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Persönlichkeitstypologie instrumentalisieren

Von Dr. Oliver Everling | 15.Juni 2009

Die „Persönlichkeitstypologie – Instrument der Mitarbeiterführung“ von Prof. Dr. rer. pol. Hans Jung, der an der Hochschule Lausitz (http://www.lautt.de/) Betriebswirtschaftslehre und Personalmanagement lehrt, liegt nun in einer 3., vollständig überarbeiteten und wesentlich erweiterten Auflage vor. Angesichts der Komplexität der Thematik kaum erstaunlich, dass weitere Typologien aufgenommen wurden und nun auch ein Blick auf die Transaktionsanalyse geworfen wird (http://www.oldenbourg.de/, ISBN 978-3-486-58643-5).

Das Stichwort „Rating“ kommt in dem Buch von Jung nicht vor, dennoch wird es jeden interessieren, der sich mit Ratings beschäftigt: Typologien und Ratingkriteriologien haben viel gemeinsam. Viele Entwickler von Ratingmodellen lassen sich von dem Paradigma leiten, eine Logik zur Typisierung von Unternehmen zu identifizieren, die eher bzw. höher ausfallgefährdet sind als andere. Zu jedem Unternehmensrating gehört auch die Beurteilung des Managements: Hierin liegt unmittelbar ein Überschneidungsbereich des Handwerkszeugs eines Ratinganalysten und der Persönlichkeitstypologie, wie sie Jung in seinem Buch vorstellt.

Jung will mit seinem Buch Führungskräfte im Umgang mit ihren Mitarbeitern besser in die Lage versetzen, sich auf die individuelle Wesensart der verschiedenen Menschen einzustellen und damit die Kommunikation zu verbessern. Das Buch dient auch der Selbsterkenntnis, die in dem Maße an Bedeutung gewinnt, je komplexer die Führungsaufgabe ist. Drittens wirkt sich nach Jung das Wissen über die möglichen Persönlichkeitstypen und deren charakteristische Verhaltensweisen positiv bei der Beurteilung und Personalentscheidung aus. Es sei wohl der Wunsch eines jeden Chefs und Personalleiters, dass „der richtige Mitarbeiter am richten Platz sitzt“, aber nur mit Hilfe der Menschenkenntnis sei dieser Wunsch annähernd zu realisieren. Insbesondere an der Unternehmensspitze sollten die „richtigen Mitarbeiter“ sitzen, um den Erfolg des Unternehmens zu sichern. An einer Typologie von Persönlichkeiten kommt insofern also kein Ratingsystem vorbei.

Auf 170 Seiten liefert Jung einen kompakten Überblick über die in der Literatur ausufernde Materie, denn es fehlt in der Geschichte der Menschheit nicht an Versuchen, Persönlichkeitsmerkmale in „Schubladen“ abzulegen und von diesen für unterschiedliche Zwecke Gebrauch zu machen. Bekannte Charakter- und Persönlichkeitstypologien sind längst in den Sprachgebrauch des Alltags eingezogen, wie Jung an verschiedenen Beispielen zeigt: Von der Astroanalyse als ältester Charaktertypologie, mit der täglich Zeitungen und Zeitschriften noch heute Millionen Leser binden und Geld verdienen, über die Temperamentstypen des Hippokrates, die Konstitutionstypen nach Kretschmer, die Einstellungstypen nach C. G. Jung ibs hin zu den Charaktertypen nach Freud reichen die Versuche, anhand von vergleichsweise wenigen Eigenschaften von Menschen diese umfassend zu beschreiben. Diesen stellt Jung neuere Ansätze der Persönlichkeitsanalyse gegenüber, wie etwa die Lebensformen nach E. Spranger, das Structogram, das DISG-Modell, das Team Management Profil (TMP) oder das INSIGHTS MDI-Verfahren.

Im Mittelpunkt des Buches stehen die Persönlichkeitsstrukturen nach Fritz Riemann (1902 – 1979), der als Mitbegründer der jetzigen Akademie für Psycholanalyse und Psychotherapie vorgestellt wird. Jung ist der Überzeugung, dass Riemann mit seiner Theorie erste grundlegende wissenschaftliche Hilfestellungen sowie eine ausreichende Typenvielfalt mit vier Grundcharakteren und eine für die Führungskraft nachvollziehbare, komplexe Grundidee anbietet. Die Persönlichkeitstypologie von Riemann beruht auf den Grundformen der Angst, die zu schizoiden, depressiven, zwanghaften und hysterischen Persönlichkeiten in ihren Krankheitsformen führt, in ihren gesunden Formen jedoch mit „unabhängig“ (statt schizoid), „fürsorglich“ (statt depressiv), „beherrscht“ (statt zwanghaft) und „lebhaft“ (statt hysterisch) begriffen werden können.

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