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Schluss mit Luther
Von Dr. Oliver Everling | 13.Juli 2017
Von der Reformation bis zum Holocaust – eine Fülle glücklicher wie auch erschütternder Ereignisse der Menschheitsgeschichte wären ohne den Einfluss des Reformators Martin Luther kaum denkbar gewesen. So ist deutschen Schulbüchern sicherlich nicht zu entnehmen, dass der Nationalsozialismus ohne den Antisemiten Martin Luther kaum die Duldung durch protestantische Wählerschaft gehabt hätte, die zur Machtergreifung Adolf Hitlers führte – einem Diktator, der weder auf die Unterstützung des Papstes noch der katholischen Kirche im Deutschen Reich zählen konnte. Das deutsche Volk gehörte 1933 noch zu 95 % den Kirchen an.
Bis heute finden nicht nur im dogmatischen Amerika für die Wirtschaft maßgebliche Glaubenssätze ihre Wurzeln in protestantischen Lehren. In Großbritannien erlaubte die Abkopplung von der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert die Entstehung des Manchesterkapitalismus. Dem Beispiel Luthers folgten Reformatoren wie Johannes Calvin, dessen Lehren zur protestantischen Askese bis heute nachwirken.
Im Sachbuch des Tectum Verlags (ISBN 978-3-8288-3958-8) mit dem Titel „Schluss mit Luther – Von den Irrwegen eines Radikalen“ gibt Peter Henkel im Reformationsjahr 2017 eine Fülle weiterer, weniger bekannter Fakten über den Mann preis, für den nicht nur in deutschen Städten Denkmäler gebaut wurden. Der Journalist Peter Henkel, bekannt u.a. aus der Frankfurter Rundschau, fügt mit seinem Buch über die „Lichtgestalt“ Martin Luther der Literatur nicht einfach nur einen weiteren Titel hinzu, der sich mit Leben und Werk dieses Protestanten befasst. Er leitet vielmehr den Leser dazu an, Martin Luther „nicht wie üblich als Glücksfall der Weltgeschichte“ zu verstehen.
Während sich Theologen bei Kritik an Luther um einen zerbrechlichen Konsens sorgen, redet Henkel Fraktur. Luther war kein Pionier der Zukunft, sondern eher Reaktionär. „Von Luthers kühner, widersprüchlicher und im Kern deprimierender Dogmatik trennen uns Heutige und darunter die große Mehrzahl der Gläubigen tiefe Gräben“, schreibt Henkel und kritisiert die „postfaktisch“ „erfundenen oder zurechtgestutzten Legenden und hübschen Anekdoten“.
Mit Akribie geht Henkel den historischen Quellen nach und beweist eine glückliche Hand beim Griff in die inzwischen unübersehbar umfangreiche Literatur über Martin Luther, um Daten und Fakten zu präsentieren, die in keiner Kirche gepredigt werden. Henkel macht sich den gesunden Menschenverstand seiner Leser zunutze, um Luther als vermeintlichen Impulsgeber „tiefschürfender und leidenschaftlicher religiöser Auseinandersetzung“ zu relativieren. „Wenig wahrscheinlich ist dies schon deshalb, weil nach jüngeren Schätzungen 90 Prozent der damals höchstens zwölf Millionen Einwohner zwischen Nord- und Bodensee nicht lesen konnten.“
Wer das Buch von Henkel liest fragt sich, ob Deutschland nicht größere Denker zu ehren weiß als einen in der Satanologie gefangenen Martin Luther. Welcher Kirchensteuerzahler ist sich Luthers „bizzare Welt“, wie Henkel sie nennt, bewusst, die sich noch heute in Kirchen wiederfindet? Henkel sieht „das Verhältnis Gott/Teufel bei Luther erschreckend kompliziert“.
Henkel entlarvt Luther als einen Feind der Vernunft: „Bald hatte Luther nämlich entdeckt, welche Gefahren in der Vernunft lauern“. „Aufklärung bedeutet den Versuch,“ schreibt Henkel, „die Menschheitsphase der Mythen, der unhinterfragten, vielleicht sogar unhinterfragbaren Dogmen hinter sich zu lassen, sie zu überwinden durch Forschen, Beobachten, Ausprobieren und ein Denken, das sich beim Verifizieren und Falsifizieren weder von respektheischenden Überlieferungen allzu sehr beeinflussen lässt noch von anderen Voreingenommenheiten.“
Wer bezweifelt, welchen Grausamkeiten Martin Luther das Wort redete, sollte zu diesem Buch von Henkel greifen und den Quellenangaben nachgehen. In die Verherrlichung des Reformators kann kaum einstimmen, wer sich nicht in Luthers Vorstellungswelt aus Hexen und Teufel einfinden will.
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