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Pleiten in der Pipeline
Von Dr. Oliver Everling | 19.Mai 2021
Viele Unternehmen haben nach den Wirtschaftskrisen 2002 und 2009 mehr Eigenkapital aufgebaut. 2009 wurde in Deutschland eine schwarz-gelbe Bundesregierung gewählt. In der Koalition mit den Freien Demokraten waren deutliche Steuererhöhungen nicht durchsetzbar. Die FDP ging damals sogar mit dem Slogan „Mehr Netto vom Brutto“ in den Bundestagswahlkampf.
Angesichts der globalen Finanzkrise konnte damals das Versprechen einer breiten Entlastung aller Einkommen nicht gehalten werden. So musste sich die FDP in der Koalition mit der CDU/CSU mit der Entlastung niedriger Einkommen begnügen. Immerhin wurden aber den Unternehmen nicht mit Mittel genommen, um mehr Eigenkapital aufzubauen. Dies zahlte sich jetzt in der Corona-Pandemie aus.
Da die Wirtschaft nach den Krisen 2002 und 2009 mehr Eigenkapital aufbaute, gingen die Unternehmen stabiler in die aktuelle Krise, berichtet der Kreditversicherer Coface. „Aber irgendwann sind diese Reserven aufgebraucht. Für viele wird der aktuelle Lockdown zu lange andauern, sie werden es nicht schaffen“, sagt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg und Coface meldet: „Insolvenzen in Deutschland: Der Schein trügt, mehr Pleiten in der Pipeline“.
Darauf deutet auch die Zahl der Anmeldungen für ein Regelinsolvenzverfahren hin. Seit April 2020 war sie rückläufig, der Trend änderte sich im Oktober 2020. Seitdem steigen die Zahlen – mit einer Ausnahme im Januar 2021 – wieder. Im Februar 2021 registrierte das Statistische Bundesamt 30% mehr Insolvenzanträge als im Vormonat, im März wurde mit +37% der höchste Stand seit März 2017 erreicht.
Im April gingen die neuen Anträge etwas zurück, bleiben aber auf hohem Niveau. Laut einer Simulation von Coface hätten die Gesamtinsolvenzen im Jahr 2020 auf Grundlage des Konjunktureinbruchs um 6% gegenüber 2019 ansteigen müssen. In der Realität sind sie um 15,5% gesunken. Daher könnte ein Anteil von bis zu 21,5% (bzw. 4.030 Insolvenzen) in der Pipeline stecken und sich 2021 und 2022 materialisieren. Das Gros dürfte aus dem Gastgewerbe kommen, wo Coface bis zu 660 „versteckte“ Insolvenzen erwartet, gefolgt von Transport und Bau mit jeweils bis zu 420, dem Verarbeitenden Gewerbe (230) und dem Einzelhandel (190).
Während die pandemiebedingte Insolvenzwelle einerseits durch Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, andererseits durch die relativ gute Vorsorge der Unternehmen mit Eigenkapital abgeschwächt wurde, könnte die nächste Krise – gleich welcher Art – dramatischere Folgen haben: Sieht man einmal von der FDP ab, ist die Erhöhung der Belastung von Unternehmen bei allen Parteien Programm, sei es, um soziale Versprechen zu erfüllen, sei es, um mehr Nachhaltigkeit zu erzwingen und diese Aufgaben nicht lediglich durch geeignete rechtliche Rahmenbedingungen und mit ausgeglichenen öffentlichen Haushalten zu erreichen.
Themen: Debitorenrating, Mittelstandsrating, Unternehmensrating | Kommentare deaktiviert für Pleiten in der Pipeline
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