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Rückkehr der Geopolitik

Von Dr. Oliver Everling | 5.September 2008

Die aktuellen Ereignisse im Kaukasus und in Afghanistan rücken außenpolitische Fragen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Deutsche Soldaten sterben außerhalb Europas in Konflikten, die fern von einer friedlichen Lösung sind. „In den Medien werden diese Konflikte häufig mit untauglichen Kategorien bewertet. Dabei lohnt es sich durch die Brille der wichtigsten Akteure zu schauen“, schreibt Udo Schäfer, Referent im Landtag von Baden-Württemberg, in einem Leserbrief an die FAZ, der dort auszugsweise abgedruckt wurde (FAZ vom 26. 8 .2008). In den USA prophezeit Robert Kagan, Mitbegründer der neokonservativen Denkfabrik Project for the New American Century (PNAC) und Berater von McCain, einen Wettkampf zwischen Demokratien und Autokratien. Kagan sieht die russische Führung im Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet:

„Für den Autokraten ist die Welt ein beängstigender Ort. Der liberale Westen wird als Hegemon der Welt empfunden �?� Wir im Westen glauben an den Triumph des Rechts und des Guten. So blicken wir auf die Ukraine und Georgien.“ Kagan, Richard Perle und die deutschen Atlantiker, zu denen auch der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Eckart von Klaeden gehört, wollen eine globale Führerschaft der USA, weil eine multipolare Welt für alle gefährlicher sei. Wladimir Putin sagte hingegen auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz: „Ich denke, dass für die heutige Welt das monopolare Modell nicht nur ungeeignet, sondern überhaupt unmöglich ist.“ Und es bestehe kein Zweifel, „dass das wirtschaftliche Potenzial neuer Wachstumszentren auf der Welt unausweichlich auch in politischen Einfluss umschlägt und die Multipolarität stärkt.“ Eine Position, die auch von der chinesischen Führung geteilt wird, schreibt Schäfer.

Putin nehme die amerikanische Weltmacht als Hobbesschen Leviathan wahr: „Es ist die Welt eines einzigen Hausherrn, eines Souveräns. Und das ist am Ende nicht nur tödlich für alle, die sich innerhalb des Systems befinden, sondern auch für den Souverän selbst, weil es ihn von innen zerstört.“ Während US-Außenministerin Condoleezza Rice überzeugt ist, dass „die Wirklichkeit ist, dass ‚Multipolarität‘ niemals eine vereinigende Idee oder eine Vision gewesen ist. Sie war ein notwendiges Übel, das den Krieg fernhielt, aber nicht zum Triumph des Friedens führte. Multipolarität ist eine Theorie der Rivalität, von konkurrierenden Interessen – und schlimmstenfalls – von konkurrierenden Werten.“ Russland orientiert sich historisch an der Heiligen Allianz, schreibt Schäfer, eine von Zar Alexander I. angeregte Absichtserklärung der Monarchen Österreichs, Preußens und Russlands, die Prinzipien der christlichen Religion (Gerechtigkeit, Liebe und Frieden) zur Grundlage bei der Wiederherstellung der durch die Napoleonischen Kriege zerstörten politischen Ordnung im kontinentalen Europa zu machen.

Die russische „Friedensmission“ in Georgien erscheint so in einem neuen Licht. Darauf weist Schäfer hin und zitiert eine Erkenntnis von Henry Kissinger: „Sobald eine Macht die internationale Ordnung oder die Art ihrer Legitimität ablehnt, werden die Beziehungen zwischen ihr und den anderen Mächten revolutionär.“ Lässt sich auch auf die Beziehungen Russlands zum Westen anwenden. Kissinger spricht in seinem Werk „Das Gleichgewicht der Großmächte“ den jeweiligen Staaten das Recht zu, gemäß ihrer inneren Struktur zu entscheiden, was richtig ist und was durch ihre Kraft und geographische Lage möglich ist. Laut Robert Kagan sind die USA ein Koloss mit einem Gewissen: „Sie sind nicht das Frankreich Ludwig XIV. oder das England Georg III �?� Amerikaner nehmen für sich nicht das Recht des Stärkeren in Anspruch �?� Die Amerikaner haben die Grundsätze der alten Ordnung Europas nicht übernommen, eine machiavellistische Perspektive ist ihnen fremd.“

„Um die wütende russische Reaktion in der Kaukasuskrise zu verstehen,“ rät Schäfer, „muss man die geopolitische Lage mindestens des Mittleren Ostens betrachten. In westlichen Medien wurde offen über die Möglichkeit diskutiert, von Georgien aus einen militärischen Schlag gegen den Iran zu führen. Der russische Angriff auf militärische Stützpunkte der georgischen Armee, macht deutlich, dass Russland keinen militärischen Alleingang des Westens gegen den Iran dulden wird, der in der russischen Einflusssphäre stattfindet.“

Russische Energiekonzerne wollen ihrerseits iranisches Gas und Öl durch ihr Leitungsnetz zahlungskräftigen Kunden anbieten. „Das geht aus russischer Sicht nur,“ so Schäfer, „wenn der Konflikt des Westens mit dem Iran zumindest dauerhaft entschärft und die Zugangswege durch Georgien für zukünftige Pipelines von Russland in den Iran offen bleiben. Mit einer georgischen Regierung, die sich von amerikanischen Militärberatern unterstützen lässt, ist das nicht denkbar.“

Die russische Führung habe nicht vergessen, dass vom Angriff gegen Jugoslawien 1999, dem laufenden Irak-Krieg, bis zur Unabhängigkeit Kosovos eigentlich russische geopolitische Interessen von den Westmächten nicht berücksichtigt wurden. Schäfer: „Die deutschen Atlantiker hingegen unterschätzen die russische Furcht vor der Einkreisung durch den Westen. Russland, die Türkei und der Iran werden auch dann noch mit den Völkern des Kaukasus als Nachbarn zusammenleben müssen, wenn die Westmächte wegen der zur Neige gehenden Energierohstoffe langsam das Interesse am Kaukasus verlieren und sich zurückziehen.“ Die Türkei könne ihre hohe Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland mittelfristig nur durch entsprechende Importe aus dem Iran vermindern. „Einer der Gründe, weswegen die Türkei sogar mit dem verfeindeten Armenien redet. Die Sanktionen gegen den Iran stärken deshalb die geopolitische Position Russlands. Eine erfolgreiche Gleichgewichtspolitik im Kaukasus lässt sich nur implementieren, wenn es gelingt, Russland als Großmacht durch konstruktive Beziehungen zu den Mittelmächten Türkei und Iran in einen größeren politischen Zusammenhang einzubetten“, so Schäfer.

Das Nato-Mitglied Türkei werde von den geopolitischen Akteuren der Region als wichtiger strategischer Partner respektiert und sei deshalb als Vermittler nicht nur im Kaukasus unverzichtbar. Wenn die USA den regionalen Mittelmächten weiterhin eine eigenständige Mitgestaltungsmöglichkeit verweigerten, werde eine direkte Konfrontation zwischen Russland und den USA immer wahrscheinlicher, vielleicht demnächst in der Ukraine, spekuliert Schäfer.

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