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Risikoprofiling in der Praxis der Anlageberatung
Von Dr. Oliver Everling | 6.November 2009
Bleibt man bei der Betrachtung des Risikoprofilings erst einmal im Wertpapiergeschäft, so muss man sich mit der Tatsache auseinandersetzen, sich mit rund 850.000 Wertpapieren befassen zu müssen. Filtert man die Produkte erst einmal heraus, die gar nicht verfügbar sind, da nicht im Angebot, liefert der Produkttrichter eine Restmenge, die für den Vertrieb zur Verfügung steht. Herr Lothar Behrens, Dipl.-Kfm., Mitglied des Vorstands der Augsburger Aktienbank AG (http://www.aab.de/), stellt die Produktseite der Kundenseite gegenüber. Das Hauptaugenmerk der Branche liege zurzeit noch auf der Vermeidung von Haftung. Alle aufsichtsrechtlichen Kriterien zu erfüllen sei das oberste Ziel. Außerdem müsse im Zweifelsfall dem Richter eine möglichst lückenlose Dokumentation vorgelegt werden können, um zu beweisen, dass die Bank ihren Verpflichtungen nachkam.
Behrens bezweifelt, dass diese Art von Anlageberatung den Verbraucherinteressen entspreche. Die Pflicht, die von allen erfüllt werde, erkläre die Situation allerdings nur unzureichend, da auch die wirtschaftlichen Aspekte berücksichtigt werden müssen. Eine umfassende, ganzheitliche Anlageberatung inkl. Erläuterung der Zusammenhänge von Risiko, Rendite und Verfügbarkeit, sei ein erheblicher Aufwand, bevor mit dem Kunden überhaupt ein Geschäft gemacht werden könne. Wenn der Kunde 500 T€ geerbt habe, sei ein solcher Prozess noch lohnend. Was aber, wenn der Kunde nur 10 T€ mitbringe? Für eine solche Investitionssumme sei der IT-Aufwand, der Aufwand für die Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben usw. unverhältnismäßig, insbesondere wenn der Kunde anschließend noch weiter betreut werden soll.
Der Anlageprozess ende in einer Momentaufnahme, denn ein Jahr später könne sich beim Produkt, aber auch beim Kunden etwas verändert haben. Beim Standardretailkunden sei das in der hohen Qualität nicht zu leisten, die man sich wünschen würde. Gerade denjenigen, für die dringend Beratung benötigt würde, sei der Aufwand daher besonders schwierig, ökonomisch sinnvoll darzustellen. Finanzprodukte seien nicht „sexy“ genug, damit der Kunde den Aufwand seines Profilings selber tragen würde wie der junge Autokäufer den Aufwand für den Erwerb eines Führerscheins.
In der Schule werde man nicht auf die Anforderungen des Geschäftslebens vorbereitet, auch nicht in Fragen der Geldanlage. Selbst das traditionelle Studium der Betriebswirtschaftslehre liefere nicht das praktische Rüstzeug, um für sich persönlich Antworten auf Fragen der Geldanlage zu geben. Die Transparenz des Beratungsprozesses müsse daher an erster Stelle stehen, um überhaupt das Vertrauen des Kunden zu gewinnen. Die Grenzen zwischen Beratungs- und Verkaufsgespräch seien in der Branche aber oft nicht klar gezogen.
Behrens skizziert das Instrumentarium, das in der Beratung Einsatz finden kann. Der Beratungsbogen, der am Anfang des Gesprächs steht, kann dem Kunden ausgehändigt werden. Behrens sieht hier aber ein Spannungsfeld zwischen Individualisierung und Standardisierung. Wenn der Kunde auf Basis des Risikoprofilings nur Produkte einer bestimmten Risikoklasse angeboten bekomme, könne dies zu einer einseitigen Vermögensstruktur führen, zeigt Behrens auf. Unter Portfoliogesichtspunkten könne es sinnvoll sein, auch riskantere Produkte aufzunehmen, als sie durchschnittlich dem Risikoprofil des Kunden entsprechen.
Sein Fazit: Wenn der breiten Bevölkerung die Chance gegeben werden soll, zu den richtigen Produkte zu kommen, dann muss dieser auch das Instrumentarium gegeben werden, beraterunabhängig ein gutes Ergebnis zu erhalten. Bei den Kunden in der Vermögensanlage und Wealth Management sei das Thema anders zu beurteilen als im Breitengeschäft.
Behrens ist Autor im Buch von Oliver Everling und Monika Müller (Herausgeber): „Risikoprofiling von Anlegern – Kundenprofile treffend analysieren und in der Beratung nutzen“ (Bank-Verlag Medien GmbH, Köln, http://www.bank-verlag.de/, 1. Auflage 2009, 534 Seiten, Art.-Nr. 22.443-0900, ISBN 978-3-86556-222-7). Das Expertenforum „Risikoprofiling von Anlegern“ wurde unter der Leitung von Monika Müller von FCM Finanz Coaching organisiert (http://www.monika-mueller.de/).
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