkeit eines Bieters zu erhalten.
Vetternwirtschaft, auch Nepotismus genannt, bezeichnet die Bevorzugung von Verwandten oder Freunden bei der Vergabe von Aufträgen, Stellen oder anderen Vorteilen, oft unabhängig von deren Qualifikationen oder Eignung. In öffentlichen Vergabeverfahren kann Vetternwirtschaft erhebliche negative Auswirkungen haben und steht im Widerspruch zu den Grundsätzen von Transparenz, Gleichbehandlung und Wirtschaftlichkeit.
Die Integrität und Glaubwürdigkeit öffentlicher Vergabeverfahren kann stark beeinträchtigen. Wenn Aufträge nicht aufgrund objektiver Kriterien, sondern aufgrund persönlicher Beziehungen vergeben werden, werden qualifizierte und geeignete Anbieter möglicherweise übergangen. Dies führt zu einer Verzerrung des Wettbewerbs und kann dazu führen, dass öffentliche Gelder ineffizient verwendet werden. Projekte könnten an Unternehmen vergeben werden, die nicht die besten Leistungen bieten, was die Qualität und den Erfolg der Projekte gefährdet.
Die Präsenz von Vetternwirtschaft untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die staatlichen Institutionen und deren Vergabeverfahren. Bürger und Unternehmen müssen darauf vertrauen können, dass öffentliche Aufträge fair und transparent vergeben werden. Wenn dieser Glaube durch Fälle von Vetternwirtschaft erschüttert wird, kann dies das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen langfristig beschädigen.
Um Vetternwirtschaft zu verhindern, gibt es in vielen Ländern strenge gesetzliche Regelungen und Kontrollmechanismen. Diese beinhalten Transparenzvorschriften, wie die Veröffentlichung von Ausschreibungen und Vergabeentscheidungen, sowie die Verpflichtung zur Dokumentation und Begründung von Vergabeentscheidungen. Darüber hinaus gibt es oft unabhängige Kontrollinstanzen, die die Einhaltung der Vergaberegeln überwachen und Verstöße sanktionieren können.
Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Bekämpfung von Vetternwirtschaft ist die Etablierung von Compliance-Programmen innerhalb öffentlicher Institutionen. Diese Programme sollen sicherstellen, dass Mitarbeiter in Vergabestellen sich an ethische Standards und gesetzliche Vorgaben halten. Dazu gehören Schulungen, klare Verhaltensrichtlinien und Mechanismen zur Meldung von Verstößen.
Durch die Veröffentlichung von Vergabedaten und die Einbindung externer Beobachter kann die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit von Vergabeentscheidungen erhöht werden. Dies erschwert es, Vetternwirtschaft zu verschleiern, und erleichtert die Aufdeckung und Ahndung von Missständen.
Letztlich ist auch die politische Kultur entscheidend. In Gesellschaften, in denen Korruption und Vetternwirtschaft stark stigmatisiert sind und Rechtsstaatlichkeit hochgehalten wird, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass solche Praktiken vorkommen. Daher ist es wichtig, ein Bewusstsein für die negativen Folgen von Vetternwirtschaft zu schaffen und eine Kultur der Integrität und Fairness zu fördern.
Insgesamt ist die Bekämpfung von Vetternwirtschaft essenziell für die Wahrung der Integrität öffentlicher Vergabeverfahren. Nur durch transparente, faire und objektive Vergabeprozesse kann sichergestellt werden, dass öffentliche Mittel effizient eingesetzt werden und das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen erhalten bleibt.
Durch den Einsatz von Ratings wird eine objektivere Vergleichbarkeit der Bieter ermöglicht. Insbesondere bei komplexen und großen Projekten bietet diese Bewertungsmethode eine strukturierte Entscheidungsgrundlage, die über rein preisliche Überlegungen hinausgeht. So können Risiken minimiert und die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass der Auftrag an einen leistungsfähigen und zuverlässigen Anbieter geht. Gleichzeitig wird das Vertrauen in den Vergabeprozess gestärkt, da die Auswahlkriterien transparent und nachvollziehbar sind.
Dennoch gibt es auch Herausforderungen und Kritikpunkte im Zusammenhang mit dem Einsatz von Ratings in öffentlichen Vergabeverfahren. Die Abhängigkeit von externen Ratingagenturen kann zu Interessenskonflikten führen, und nicht immer sind die angewandten Bewertungsverfahren und Kriterien vollständig transparent. Zudem können kleinere und mittelständische Unternehmen benachteiligt werden, wenn sie nicht über die Ressourcen verfügen, um aufwändige Zertifizierungen und Ratings zu erwerben.
