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Staatliche Eingriffe – keine Kaufempfehlungen

Von Dr. Oliver Everling | 26.Juli 2021

Um ein Gegenargument gleich vorwegzunehmen: Die im folgenden beschriebenen Vorgänge sind nicht ganz vergleichbar, Äpfel darf man nicht mit Birnen verwechseln. Aber es gibt eine Ebene, auf der doch ein Vergleich möglich ist: Äpfel und Birnen gehören gleichermaßen zu den Balgäpfeln. Apfelfrüchte sind nach der Pflanzenmorphologie durch Achsengewebe umgebene Balg- oder Sammelbalgfrüchte, also Scheinfrüchte. Beispiele sind der namensgebende Apfel, die Birne, die Quitte und die Mispel, aber auch die Vogelbeere und anderes Kernobst.

Hier die „Äpfel“: „Die Europäische Zentralbank (EZB) als oberste Bankenaufseherin hat am vergangenen Freitag, den 23. Juli, den Weg für weitere Ausschüttungen durch die Aufhebung der bisherigen Ausschüttungsbeschränkungen geebnet. Diese waren während der Hochphase der Coronapandemie 2020 im Gegenzug zu weitreichenden Unterstützungsmaßnahmen wie regulatorischen Ausnahmen bei der Leverage-Quote und großzügigen Liquiditätshilfen, wie die TLTRO-III-Refinanzierungsprogramme proklamiert worden“, schreibt die DZ BANK in ihrem Research mit dem Titel „Endlich Geld von Banken: Ausschüttungsverbot endet“.

Damalige Zielsetzung war die Unterbindung des Abfließens von Eigenkapital aus den Banken. Die Finanzkraft der Banken sollte vor der damals unklaren Entwicklung der Kreditqualität nicht geschwächt werden. „Nachdem es nun geringere Unsicherheit über notleidende Kredite gibt und diese bisher, auch nach dem Auslaufen staatlicher Unterstützungsprogramme, nicht merklich angestiegen sind,“ berichtet die DZ BANK weiter, „hat die EZB den Entfall aller Ausschüttungsbeschränkungen angekündigt und ist damit anderen Bankenaufsehern wie der Federal Reserve in den USA und der Bank of England in Großbritannien gefolgt. Ab dem 4. Quartal dürfen Banken daher wieder vollumfänglich Ausschüttungen vornehmen, müssen diese aber individuell durch die EZB als oberste Bankenaufsicht genehmigen lassen.“

Die Aktien einer Bank, die keine Gewinne ausschütten darf, unterscheiden sich kaum von denen einer gemeinnützigen AG, die ebenfalls keine Dividende zahlt. Wer die Zahlung von Dividenden staatlich verbietet, nimmt Aktionären eine wesentliche Motivation zum Erwerb der Aktien.

Nun die „Birnen“: Anfang Juli warnte das Research der DZ BANK schon vor der „regulatorischen Welle“ in der Volksrepublik China, die seit der Absage des Börsengangs von Ant Financial den Internet-Sektor unter Druck setzt: „Spätestens nach dem Debakel rund um den Börsengang des Fahrdienstleisters DiDi ist die Stimmung der internationalen Anleger am Boden“, schreiben die Analysten nun mit ähnlichem Wortlaut in verschiedenen Research-Publikationen der DZ BANK. „Nun hat der chinesische Staat eine noch gravierendere Maßnahme beschlossen, die den Sektor u.E. aktuell uninvestierbar machen.“

Gemeint ist ein neues Gesetz, das tief in den chinesischen Bildungssektor eingreift und privatwirtschaftlich geführte Unternehmen dazu zwingt, sich künftig als Non-Profit Organisationen zu registrieren. „Als die Maßnahmen bekannt wurden, fielen die ADRs von zahlreichen Anbietern im Bereich Online- und Offline-Bildung (wie z.B. TAL Education und
New Oriental Education) um 70%. Die Maßnahme ist eine Enteignung/Verstaatlichung durch die Hintertür und dient zur Senkung der Ausgaben von jüngeren Familien, als Teil eines Maßnahmenpakets zur Ankurbelung des Bevölkerungswachstums, zu dem auch die neue 3-Kind-Politik gehört.“

Die Analysten legen die Gründe für die Maßnahmen der chinesischen Regierung dar. „Subventioniert wird das Ganze auf Kosten ausländischer Investoren, deren Investment nun nahezu wertlos geworden ist. Ob die Unternehmen sich selbst abwickeln müssen und Eigentümer von ADRs zumindest noch die verbleibende Nettoliquidität ausgezahlt bekommen, ist unklar. Diese Diskussion stellt dann aber u.E. insgesamt auch die ADR-Struktur infrage. Wie üblich, gibt es auch dieses Mal keine Möglichkeit für Unternehmen, sich gegen das Gesetzesvorhaben zu wehren. Viele von
ihnen haben sich per ad-Hoc Mitteilung bereiterklärt, den neuen Regeln zu folgen.“

Die Analysten der DZ BANK lassen nun ihre Griffel fallen: „Es ist uns nach diesem Vorfall nicht mehr länger möglich, chinesische Internetwerte zum ‚Kauf‘ zu empfehlen. Die Visibilität ist u.E. nicht mehr gegeben, es kann jederzeit zu noch schärferen Regeln kommen, die materiell in das Geschäftsmodell, der von uns gecoverten Unternehmen eingreifen. Diese Unsicherheit zwingt uns dazu, einen temporären Bewertungsabschlag vorzunehmen, bis wir regulatorische Klarheit haben.“

Was haben die europäische Ausschüttungssperre von Banken mit chinesischen Nachhilfeunternehmen zu tun? Es verhält sich wie mit den Äpfeln und den Birnen. Die Gemeinsamkeit liegt auf einer übergeordneten Ebene, nämlich dem ungeordneten und unverhersehbaren Eingreifen des Staates. Hier wie dort ist das größte Risiko für Anleger der Staat, der oft wenig vorausschauend die Aktienmärkte bewegt und damit das Investieren weniger attraktiv macht.

Risiko muss stets entgolten werden, Anleger wollen für das Eingehen solcher Risiken entschädigt werden oder ziehen sich ganz zurück – mit der Folge, dass so dringend benötigtes Wagniskapital ausbleibt. In Ost und West müssen die Musterknaben erst noch geboren werden, die ein gutes Beispiel für die Regulierung börsennotierter Unternehmen geben könnten.

Themen: Aktienrating, Bankenrating | Kommentare deaktiviert für Staatliche Eingriffe – keine Kaufempfehlungen

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