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Was bleibt vom „Modell Deutschland“
Von Dr. Oliver Everling | 22.Juli 2009
„Braucht die deutsche Wirtschaft ein neues Geschäftsmodell?“ Mit dieser Frage wendet sich Bert Rürup an den Gesprächskreis „Liberale Banker“ in Frankfurt am Main. Rürup war langjährig Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Wenn die Krise mit einem Tsunami verglichen werde, dann will Rürup daran erinnern, dass die zerstörerische Kraft des Tsunami vor allem in der Rückschlagwelle liege.
Inzwischen habe sich die Lage entspannt, aber nach den ersten Ausläufern der Subprime-Krise sei die Liquiditätsenge so einschneidend gewesen, dass tatsächlich auch Noten nachgedruckt werden mussten. „Die Staaten haben alles richtig gemacht“, urteilt Rürup, da es nicht zu einem totalen Kollaps gekommen sei. Die Weltwirtschaftskrise sei nicht vergleichbar, da damals das Gegenteil von dem gemacht worden sei, was heute umgesetzt wurde.
Die eigentlichen Schwierigkeiten stünden aber dennoch erst bevor. Die guten Absichten vom G20-Gipfel umzusetzen, werde noch eine Herausforderung sei. Gier der Banker, Monster der Finanzmärkte – solche und ähnliche Schlagworte seien in den Medien zu lesen gewesen. Die entscheidende Ursache auszumachen, sei nicht so einfach. Die expanisve Geldpoilitik sei in jedem Fall aber eine Ursache dafür gewesen, dass es zu einer massiven Verschiebung des traditionellen Geschäftsmodells kam. „Originate to distribute“ – mit frischem Geld immer wieder prozyklische Geschäfte zu machen, sei erst unter den Bedingungen der US-Politik möglich gewesen.
Wenn man auch noch eine Ratingagentur findet, die das macht, kann man mit rund 40 verschiedenen „Verpackungen“ Dinge verkaufen, die keiner mehr überschaut. „Wichtiger aber ist die Interessenverquickung“, sagt Rürup. Früher seien die Agenturen allein dem Anleger verpflichtet gewesen. Heute werden sie dagegen von den Emittenten beauftragt, die ein Interesse an der Platzierung der Papiere haben. Zweckgesellschaften wurden gegründet, um über diese Bankgeschäfte abzuwickeln. „Die Bankenaufsicht wusste davon“, sagt Rürup, aber man habe keinen Grund für ein Einschreiten gesehen. „Die Transaktionen waren extra legem, nicht contra legem“, unterstreicht Rürup.
„Fair value“-Bilanzierung dient dem Shareholder, dem Investor, greift Rürup einen weiteren Aspekt der Krise auf. „Es gab natürlich auch ein Politikversagen“, sagt Rürup. Finanzminister Paulson habe beispielsweise während seiner Amtszeit die Eigenkapitalunterlegung der Banken halbiert. Die Hypothekenbanken seien von der Politik in den USA gehalten worden, Kredite an unterprivilegierte Schichten zu geben.
„Gesund ist unser Bankensystem definitiv noch nicht – jetzt sind wir beim Stichwort toxische Assets“, führt Rürup weiter aus und macht seinem Unmut über den Begriff Luft. Steigt die geforderte Eigenmittelunterlegung an, kommt es zu einem Credit Crunch, da das mögliche Kreditvolumen an die Eigenmittel gekoppelt ist. „Wir haben ja jetzt ein Bad Bank Gesetz – ich würde das als ‚schlechtes Bankgesetz‘ übersetzen“, urteilt Rürup über das Modell, das vom deutschen Finanzminister entwickelt wurde. Für fast 20 Jahre gebe es kaum eine Chance, frisches Geld für Banken hereinzubekommen. „Eine gut gemeinte Lösung, aber kein substantieller Beitrag, die Banken zu bewegen“, sagt Rürup.
„Auch wenn Liberale an die Regierung kommen, werde sich die Frage nach der Rekapitalisierung der Banken durch den Staat stellen“. Finanzkrisen habe es immer gegeben, seit 1929 habe es 14 Finanzkrisen gegeben. Die Banker seien zu findig. „Ewige Stabilität wird es nicht geben“. Was man machen kann, habe man beschlossen. Man richtet eine SCHUFA für Banken ein, ein internationales Kreditregister. Die Aufsicht bekommt eine Aufsicht usw. „ich fürchte jedoch, dass sich der Elan abflacht“, so Rürup. „Über Industriepolitik redet man nicht, sondern die macht man“, sagt Rürup. In Deutschland sei die Schlüsselindustrie die Automobilindustrie. Entsprechend werde diese gefördert, z. B. dadurch, dass es keine allgemeine Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung in Deutschland gebe. Rürup glaubt nicht daran, dass sich diejenigen Länder, wie Großbritannien, durch Regulierung und Vereinheitlichung ihre Wettbewerbsvorteile für ihre Finanzindustrie abnehmen lassen würden.
„Auf dem Arbeitsmarkt steht uns das Schlimmste noch bevor“, ist sich Rürup sicher. „Der Arbeitsmarkt sei noch 2008 besser geworden. Nach der Sommerpause erwarte ich einen Anstieg der offenen Arbeitslosigkeit. Den Gipfel werden wir erst Ende nächsten Jahres sehen.“ Die Arbeitslosigkeit sei immer ein nachlaufender Indikator gewesen. Ein senkrechter Absturz und ein relativ mühsamer Aufstieg – so skizziert Rürup die bevorstehende Entwicklung.
„Eine Inflation von 5 bis 6 % in den USA halte ich für möglich“, sagt Rürup. Das Abwertungsrisiko sei in den USA recht hoch. Während die Verschuldung in Europa überwiegend von der Bevölkerung aufgebracht werde, sind Gläubiger der USA in erster Linie Länder wie China. „Keine Hyperinflation, aber eine Inflation in den USA würde zur Wiederherstellung des weltweiten Gleichgewichts beitragen“, glaubt Rürup.
Deutschland werde eines der Länder sein, die am schnellsten von einer internationalen Wirtschaftsentwicklung profitieren, urteilt Rürup mit Blick auf die zweihundertjährige Industriegeschichte Deutschlands. „Die Exportorientierung zurückzufahren, halte ich für völlig verfehlt“, sagt Rürup. „Wir brauchen für Deutschland kein neues Geschäftsmodell“, unterstreicht er. „Die deutsche Industrie ist die leistungsfähigste der Welt, Deutschland ist die Luftschiffwerft der Welt, der TÜV zertifiziert die Welt“ – schließt Rürup ab.
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