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Wachstum oder Nachhaltigkeit
Von Dr. Oliver Everling | 28.September 2015
Die de-facto-Insolvenz der USA sowie das Entstehen einer weltweiten Bewegung in Richtung Nachhaltigkeit liegen zeitlich eng beeinander. 1971 brach der amerikanische Präsident Richard Nixon das Versprechen der USA, US-Dollar jederzeit in einem festen Verhältnis in Gold umzutauschen. 1972 veröffentlichte der 1968 gegründete Club of Rome seine berühmte Studie „Grenzen des Wachstums“. Eigentlich wäre es schon damals an der Zeit gewesen, jedes unreflektierte, rein nominales Wachtumsziel ad acta zu legen.
Doch es kam anders: Fast könnte man sagen, dass die Blütezeit rein quantitativer Wachstumsziele erst bevorstand, denn die Koppelung von Fiat-Geld mit einem staatlichen Zwangsgeldmonopol, das im Falle der USA der von privaten Banken getragenen Federal Reserve Bank of New Yorik zugewiesen wurde, machte erst die ungebremste Verfolgung rein quantitativer Wachstumsziele und die Illusion möglich, damit Reichtum anzuhäufen und weltweit Wohlstand zu schaffen. Indem Geld von jeder realen Gegebenheit abgekoppelt wird, wie damals von der Nixon-Administration entschieden, wird es beliebig vermehrbar.
Diese beliebige Vermehrbarkeit in Kombination von Monopolisierung durch den Staat führte zu den Segnungen des Wohlfahrtsstaates, denn ungedecktes Geld ermöglichte es Sozialpolitikern, ihren Wählern praktisch beliebige Versprechen zu machen und deren Erfüllung mit Schuldenaufnahmen zu finanzieren. Die rasch anwachsende Verschuldung in den meisten Industriestaaten war die Folge.
Für Staaten galten in Bezug auf ihre Verschuldung scheinbar andere Regeln als für Privatleute: Staatsschulden können von Generation zu Generation vererbt werden. Unter der Kontrolle des Staates kann eine Zentralbank stets auch weiteres Geld drucken, um dem Staat und seinen Gebietskörperschaften zu erlauben, allen zwingend fälligen Zahlungsverpflichtungen stets vollständig und rechtzeitig nachzukommen.
Die Wirkungen des Zinses und insbesondere des Zinseszinses wurden dabei jedoch unterschätzt. Wenn ein Staat auch nur wenige Prozentpunkte Zinsen verspricht, häuft sich die Staatsschuld über Jahrzehnte hinweg in Relation zum Sozialprodukt zu ungeheuren Größenordnungen an. Der Effekt ist in der Literatur als „Josephspfennig“ bekannt und wurde schon 1772 von dem Moralphilosophen und Ökonomen Richard Price beschrieben.
Die Versuchung des Wohlfahrtsstaates wie auch machtsüchtiger Politiker bis hin zu Diktatoren, durch steigende Verschuldung in ungedecktem Fiat-Geld kurzfristig ihre Ziele zu erreichen, ist letztlich die wichtigste Triebfeder für das verfehlte Wachstumsziel, dem die meisten Industrienationen noch heute nachstreben. Wer beispielsweise einen realen Zins von mehr als 7 % verspricht, muss binnen 10 Jahren sein Vermögen mindestens verdoppeln, um seinen Zahlungsverpflichtungen aus endfälligen Zinsen und Tilgung nachkommen zu können. In den 1970er Jahren waren solche Zinssätze normal und wurden nur real durch die Inflationsrate geschmälert.
Wer seinen Staat mit mehr oder weniger hohen Zinsen fremd finanziert und seine Schulden nicht aus erhöhten Steuern und Abgaben, Privatisierungen oder sonstigen Einnahmen zu reduzieren vermag, ist auf (nominales) Wachstum angewiesen: Nur dieses verspricht, den von den Finanzmärkten geforderten Kapitaldienst erbringen zu können. Entsprechend einseitig sind Politiker auf Wachstumsziele fixiert – insbesondere in den USA, wenn dieses System auch noch von privilegierten Banken getragen wird, die aus dem staatlichen Zwangsgeldmonopol Nutzen ziehen. So wuchs die Machtstellung der USA durch ein vorgeblich „liberales“ System privater Banken, das in Wirklichkeit von staatlicher Monopolisierung und Zwangsmaßnahmen profitiert.
Prof. Dr. Gerhard Scherhorn kommt in seinem Buch „Nachhaltigkeit oder Wachstum“ auf die Eigenschaften einer expontentiellen Wachstumskurve zu sprechen. Das Buch erschien 2015 im Altius Verlag (ISBN 978-3-932483-35-6). „So ist die Wachstumskurve des Sozialprodukts bei nachhaltiger Entwicklung S-förmig (logistisch), nach den Anfgangs-Phasen eines znächst flachen und dann steileren Wachstums flacht sie auf hohem Niveau wieder ab. Sie folgt dann nicht der Zinseszinslogik wie die Exponentialkurve, sondern den Gesetzen der Natur, denen auch unser eigenes Wachstum unterworfen ist.“
Das Buch von Scherhorn gliedert sich in sieben Kapitel: „Rechner oder soziales Wesen“, „Die Bedürfnisse: maßlos oder verantworlich“, „Der Konsum: kaufen oder leben“, „Die Arbeit: Job oder Tätigkeit“, „Die Gemeingüter: ausbeuten oder kultivieren“ und „Die Politik in der Wachstumsfalle“.
Die Verfolgung nominaler Wachstumsziele ist ebenso am Ende wie die ausufernde Verschuldung des Wohlfahrtsstaates. Die Idee staatlichen Schuldenmachens, heutigen Generationen zu einem besseren Leben zu verhelfen, verkehrt sich durch den aus dem Zinseszinseffekt resultierenden Wachstumsdruck und dem damit verbundenen Raubbau an natürlichen Ressourcen in ihr Gegenteil.
Das Buch von Gerhard Scherhorn erscheint aus Anlass seines 80. Geburtstags, wie Prof. Dr. Johannes Hoffmann in seinem Vorwort schreibt. Beide Professoren verbindet ihre Arbeit am so genannten „Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden“, dessen Kriteriologie in den Bewertungsdimensionen Natur-, Sozial- und Kulturverträglichkeit heute zum Standard für Nachhaltigkeitsratings geworden ist und von führenden Ratingagenturen wie der oekom research AG in München angewandt wird.
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