Insgesamt ist die Rolle von Ratings in öffentlichen Vergabeverfahren jedoch überwiegend positiv zu bewerten. Sie tragen dazu bei, den Auswahlprozess zu professionalisieren und die Entscheidungsfindung auf eine breitere Informationsbasis zu stellen. Durch die Berücksichtigung von Qualität, Zuverlässigkeit und Innovationskraft können öffentliche Auftraggeber sicherstellen, dass sie langfristig von den besten Anbietern profitieren.
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Nutzen von Ratings in Zeiten schwächelnder Wirtschaft: Ein Blick auf China
Von Dr. Oliver Everling | 17.Juli 2024
Ratings spielen eine entscheidende Rolle in der globalen Finanzwelt. Ein Credit Rating dient als Indikator für die Kreditwürdigkeit von Staaten, Unternehmen und anderen Schuldnern. In diesem Kontext ist es besonders interessant, die jüngsten Entwicklungen in der chinesischen Volkswirtschaft zu betrachten, da diese erhebliche Auswirkungen auf internationale Investitionen und globale Marktstabilität haben.
Im zweiten Quartal fiel das Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft mit 0,7 Prozent enttäuschend aus. Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren. Diese Diskrepanz ist für Ratings von großer Bedeutung, da sie die Stabilität und die Risiken innerhalb verschiedener Wirtschaftsbereiche aufzeigt. Ein differenziertes Bild ergibt sich beispielsweise aus den Anlageinvestitionen, die im Juni um 3,9 Prozent stiegen, während die Industrieproduktion um 5,3 Prozent und die Exporte um 8,6 Prozent zulegten. Diese Zuwächse signalisieren eine Stabilisierung im verarbeitenden Gewerbe, was für die Nachfrage nach Industriegütern, insbesondere bei deutschen Unternehmen, positiv sein könnte. Ein stabiler Industriesektor kann das Rating positiv beeinflussen, da er als Rückgrat der Wirtschaft gilt.
Im Gegensatz dazu entwickelte sich der private Konsum weiterhin schwach. Einzelhandelsumsätze legten lediglich um 2,0 Prozent zu, und die Importe gaben um 2,3 Prozent nach. Ein schwacher Konsum kann negative Auswirkungen auf das Rating haben, da er auf geringes Verbrauchervertrauen und Kaufkraft hinweist, was langfristig die wirtschaftliche Dynamik bremst.
Zusätzlich sorgt der seit Mitte 2022 immer stärker sinkende Immobilienmarkt für Besorgnis. Einer der wichtigsten Hauspreisindizes gab zuletzt um 4,5 Prozent nach, was den stärksten Einbruch seit rund neun Jahren darstellt. Ein schwächelnder Immobiliensektor kann das Vertrauen der Investoren beeinträchtigen und somit das Rating negativ beeinflussen.
Vor diesem Hintergrund rückt diese Woche das dritte Plenum der Kommunistischen Partei Chinas in den Fokus. Hier wird jedoch eher mit langfristigen Wachstums- und Technologieplänen sowie Reformvorhaben zur Bekämpfung der steigenden Verschuldung gerechnet. Kurzfristige Stützungsmaßnahmen, die das Rating kurzfristig verbessern könnten, dürften hingegen ausbleiben.
Die niedrige Inflation von 0,2 Prozent und ein sehr schwaches Wachstum der Kreditvolumina könnten zur Verhinderung deflationärer Tendenzen geldpolitische Maßnahmen notwendig machen. Allerdings dürfte die People’s Bank of China nur zögerlich die Leitzinsen senken, um eine zu deutliche Abwertung der chinesischen Währung Yuan und eine mögliche Kapitalflucht zu verhindern. Solche geldpolitischen Maßnahmen könnten jedoch das Vertrauen in die wirtschaftliche Stabilität Chinas stärken und somit das Rating stabilisieren.
