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Russische Invasion nicht der Rede wert

Von Dr. Oliver Everling | 8.April 2022

Die russische Ratingagentur Analytical Credit Rating Agency (ACRA) aus Moskau erteilt für russische Emittenten unbeirrt Bestratings. Die Kreditwürdigkeit von Sankt Petersburg basiert zwar unstrittig auf der gut entwickelten Wirtschaft der Stadt, der ausgeglichenen Haushaltsstruktur, der geringen Schuldenlast und der hohen Haushaltsliquidität. Ob dies aber ein AAA(RU) als Emittentenrating für die Stadt (Санкт-Петербург, Город) wie auch ein AAA(RU) als Rating ihrer Emissionen rechtfertigt, kann hinterfragt werden.

Sankt Petersburg ist eine Stadt von föderaler Bedeutung und Heimat von 3,7 % der russischen Bevölkerung. Das Bruttoregionalprodukt der Stadt beträgt etwa 6 % des gesamten BRP Russlands.

Ende 2021 betrug die Verschuldung der Stadt 10 % der laufenden Einnahmen, was gemäß der ACRA-Methodik ein Hinweis auf die geringe Schuldenlast im Haushalt der Stadt ist. Nach Schätzungen von ACRA wird das Verhältnis von Schulden zu laufenden Einnahmen bis Ende 2022 niedrig bleiben. Im Jahr 2022 wird nach Angaben der Ratingagentur die Schuldenquote der Stadt im Bereich von 1–3 % liegen.

Ab dem 1. Januar 2022 enthielten die Schulden nur Anleihen mit Fälligkeit zwischen 2022 und 2028. Der Kapitaldienst belaste den städtischen Haushalt nicht. Zum angegebenen Datum waren 25 % der Schuldenverpflichtungen der Stadt in den Jahren 2022 und 2023 fällig.

Die Stadt kommt ihren Ausgabenverpflichtungen pünktlich nach und legt regelmäßig vorübergehend freie Mittel bei Kreditinstituten und über Repo-Geschäfte an, die durch russische Bundesanleihen und Anleihen der Stadt besichert sind. Die Stadt erwirtschaftet zusätzliche Einnahmen, um einen Teil ihrer Schuldendienstkosten zu decken, indem sie ungenutzte Haushaltsmittel verwaltet; diese seien zum 1. März 2022 doppelt so hoch wie die durchschnittlichen monatlichen Haushaltsausgaben im Jahr 2022 gewesen.

Für den Zeitraum 2018-2022 sollte das durchschnittliche Verhältnis von Steuer- und Nichtsteuereinnahmen (tax and non-tax revenues, TNTR) zu den internen Einnahmen ohne Subventionen 96 % betragen, schreiben die Analysten von ACRA. Die Investitionsausgaben sollten im oben genannten Zeitraum durchschnittlich 20 % der Gesamtausgaben ohne Subventionen ausmachen. In den Jahren 2018–2022 sollte das Verhältnis des durchschnittlichen Leistungsbilanzsaldos zu den laufenden Einnahmen 17 % betragen, und das Verhältnis des durchschnittlichen modifizierten Haushaltsdefizits zu den laufenden Einnahmen sei mit -1 % zu beziffern.

Vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stiegen im Jahr 2021 die Einnahmen des Stadthaushalts um 26 % und die Ausgaben um 12 %. Der Haushaltsüberschuss im Jahr 2021 betrug 6 % der TNTR. Das Haushaltsgesetz der Stadt sieht für 2022 ein Haushaltsdefizit von 9 % der TNTR vor, das durch neue Anleiheemissionen gedeckt werden soll. Bei ungünstigen Verhältnissen auf dem Fremdkapitalmarkt kann die Stadt in Vorjahren angesammelte Kontoguthaben zur Deckung des Defizits verwenden.

Die hochentwickelte Wirtschaft der Stadt sorgt für eine diversifizierte Steuerbasis. Das BRP pro Kopf in Sankt Petersburg liegt konstant um das 1,5-fache über dem Landesdurchschnitt. Die Steuereinnahmen sind nach Sektoren stark diversifiziert: Nach Berechnungen von ACRA überstieg die durchschnittliche Schätzung des maximalen Anteils einer einzelnen Branche an den Steuereinnahmen der Stadt im Zeitraum 2018-2021 nicht 17 %. Die Arbeitslosigkeit blieb bisher konstant niedrig und habe im betrachteten Zeitraum 3 % nicht überschritten. Der durchschnittliche Monatslohn war 2021 fast sechsmal höher als das Existenzminimum der Stadt.

Die Ratingagentur geht von der Aufrechterhaltung der TNTR der Stadt im Jahr 2022 auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2021 sowie einem Ausgabenwachstum von 8 % aus, wie auch von der Beibehaltung einer konservativen Schuldenpolitik und Aufrechterhaltung einer hohen Budgetliquidität.

Die Invasion in die Ukraine spielt bei dem glänzenden Bild, das die Ratingagentur von der Bonität der russischen Hafenstadt an der Ostsee zeichnet, keine Rolle und findet nicht einmal Erwähnung. Für den stabilen Ausblick geht ACRA davon aus, dass das Kreditrating innerhalb von 12 bis 18 Monaten mit hoher Wahrscheinlichkeit unverändert bleibt. Eine negative Bewertungsaktion kann veranlasst werden durch ein Anwachsen der Schuldenlast auf über 30 % der aktuellen Einnahmen der Stadt oder bei einem signifikanten Rückgang der verfügbaren Liquidität.

Die Argumentation der Ratingagentur lässt nicht auch nur andeutungsweise den Schluss zu, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland eine politische Wirkung entfalten könnten. Das Wort „Ukraine“ kommt nicht vor. So begründet ACRA die Beibehaltung der Bestnote AAA(RU) für Sankt Petersburg. Der Ratingbericht der Agentur liest sich so, als wäre der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht der Rede wert.

Themen: Kommunalrating, Länderrating | Kommentare deaktiviert für Russische Invasion nicht der Rede wert

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