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Zinsen bleiben real negativ
Von Dr. Oliver Everling | 20.Mai 2022
Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL, meldet sich zu einem Rekord zu Wort: Der aktuelle Auftragsbestand deutscher Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe lastet die Produktion für etwa viereinhalb Monate aus – ein Rekordstand, der seit 1969 noch nie erreicht wurde. Einige Branchen, wie die Automobilindustrie oder der Maschinenbau sind mit den vorliegenden Aufträgen sogar mehr als ein halbes Jahr ausgelastet.
„Trotzdem bleibt die Unternehmensstimmung vorerst gedämpft, denn die sich wieder verschärfenden Lieferkettenprobleme erlauben kein Hochfahren der Produktion. Im Zuge der jüngsten Quartalsberichtssaison deutscher und internationaler börsennotierter Unternehmen kamen Zweifel auf,“ berichtet Carsten Mumm, „ob die anhaltend hohen Kosten weiterhin an die Endverbraucher durchgereicht werden können, um die Margen weitgehend stabil zu halten.“ Er hält es für ahrscheinlicher, dass die Gewinne einiger Unternehmen bei anhaltenden Problemen in den kommenden Monaten unter Druck geraten könnten.
Den größten Belastungsfaktor sieht Carsten Mumm in der ungewissen Entwicklung der wirtschaftlichen Situation in China: „Immer mehr Lockdowns großer Millionenmetropolen sorgen für ausfallenden Konsum, ausgesetzte Produktion und verschärfte globale Lieferkettenprobleme. Entsprechend brachen zuletzt die Wachstumsraten für die Industrieproduktion, die Anlageinvestitionen und die Einzelhandelsumsätze in China drastisch ein, nachdem auch die letzten Veröffentlichungen von Einkaufsmanagerindizes eine Kontraktion der chinesischen Wirtschaft andeuteten. Ein negatives Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft im zweiten Quartal wird damit immer wahrscheinlicher.“
Der Chefvolkswirt glaubt nun offenbar nicht mehr daran, dass die chinesische Regierung der Entwicklung tatenlos zusehen wird: „Nachdem trotz weiter steigender Corona-Neufallzahlen in China ein Ende des seit Wochen andauernden harten Lockdowns in Shanghai in Aussicht gestellt wurde, ist ein grundsätzlicher Strategiewechsel der chinesischen Regierung bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht mehr unwahrscheinlich. Bevor die Wirtschaft weiter erheblichen Schaden nimmt, ist eine sukzessive Lockerung von Restriktionen wahrscheinlich, selbst wenn dadurch die Infektionsraten und die Sterblichkeit deutlich zunehmen dürften. Die globalen Lieferketten dürften in diesem Zuge eine Entlastung erfahren.“
In Deutschland könnten die im weiteren Jahresverlauf anstehenden Tarifverhandlungen von deutlich steigenden Lohnforderungen begleitet sein. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sind Reallohnsteigerungen wünschenswert, weil sie den privaten Konsum unterstützen.
„Für Anleger muss dieses Kapitalmarktumfeld mit Blick auf die kommenden Monate nicht schlecht sein“, macht der Chefvolkswirt Mut. „Trotz weiter steigender Nominalzinsen werden die Realrenditen voraussichtlich negativ bleiben und die Nachfrage nach realen Anlagen unterstützen. Sofern es zu keiner weiteren Eskalation im Zuge des Ukrainekrieges kommt, könnten sich einige der derzeit eingepreisten Risiken relativieren, bspw. im Falle einer Besserung der Lieferkettenprobleme oder weniger starker Zinssteigerungen in den USA, und dadurch die Perspektiven für die Weltwirtschaft wieder aufhellen. An den Börsen dürften diese möglichen Hoffnungsschimmer wie immer rechtzeitig Berücksichtigung finden und für steigende Kurse sorgen. Diese Möglichkeit sollten Anleger nicht aus dem Blick verlieren.“
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