Insgesamt bleiben die Wachstumsperspektiven Chinas verhalten, glaubt Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL. Carsten Mumm fasst es so zusammen: „Insgesamt bleiben die Wachstumsperspektiven Chinas verhalten. Die Kernproblemfelder – wie der schwächelnde Immobiliensektor, die flaue Konsumbereitschaft und die alternde Gesellschaft – dürften die Wirtschaft vorerst weiter ausbremsen.“ Auch zur politischen Lage äußert er sich: „Die zunehmende Machtkonzentration auf die Person Xi Jinping und damit hohe politische Risiken sowie eine fehlende Reformbereitschaft werden sich kurzfristig wohl kaum ändern.“
Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Rating Chinas von einer Vielzahl komplexer und miteinander verknüpfter Faktoren abhängt. Die wirtschaftlichen Indikatoren, politische Entscheidungen und strukturellen Herausforderungen müssen kontinuierlich beobachtet und analysiert werden, um fundierte Bewertungen und Prognosen abgeben zu können. In diesem dynamischen Umfeld bleibt die Rolle von Ratingagenturen und Finanzexperten wichtig, um Investoren und Marktteilnehmern Orientierung und Sicherheit zu bieten.
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Neue BSW-Produktklassifizierung steigert Bewertungseffizienz im Rating
Von Dr. Oliver Everling | 17.Juli 2024
Der Bundesverband für strukturierte Wertpapiere (BSW), als Branchenvertretung der führenden Emittenten strukturierter Wertpapiere, hat eine neue BSW-Produktklassifizierung vorgestellt. Diese umfasst die zwölf wichtigsten Produktgattungen strukturierter Wertpapiere und zielt darauf ab, die Transparenz und Standardisierung in diesem Marktsegment weiter zu erhöhen.
Christian Vollmuth, geschäftsführender Vorstand des BSW, erläutert: „Als Branchenvertretung der führenden Emittenten strukturierter Wertpapiere sorgen wir für Transparenz und Standardisierung. Mit unserer neuen BSW-Produktklassifizierung reagieren wir auf die Änderung des Marktumfelds – wie etwa auf das seit der Zinswende stark gewachsene Interesse an Fest- und Stufenzinsanleihen.“ Diese neuen Produkte werden nun als eigene Kategorien innerhalb des umfangreichen Angebots des BSW separat dargestellt und sollen insbesondere Anlegern mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis zugutekommen.
Die neue Klassifizierung des BSW fördert nicht nur den Anlegerschutz, sondern auch die nachhaltige finanzielle Aus- und Weiterbildung. Ein zentrales Element dieser Klassifizierung ist die intuitiv erfassbare grafische Darstellung des Zusammenhangs von Chancen und Risiken. Dies wird durch eine stichpunktartige Beschreibung und eine Erklärung der Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten der wichtigsten Produkte aus Anlegerperspektive ergänzt. „Mit unserer BSW-Produktklassifizierung tragen wir dazu bei, dass Anleger als Selbstentscheider oder im Rahmen einer Anlageberatung eine passende Anlageentscheidung treffen können – sei es für Vermögensaufbau, Vermögenserhalt oder die private Altersvorsorge“, so Vollmuth.
Die Einführung der neuen Produktklassifizierung hat auch positive Auswirkungen auf das Rating der Produkte. Durch die klare und standardisierte Kategorisierung wird es für Analysten und Ratingagenturen einfacher, die verschiedenen Produkte zu bewerten. Die eindeutigen Definitionen und die präzise Abgrenzung der Produktkategorien ermöglichen eine konsistente und transparente Bewertung, die sowohl von professionellen als auch privaten Anlegern leicht nachvollzogen werden kann. Beispielsweise wurde die Definition für Express-Zertifikate präzisiert. Diese Kategorie umfasst nun auch Aktienanleihen mit der Möglichkeit vorzeitiger Rückzahlung, den sogenannten Express-Mechanismus. Diese klare Abgrenzung und Erweiterung der Kategorie erleichtert die Bewertung und das Verständnis dieser Produkte erheblich.
Im Zuge der Klassifizierung wurde die Kategorie der Sprint- und Outperformance-Zertifikate aufgelöst, da diese Produkte zuletzt einen sehr geringen Anteil am Marktvolumen verzeichneten. Diese Anpassung trägt dazu bei, den Fokus auf relevante und weit verbreitete Produktkategorien zu legen, was die Transparenz und Vergleichbarkeit weiter erhöht. Produkte, die nicht unter eine der zwölf dargestellten Produktkategorien fallen, werden in den BSW-Statistiken unter den Residual-Kategorien „Weitere Anlageprodukte ohne Kapitalschutz“ oder „Weitere Hebelprodukte“ erfasst. Diese Residual-Kategorien sorgen dafür, dass auch weniger gängige Produkte erfasst und bewertet werden können, ohne die Klarheit und Übersichtlichkeit der Hauptkategorien zu beeinträchtigen.
Die neue BSW-Produktklassifizierung stellt einen wichtigen Schritt in Richtung mehr Transparenz und Standardisierung im Markt für strukturierte Wertpapiere dar. Sie fördert nicht nur den Anlegerschutz und die finanzielle Bildung, sondern erleichtert auch die Bewertung und das Rating der Produkte erheblich. Anleger und Analysten profitieren gleichermaßen von der klaren und verständlichen Darstellung der verschiedenen Produktkategorien, was letztlich zu besseren und fundierteren Anlageentscheidungen führt.
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Die wachsende Rolle der KI bei der Entscheidungsfindung
Von Dr. Oliver Everling | 10.Juli 2024
Ein Projekt von abrdn und der University of Edinburgh zeigt, wie künstliche Intelligenz (KI) zunehmend Einfluss darauf nimmt, wie Menschen ihre Zeit und Ressourcen verwenden. Im Rahmen ihrer Partnerschaft „Centre for Investing Innovation“ haben abrdn und die University of Edinburgh ein Projekt gestartet, das darauf abzielt, generative KI zur Unterstützung des Investitionsanalyseprozesses des Unternehmens einzusetzen. Experten aus der Investmentbranche und Wissenschaftler verschiedener Forschungsgebiete arbeiten zusammen, um einen generativen KI-basierten Berater zu entwickeln. Dieser kombiniert ein verbessertes Sprachmodell mit einem statistischen Inferenzverfahren, um die Investmentteams von abrdn zu unterstützen.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Modellen, die sich auf die Identifizierung spezifischer Risiken oder die Analyse früherer Entscheidungen konzentrieren, wird das neue Instrument den Research-Teams von abrdn helfen, ihren Prozess auf eine breitere Palette von Wertpapieren anzuwenden. Dadurch werden aktuellere und umfassendere Erkenntnisse generiert, die für fundiertere Investitionsentscheidungen genutzt werden können. Die Forscher der University of Edinburgh arbeiten daran, bestehende große Sprachmodelle (LLMs) anzupassen und zu verbessern, um die enormen Datenmengen zu synthetisieren, die für Investitionsentscheidungen erforderlich sind. Das neue Instrument wird als Ergänzung zu den bestehenden Ressourcen der Investmentteams genutzt, wobei die generierten Berichte und Erkenntnisse menschliche Intelligenz bei der Einordnung erfordern. Es wird erwartet, dass die Integration des Anlageinstruments die Kapazitäten im Investmentbereich erhöht, indem es schnellere und fundiertere Entscheidungen ermöglicht und die Abdeckung der abrdn-Investmentteams innerhalb und zwischen den Sektoren erweitert.
Echo Yang, Investment Director bei abrdn und Co-Leiterin des Projekts, betont, dass KI das Potenzial habe, einen wesentlichen Beitrag zu den bestehenden Investmentprozessen zu leisten, jedoch richtig eingesetzt werden müsse, um einen Mehrwert zu bringen. Durch die Anwendung generativer KI können Investmentteams mehr Titel beobachten und tiefere quantitative Analysen durchführen. Dies führt zu einer effizienteren Nutzung der Zeit und Ressourcen, da KI-gestützte Systeme schneller und umfassender Daten analysieren können als menschliche Analysten alleine.
Das gemeinsame Projekt von abrdn und der University of Edinburgh hat nicht nur Auswirkungen auf die Investmentbranche, sondern bietet auch Möglichkeiten für Studenten und junge Forscher. Die Partnerschaft fördert den Wissensaustausch und die praxisnahe Ausbildung, was langfristig dazu beiträgt, die Herausforderungen der Gesellschaft zu bewältigen. Professor Sotirios Sabanis, Direktor des Centre for Investing Innovation, hebt hervor, dass die gemeinsame Forschung mit der Industrie nicht nur Investoren und Kunden zugutekommt, sondern auch Studenten die Möglichkeit bietet, Praxiserfahrungen zu sammeln, Bildungsprogramme zu verbessern und Möglichkeiten für den Wissensaustausch zu schaffen.
Das Projekt von abrdn und der University of Edinburgh zeigt, wie KI die Art und Weise, wie Menschen ihre Zeit und Ressourcen verwenden, revolutioniert. Durch die Entwicklung eines generativen KI-basierten Beraters wird nicht nur die Effizienz und Tiefe der Investitionsanalyse erhöht, sondern auch die Möglichkeiten für praxisnahe Ausbildung und Forschung erweitert. Diese Entwicklungen unterstreichen die wachsende Bedeutung von KI in der modernen Welt und die Notwendigkeit, sie strategisch und verantwortungsbewusst zu integrieren, um ihren vollen Nutzen zu entfalten.
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